Der letzte Tag der Schulwoche begann just genauso wie der erste dieser kräftezehrenden Periode, mit extrem wenig Schlaf und diversen Körperflüssigkeiten, welche ihren eigentlichen Bestimmungsort in (un)regelmäßigen Abständen verließen, um in (im besten Fall) eiligst herbeigetragenen Schüsseln, auf dem Boden, über der gesamten Bettwäsche – auch des schlafenden Zwillingsbruders -, auf der Straße und an einigen anderen Orten verteilt zu werden.
Ausschließlich die Ursache des kindlichen Unwohlseins war zu Beginn der Woche rein auf die väterliche Unvernunft und Nonchalance zurückzuführen (der Besuch eines abendlichen Fußballspiels, das eine Rückkehr erst gegen 23 Uhr ermöglicht, muss doch eigentlich an einem Sonntag wirklich nicht sein…), während wohl am Ende der Woche ein Virus eine größere Rolle zu spielen schien.
Das Erbrechen stellt bei Typ1-Diabetikern immer eine ganz besondere Herausforderung dar -vom nächtlichen kompletten Bettwäsche- und Schlafanzugwechsel abgesehen -, ist doch die Gefahr eines Unterzuckers stets sehr groß, wenn das Basalinsulin nach wie vor fließt, aber z.B. der mühsam nächtlich verabreichte Traubenzucker gegen einen kurz zuvor aufgetretenen Unterzucker wieder ausgespuckt wird.
Als sich nach einigen nächtlichen schlaflosen Stunden die Mägen wieder ein wenig beruhigt hatten, drehte sich mein Gedankenkarussell immer noch schneller. „Müssen wir nun die komplette Erstkommunion absagen? Was mache ich, wenn einer der Zwillinge gesund, der andere krank ist? Kann man die Erstkommunion erst nächstes Jahr wieder nachholen? Wenn es ein Virus ist, muss ich ja sofort alle Gäste informieren, damit sich ja keine/r ansteckt. Ich möchte auf gar keinen Fall irgendjemanden gesundheitlich gefährden. Hoffentlich bekomme ich dies blutzuckermäßig bei beiden gut geregelt, und, und, und.“
Das Ende der Überlegungen wurde durch den morgendlichen Wecker eingeläutet. Während die Jungs selbstverständlich zu Hause blieben und sich auskurierten, musste ich mich völlig übermüdet schulfertig machen. So recht konzentrieren konnte ich mich leider nicht, waren meine Gedanken doch stets bei den Jungs und konnte ich nur hoffen, dass baldige Besserung eintreten würde.
Tatsächlich sprang der Jüngere mir mittags wieder guter Dinge fußballspielend entgegen, während sein armer Bruder noch ganz ermattet auf der Coach lag. In der Hoffnung, dass auch bei ihm baldige Genesung eintreten würde, startete ich meinen Backmarathon und stellte erleichtert fest, dass es auch dem Älteren stündlich besser ging.
Am Abend stand als besonderes Highlight die Eröffnung des Yogazimmers meiner allerlangjährigsten Freundin, mit der ich bereits in die erste Klasse zusammen gegangen bin, an, welche ich mir selbstverständlich keineswegs – auch unter diesen widrigen Umständen – nehmen lassen wollte. Anlässlich der Eröffnung kamen wir in den Genuss einer absolut traumhaften Yinyogastunde.
Es scheint mir nichts Besseres als diese Form des Yogas zu geben, ist dies doch das erste Mal gewesen, wo wirklich gar nichts anstrengend, sondern einfach ausschließlich entspannend und für Physis und Psyche eine große Wohltat war. Und diese sollte mich noch gut gestärkt durch die gesamte Nacht tragen. Wie sehr verfluchte ich in dieser mal wieder die absolute Unberechenbarkeit und das Ausgeliefertsein bei dem Typ 1 Diabetes, unabhängig davon, wie sicher man ansonsten beim Typ 1-Diabetesmanagement ist.
Nach der traumhaften Yogastunde hatte ich mich an das Backen von Kuchen Nummer 3 und Nummer 4 gemacht. Waren die Blutzuckerwerte bis um 23.30 Uhr bei unserem Jüngeren noch in allerbester Ordnung und erfreuten sich großer Stabilität, erschrak ich sehr, als der Blutzuckersensor nur eine Stunde später einen Blutzuckerwert von 328 mit steigender Tendenz anzeigte. Es kommt immer wieder vor, dass das Hautgewebe der Katheterstelle, welche ich alle zwei Tage für die Insulinpumpe steche, plötzlich zuschwillt und kein Insulin mehr durchfließen kann, auch wenn der Katheter erst wenige Stunden liegt.
Und so musste ich mitten in der Nacht abermals einen neuen Katheter stechen, von der ständigen Sorge getrieben, dass auch danach die Blutzuckerwerte nicht genügend sinken und die nächste Ketoazidose verursachen würden. Der liebe Gott hatte allerdings mit uns ein Einsehen und gewährte den Söhnen am nächsten Tag beste Gesundheit, stabile Blutzuckerwerte und auch noch strahlenden Sonnenschein, so dass dank aller lieben Gäste einer schönen Erstkommunionsfeier nichts mehr im Weg stand.
Als Eltern von gesunden Kindern kann man sich das sicher gar nicht vorstellen, aber ich hatte in der Nacht vor diesem großen Sakrament in den wenigen Stunden, in denen ich etwas Schlaf erhascht hatte, den Alptraum, dass unser Zöli -obwohl ich dies im Vorfeld dem Pfarrer und der Pastoralreferentin natürlich mehrfach angekündigt hatte – aus Versehen die glutenhaltige Hostie in die Handgelegt bekommt und ich filmreif à la : „Dann möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen…“ zum Altarraum renne und unserem Sohn in letzter Sekunde die glutenhaltige Hostie entreiße…
In der Realität war ich sehr gerührt, dass sich nicht nur die Pastoralreferentin sofort mit einem Schälchen, in der die glutenfreie Hostie lag, unserem Sohn näherte, sondern auch dieser – von mir seit zwei Jahren unaufhörlich zöliakiebedingt gebrieft („frag bitte immer nach, ob es auch wirklich glutenfrei ist; iss bitte nur etwas, bei dem du sicher von der Glutenfreiheit weißt“) nach Erhalt der Hostie ein Daumenzeichen nach oben machte, nach dem Motto: „Mama, entspann dich, ich habe alles im Griff.“ Diese in allen Bereichen geglückte Erstkommunion konnte auf diese Weise immerhin etwas über die traurige Tatsche hinwegtrösten, dass dies nun bereits die zweite Familienfeier ist, an der mein Vater nicht mehr lebend teilnehmen kann.
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