
Auch wenn ich es mittlerweile wirklich schon relativ häufig gemacht habe, ist es doch immer wieder für mich herausfordernd, mich jeden Tag in einer mir gänzlich unbekannten Stadt – deren Sprache ich auf dieser Reise auch in keinem Land beherrsche – möglichst rasch zu orientieren, für die Kinder die interessantesten Sachen anzusteuern und dabei meinen Fuß so gut es geht nicht permanent vollkommen überzubeanspruchen. Selbstverständlich bereite ich an vielen nächtlichen Abenden zu Hause schon möglichst viel vor, aber viele unplanmäßige Situationen zwingen mich zu ständigem raschem neuem Agieren.

Nach wie vor wäre mir das Kaufen von Fahrscheinen in analoger Form wesentlich lieber, verloren wir doch mittlerweile bereits in vielen Städten kostbarste Zeit, bis wir auf digitalem Wege die jeweilige App für die öffentlichen Verkehrsmittel runtergeladen und das richtige Ticket gewählt hatten. Häufig ärgere ich mich dabei, dass ich plötzlich bei meinem Handy keinen Zugang zu meinen mobilen Daten habe oder ich bin mehr damit beschäftigt, die Zwillinge im Zaun zu halten, Unter- oder Überzucker zu beheben, plötzlich ausfallende Blutzuckersensoren neu zu stechen oder in letzter Minute ein in das Wasser Stürzen der Jungs zu verhindern als mich in Ruhe in die örtlichen Begebenheiten einarbeiten zu können.

In Stockholm gelang es mir jedoch relativ schnell, die SL-APP runterzuladen und ich freute mich, dass die Stadt so kinderfreundlich ist, dass auf einen zahlenden Erwachsenen bis zu fünf Kinder bis elf Jahre kostenlos mitgenommen werden können. Stockholm, das aus 14 Inseln besteht und völlig zu Recht als das „Venedig des Nordens“ oder auch als „Schwimmende Stadt“ bezeichnet wird, verfügt im öffentlichen Nahverkehr nicht nur über Tram- und U-Bahnen sowie Busse, sondern zudem auch noch über fünf Fähren, mit denen man höchst bequem von Insel zu Insel fahren kann.

Und so bestiegen wir gleich die Fähre 82 und fuhren zu der grünen Lunge der Stadt, der Insel Djurgården. Auf dieser befindet sich nicht nur der einzige Nationalpark inmitten einer europäischen Hauptstadt und als Kontrast dazu ein alteingesessener Freizeit Park Gröna Lund, auf dessen Bühnen bereits Louis Armstrong und Benny Goodman auftraten, sondern auch zahlreiche Museen wie das berühmte Lindgrenmuseum „Junibacken“ (das mich ausgesprochen gereizt hätte) oder auch das Abbamuseum, in das ich selbstverständlich sofort mit unserer jüngeren Tochter gegangenen wäre.

Für die Jungs war jedoch ein anderes Museum, wohl eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten von ganz Schweden, von größtem Interesse, das Vasamuseum. Das Regalschiff Vasa wurde für den Kriegseinsatz gegen Polen gebaut, kenterte doch tragischerweise und sank bereits bei seiner Jungfernfahrt am 10. August 1628 im Hafenbecken von Stockholm.

Ganze 333 Jahr später gelang dessen Bergung und es ist nun in einem Museum auf sechs Ebenen aus allernächster Nähe zu bestaunen. Dabei ist nicht nur die grandiose museumspädaogische Aufbereitung für Jung und Alt hervorzuheben, sondern ebenso die Tatsache, dass die Vasa mit über 95 Prozent Originalteilen sowie einer opulenten Verzierung aus unzähligen geschnitzten Skulpturen in ihrem Erhaltungszustand einzigartig und ein weltweit anerkannter Kunstschatz ist.

Kommt man in viele Museen anderer europäischer Groß- und Hauptstädte ohne die Tätigung einer wochen- oder monatelangen Reservierung im Vorfeld in überhaupt gar keinen Kulturgenuss, erfreute das Vasamuseum auch in dieser Hinsicht durch eine völlig entspannte Eintrittsmöglichkeit. So erwirbt man an einem Selbstbedienungsterminal die Eintrittskarten und kann sich zudem noch darüber freuen, dass allen Kindern von 0-18 Jahren sogar ein kostenloser Zugang gewährt wird. Auf diese Weise relativiert sich bei der Mitnahme von einem oder auch mehreren Kindern der relativ kostspielige Eintritt von 230 SEK ausgesprochen rasch.

Bereits in dem Einführungsfilm, der zu verschiedenen Zeiten in vielen unterschiedlichen Sprachen angeboten wird, wurde sympathischerweise immer wieder um die Ecke gedacht und so auch in das Gedächtnis gerufen, dass, wenn die Vasa so konstruiert worden wäre, dass sie gänzlich fahrtüchtig gewesen wäre, wir über 300 Jahre später kein bisschen mehr von ihr erhalten gehabt hätten.

So aber konnte man sich an diesem so einzigartigen Schiff gar nicht sattsehen, das mit vier Stockwerken ungeahnt große Dimensionen aufweist und offenbar zu hoch und schmal gebaut war und zudem über zu wenig Ballast in Form von Steinen zur Stabilisierung im Schiffskiel verfügte. Insgesamt wurden etwa 40.000 Fundstücke geborgen. Dabei wurde auch ganz genau die Bedeutung der einzelnen Figuren dargestellt, bei denen mir im Vorfeld überhaupt nicht bewusst war, dass nicht nur auf biblische Szenen bei diesem Kriegsschiff Bezug genommen wurde, sondern sich ebenso zahlreiche römische Kaiser als Figuren auf der Vasa wiederfinden.

Anscheinend waren die Figuren auf diesem so besonderen Kriegsschiff genauso wichtig wie die Kriegskanonen. 20 römische Kaiser schmücken das Schiff auf einer Seite, wobei Kaiser Augustus als erster und wichtigster Kaiser fehlt. Die Erklärung dafür leuchtet allerdings sofort ein, wenn man bedenkt, dass der Auftraggeber König Gustav II. Adolf sich selbst als Augustus seiner Zeit stilisierte und dafür die Erbauer des Kriegsschiffes mit dem Errichten des Löwen ganz an der Schiffsspitze beauftragt hat. König Gustav II. Adolf wollte mit dem Löwen unmissverständlich ein Symbol für seinen Mut, die Stärke und die königliche Kraft setzen.

Einen gewissen Gruselfaktor bot das unterste Stockwerk, in dem man etwas von den Lebensläufen der 30 ertrunkenen Menschen lesen und erschreckenderweise auch noch deren bestens erhaltene Skelette betrachten konnte. Während sich glücklicherweise die meisten der auf der Vasa Anwesenden retten konnten, gelang dies tragischerweise einigen der Seemänner mitsamt den Frauen nicht.

Angesichts dieser tragischen Umstände konnte ich mich glücklich schätzen mit deutlich weniger Problemen kämpfen zu müssen. Allerdings gab es auch während dieser Reise immer wieder Momente oder Stunden am Tag, an denen mich, übermüdet und mit der Organisation überfordert, Unmut überkam bei dem Gedanken, dass der Vater seine Pfingstferien in kompletter Ruhe im In- und Ausland verbringt, während ich teilweise ganz schön zu ringen habe, sei es mit dem ununterbrochenen Diabetesmanagement, das gerade auf Reisen aufgrund des anderen Essens und der deutlich späteren Zubettgehzeiten und mehr Aktivitäten deutlich erschwerter ist und mich dadurch nachts oft kaum zur Ruhe kommen lässt, sei es durch ganz profane Situationen ausgelöst wie die folgende im Vasamuseum.

Vom fünften zum sechsten Stock schien man im Vasamuseum augenscheinlich nur per Aufzug zu kommen. Auch, wenn ich diese Möglichkeit auch alles andere als liebe, war sie mir aufgrund meiner Schmerzen gar nicht so unrecht. Aber der Ältere weigerte sich beharrlich diesen zu betreten, während der Jüngere die Fahrt schon gar nicht mehr erwarten konnte und sich bereits ein Stockwerk höher befand. So musste ich erst einmal den gesamten fünften Stock erfolglos mit dem Älteren auf der Suche nach Treppen abgehen, bevor wir plötzlich den Bruder aus dem Blick verloren hatten.

Oder auch während der anschließenden U-Bahnfahrten, welche an sich schon ein Highlight sind, da diese als eine der größten Kunstgalerien der Welt gelten, gibt es doch an jeder Metrostation beeindruckend und jedes Mal vollkommen anders gestaltete Stationen zu sehen, konnte ich mich kaum auf die Kunstschönheiten konzentrieren, da die Blutzuckerwerte des Älteren plötzlich unerklärlicherweise dermaßen in die Höhe geschossen waren, dass ich gleich in der Metro ein neues Infusionsset stechen musste.

Als ich gerade dieses Problem behoben hatte, suchte unser Jüngerer plötzlich hektisch in seinen Hosentaschen, um schließlich feststellen zu müssen, dass er seine Bordkarte wohl im Vasamuseum verloren hatte. Dies war in Stockholm besonders ärgerlich, da wir just in diesem Hafen tendern mussten und die schwedische Security ausgesprochen streng waren. So wurde unser Sohn erst zum Tenderboot gelassen, bis ich seinen Personalausweis aus meinem völlig überladenen Rucksack herausgefischt hatte…

Hatten wir in Stockholm als einzigem Hafen sogar das Glück eines Overnightstops mussten wir unser 24-Stundenticket für etwa 18 Euro doch noch optimal ausnutzen, obwohl ich die Jungs eigentlich endlich mal deutlich vor Mitternacht in das Bett hätte bringen müssen. Gleichzeitig taten wir mit unserem nächtlichen Stadtbesuch aber auch noch ein gutes Werk für eine alleinstehende Dame in meinem Alter, welche mit ihren Eltern verreist ist und die jedoch abends nicht mehr vom Schiff wollten, weil sie allein im nächtlichen Stockholm Angst hatte.

Da ich diesbezüglich nie von Furcht erfüllt bin, habe ich doch noch die väterlichen Worte im Ohr, als dieser, nachdem mit Freunden diskutiert wurde, ob ein spät nächtliches Radeln im Pasinger Stadtpark jungen Mädchen noch erlaubt sein sollte, nur ganz trocken zu mir meinte: „Wer dich nachts aus dem Park nimmt, gibt dich gerne wieder tagsüber zurück.“…

Auf alle Fälle nutzten wir noch nach 22.00 Uhr die öffentliche Fähre und fuhren an den schön beleuchteten Stockholmer Gebäuden vorbei und das bei immer noch währender Helligkeit, ein absoluter Sommernachtstraum. Anschließend statteten wir dem königlichen Schloss noch einen Besuch von außen ab und schlenderten etwas durch die schön beleuchtete Altstadt, bis meine Fußschmerzen, noch verstärkt durch das sehr fußunfreundliche Kopfsteinpflaster unerträglich wurden.

Bei der nächtlichen Fahrt mit der öffentlichen Fähre ist mir übrigens ein Hauptunterschied zu den Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Deutschland aufgefallen. Kein einziger spielte an seinem Handy, alle lachten, scherzten oder unterhielten sich angeregt. Es herrschte eine völlig andere Stimmung als z.B. in der U-Bahn von München. Und die Fähre, welche wir um 22.00 Uhr genommen hatten, ein sehr preisgünstiges Sommernachtsvergnügen aufgrund unseres 24-Stunden-Passes, war so voll wie die Pariser Metro zur Rushhour. Aber keiner drängelte oder war schlecht gelaunt, es herrschte ein ausgesprochen harmonisches Miteinander.

Schreibe einen Kommentar