
Wie sehr ich mich über die Mitfahrt unserer mittleren Tochter gefreut hätte, so sehr sollte leider unser Tag in Klaipeda alle ihre Vorurteile gegenüber dem Baltikum und der Ostsee bestätigen. Während sowohl in München mindestens 20 ° Grad herrschten und am Gardasee, an dem sie zurzeit mit sehr lieben Freunden weilt, angenehmste Schwimmtemperaturen vorzufinden sind, ärgerte ich mich, dass ich uns nicht auch noch Wollmützen eingepackt hatte.

Am frühen Morgen empfing uns nicht nur eine wunderbar spielende lettische Musikgruppe, sondern auch ein gar nicht erwünschter eiskalter, peitschender Wind, welcher das Herausheben des Fahrradcontainers zu meinem großen Bedauern völlig unmöglich machte. An diesem Tag wurde offenbar kurz davor ein anderer Container mit dem gesamten Gut von einer Sturmböe erfasst und ins Meer geworfen.

„Wer mutig ist,“ erwähnte der Lektor einen Tag vorher bei seinem landeskundlichen Vortrag zu Klaipeda und der kurischen Nehrung „wagt sich mit dem Bus in das etwa 50 Kilometer entfernte Künstler Dorf Nida, von dem bereits Thomas Mann so begeistert war, dass er für sich und seine Familie ein Haus auf der kurischen Nehrung erwarb, das er allerdings aufgrund der politischen Umstände nur wenige Jahre vor seiner Emigration nutzen konnte.“

Nachdem wir mit einer Fähre bei Eiseskälte auf die kurische Nehrung übergesetzt sind, verstand ich sehr schnell, was der Lektor mit „mutig“ meinte, waren doch weit und breit keine Fahrpläne für Buslinien zu sehen. Schließlich fragte ich mich zum richtigen Bus durch, wohlwissend, dass es alles andere als sicher wäre, dass es wieder einen Bus zurück gibt, der so rechtzeitig wieder an der Fähre ankommt, dass wir unsere Schiffsabfahrt nicht verpassen würden. Üblicherweise war ich bis jetzt fast ausschließlich in Ländern, deren Sprache ich beherrsche oder wo das Englische von einem Großteil der Bevölkerung verstanden wird. Hier war das mir einzig Vertraute die Währung in Form von Euro.

Da aufgrund meiner starken Schmerzen ein Fußmarsch durch den deutlich näher gelegenen Wald zum mit Sicherheit auch sehr malerischen Sandstrand unmöglich war, nahmen wir das Risiko in Kauf und fuhren in der Gesellschaft ausschließlich Einheimischer sowie Kurgästen, wahrscheinlich aus ganz Litauen, mit dem öffentlichen Bus mitten durch den Wald in Richtung der Nordspitze der kurischen Nehrung.

Hatte ich bereits die gesamte Nacht mit Übelkeit aufgrund des Querwellengangs gekämpft, verursachten bei mir nun die Busbewegungen über holprige Straßen in Kombination mit großer Übermüdung und der Furcht, das Schiff nicht mehr rechtzeitig zu erreichen, erneute Übelkeit. Im Vorfeld hatte mich schon sehr darauf gefreut, mit den Jungs an einer der reizvollen Buchten in der Ostsee zu schwimmen. Daran war nun aufgrund der Wasser- und Lufttemperaturen nicht im Entferntesten zu denken. Dafür konnten wir bereits auf der über einstündigen Busfahrt immer wieder einen Blick auf beeindruckend hohe begrünte Dünen werfen.

Als wir endlich in Nida ankamen, war ich sehr erleichtert, als ich einen Busfahrplan an der Straße entdeckte, von dem mir jedoch keiner zuverlässig sagen konnte, ob dieser auch eingehalten wird. Ich wusste sofort, dass, wenn wir nicht den Bus um 14.00 Uhr bekommen sollten, wir unser Schiff definitiv verpassen würden, war die Abfahrt des nächsten Busses doch erst für 17.00 Uhr angekündigt.

So hatten wir immerhin 90 Minuten Zeit, das Thomas Mann-Haus zu bewundern und die faszinierende Landschaft mit allen Sinnen wahrzunehmen. Dabei betäubte das kalte Ostseewasser bei einem kurzen Strandspaziergang sogar ausgesprochen wohltuend meine Dauerschmerzen. Sehr gerne wären wir noch stundenlang an diesem so fantastischen Ort geblieben, aber meine Sorge wuchs, hatten wir ja noch eine über einstündige Bus- und anschließende Fährfahrt sowie einen Fußweg zurück zum Schiff zu bewältigen.

So war ich ausgesprochen erleichtert, als sich der Bus, zwar völlig überfüllt mit Schulkindern, einigen litauischen Ausflugsfamilien und anderen Einheimischen, aber relativ pünktlich um 14.00 Uhr auf den Weg zurückmachte. Auf der kurzen Fährüberfahrt wurde unser Jüngerer sofort von einem einige Jahre älteren litauischen Jungen sehr neugierig gefragt, wie es ihm denn ginge und woher er käme. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie schnell die Kinder und Jugendlichen unabhängig ihrer Herkunft ins Gespräch kommen und war auch auf unseren Jüngeren sehr stolz, der tatsächlich, obwohl er erst die vierte Klasse besucht, schon eine einfache Konversation auf Englisch beherrscht.

Glücklicherweise kamen wir, immer noch bei Eiseskälte, so rechtzeitig wieder in Klaipeda an, dass wir sogar noch einen Sprung in die älteste Stadt von Litauen wagen konnten. Klaipeda, das früher Memel heißt, ist zwar nach Vilnius und Kaunas die drittgrößte Stadt des Landes, aber recht viel Sehenswertes bietet das Stadtzentrum nicht. Und so beschränkten wir uns – allein auch fußtechnisch bedingt – auf den Theaterplatz, den als Wahrzeichen ein Brunnen mit der Figur des „Ännchen von Tharau“ schmückt, für die der deutsche Dichter Simon Dach das gleichnamige Lied geschrieben hat.

Erschöpft – wurde uns doch auch noch in der Nacht während der Überfahrt von Danzig nach Litauen eine Stunde aufgrund der Zeitverschiebung „gestohlen“ -, aber dankbar, dass wir das Schiff noch pünktlich erwischt und die faszinierende Natur an der kurischen Nehrung erleben durften, kehrten wir so überpünktlich zum Schiff zurück, dass wir uns sogar noch an Waffeln – das Highlight für unseren Zölisohn ist dabei, dass ich ihm sogar glutenfreie Waffeln organisieren konnte – und Eisschokolade bzw. – kaffee stärken konnten.

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