Riga, Rathausplatz, Renaissancegiebel, Regierungssitz

Meine Hoffnung auf eine ruhige Ostsee hatte sich in den ersten Tagen unserer Baltikumsreise nicht erfüllt, bereits die zweite Nacht kämpfte ich mit Unwohlsein aufgrund der starken Schiffsbewegungen, welche durch eine ungewöhnlich hohe Windstärke verursacht worden waren. Im Stockdunklen, auf (relativ hoher) See überkam mich nachts plötzlich beim beharrlich peitschenden Wind und dem unangenehmen Querwellengang Panik und ich musste unablässlich an die untergegangen Estonia denken. „Wie sollte unser Schiff gut zum Ziel kommen, wenn es schon die Estonia auf einer deutlich kürzeren Strecke zwischen Tallinn und Helsinki nicht geschafft hatte?“ schoss es mir immer wieder durch den Kopf.

Die diffusen Ängste wurden in den frühen Morgenstunden immer wieder nur durch die realen Sorgen unterbrochen, da beim Älteren aus unerklärlichen Gründen die Blutzuckerwerte plötzlich rasant in die höhe schnellten, so dass ich nach einigen Insulingaben und Abwarten mich doch zu einem außerplanmäßig erneuten Stechen des Katheters entschloss. Diese Aktion beendete dann endgültig meine sowieso schon viel zu kurze Nacht.

Entschädigung dafür bot die größte Stadt des gesamten Baltikums, auch als „Paris des Ostens“ oder auch „Perle des Baltikums“ bezeichnet. Mit 630000 Einwohnern blickt die alte Hansestadt auf eine über 800-jährige Geschichte zurück. Da wir auf die Fahrräder aufgrund meiner Fußproblematik angewiesen waren, blieb uns leider für die Stadtbesichtigung deutlich zu wenig Zeit, aber wir fuhren immerhin die wichtigsten Sehenswürdigkeiten ab. In Bezug auf die Fahrradwege hat Lettlands Hauptstadt im Vergleich zu der von Frankreich noch einen deutlichen Verbesserungsbedarf, blieb mir doch einige Male fast das Herz stehen, wenn ich – in den Stadtplan vertieft – die Jungs in letzter Sekunde von der Straßenmitte zurückpfiff, welche kurz danach von einer langen Kolonne mit schnellen Autos befahren wurde…

Immerhin fand unser Jüngerer Gefallen am klassischen Kartenlesen und bewies darin auch ein deutlich größeres Geschick als seine Mutter. Und so gelangten wir relativ schnell zu prachtvollen Jugendstilbauten rund um die Alberta Iela, an denen ich mich gar nicht sattsehen konnte. Allerdings war dieser ganz besondere Architekturstil für die Zwillinge weniger interessant, so dass wir uns rasch auf den Weg zum nächsten Ziel, der Christi-Geburt-Kathedrale, dem größten orthodoxen Gotteshaus der Stadt machten. Interessanterweise überlebte dies einzig deshalb die Sowjetzeit, da es als Planetarium und Restaurant umfunktioniert worden war, bevor es nun wieder in einen Sakralbau umgestaltete wird.

Ich bedauerte es sehr, aufgrund von Zeitmangel uns kaum in dem so idyllischen Kronvalda Park aufhalten zu können, durch den ein malerischer Stadtkanal führt, auf dem man auch mit kleinen Booten entlangfahren kann. Dafür fuhren wir am Freiheitsdenkmal vorbei und erfuhren, dass die drei Sterne, welche die Freiheitsstatue in Händen hält, für die historischen Regionen Lettlands mit Kurland, Damgallen und Livland stehen.

Die Stadtplanlesefähigkeiten, gerade unsers Jüngeren, wurden im Laufe der Radfahrt immer besser und so fanden wir dank ihm sofort den Rathausplatz mit dem wohl am meisten fotografierten Motiv von Riga, dem Schwarzhäupterhaus, das eine wenig bewanderte Dame, deren intellektuellen Fähigkeiten im diametralen Gegensatz zu ihren finanziellen Kapazitäten stehen, allen Ernstes als Schwarzwälder Haus bezeichnete. Dieser reich verzierte barocke Steinbau diente früher der deutschen Kaufmannsgilde als Sitz.

Ebenso wie fast alle Gebäude in Danzig wurde auch das Schwarzhäupterhaus im zweiten Weltkrieg zerstört und erst Ende der 1990-er Jahre wiederaufgebaut. Dem Jüngeren zuliebe überwand bzw. unterdrückte ich so gut es ging meine große Klaustrophobie und Höhenangst und wagte mich in den völlig überfüllten, fensterlosen Aufzug in der Petrikirche, einem der bedeutendsten Gotteshäuser in Riga, welcher uns nach der überstandenen Liftfahrt einen atemberaubenden, wenn auch sehr stürmischen und kalten, Blick über die Dächer der Altstadt bot.

Die Petrikirche ist übrigens neben dem Dom nicht nur der bedeutendste Sakralbau von ganz Lettland, sondern war zudem auch Ausgangspunkt der Reformationsbewegung im Baltikum.

Sehr lange konnten wir den spektakulären Blick auf die Rigaer Altstadt allerdings nicht genießen, da wir zum einen nicht nur bald wieder zum Schiff eilen mussten, sondern auch den älteren Sohn nur möglichst kurz im Kircheninneren warten lassen wollten, der sich entschieden – und verständlicherweise gewehrt hatte, die nicht sehr vertrauenswürdige Hochfahrhilfe zu nutzen. Nachdem wir noch zahlreiche Fotos von einem Paar, das aus der Ukraine stammt, aber in Tallin arbeitet und nun einige Urlaubstage in Riga verbringt – der ukrainische Mann war so begeistert, als erfahren hatte, dass wir aus München kommen, dass er uns gleich seine halbe Lebensgeschichte erzählte, gemacht hatten (zu meinem Erstaunen hatte es tatsächlich ziemlich lange gedauert, bis der weibliche Part des Pärchens mit dem Ergebnis fertig war, einmal waren die Bremer Stadtmusikanten (ein Geschenk von Rigas Partner- und Gründerstadt Bremen) nicht vollständig drauf, einmal störte, dass die Kirchturmspitze nicht in ihrer Vollständigkeit zu sehen war und einiges mehr), radelten wir über den Liven- und Domplatz bis zu den sogenannten „Drei Brüdern“.

Das Radeln ist übrigens, wenn man unter keinen chronischen Fußschmerzen leidet, in der Altstadt aufgrund des Kopfsteinpflasters alles andere als empfehlenswert, aber wir gelangten schließlich zu dem sehr sehenswerten Gebäudeensemble dreier alter Handels- und Wohnhäuser. Während das weiße Haus aus dem 16. Jahrhundert als das älteste noch erhaltene Wohnhaus aus Stein in Riga gilt, stellt das mittlere Gebäude mit dem Renaissancegiebel ein typisches Wohnhaus aus der Mitte des 17. Jahrhunderts dar.

Am Ende unserer atem- und pausenlosen Stadtbesichtigungsrunde ließen wir es uns nicht nehmen, auch noch den Regierungssitz des lettischen Präsidenten, das Rigaer Schloss, zumindest von außen zu bewundern, ehe wir wieder zum Schiff zurückkehren mussten. Ich war sehr traurig, keine Zeit mehr für den Kronvaldapark gehabt zu haben, in dem ich so gerne noch ein wenig geblieben wäre oder auch eine kleine Bootsfahrt auf dem Kanal gemacht hätte.

So blieb uns nur ein süßer Trost in Form des ausgesprochen kalorienlastigen Genusses von köstlichen Waffeln mit einer Salzkaramellsauce sowie einer Eisschokolade bzw.- kaffees, bevor es – nur unterbrochen durch die Korrektur von mitgenommenen Schulaufgaben nahtlos zu einem üppigen Abendessen ging.

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