
Und auch an diesem Tag durften wir eine weitere europäische Hauptstadt mit Helsinki kennenlernen. Einige Wochen zuvor hatte ich mit den Jungs für eine bevorstehende HSU-Probe alle europäischen Hauptstädte mit ihren bekanntesten Attraktionen und Wahrzeichen wiederholt und ihnen dabei auch nahegebracht, wie lebensnah dieses Lernen ist, würden wir doch einige Wochen später in einige dieser vorgestellten Hauptstädte an der Ostsee kommen.

Allerdings sollte dieser Tag in Finnlands Hauptstadt einige Ärgernisse und Hindernisse bereithalten. War ich an diesem Tag extra noch deutlich früher als sonst aufgestanden, um uns drei Fahrräder zu sichern, sollte dieses Vorhaben nur von all zu kurzer Dauer sein. Ich hatte gerade die Leihfahrradverträge unterschrieben, musste aber noch mit den Jungs zum Frühstücken gehen, da die Kohlehydratfaktoren immer für bestimmte Uhrzeiten am Tag gelten, so dass die Mahlzeiten möglichst immer zu ähnlichen Tageszeiten eingenommen werden müssen. Als wir die Pier wieder startbereit erreicht hatten, mussten wir feststellen, dass unsere Fahrräder bereits an andere vergeben waren.

Während der für die Räder zuständige Steward mit uns und meinem kaputten Sprunggelenk Mitleid hatte, spielte die Dame an der Rezeption, die über eine ungute Mischung aus Arroganz und völliger Empathielosigkeit verfügt, ihr Machtspielchen aus, bei dem wir nur den kürzeren ziehen konnten und erstickte bereits im Ansatz die sehr liebe Idee des Stewards, dass wir doch stattdessen einfach drei der bereits in zu großer Anzahl bereitgestellten Crewfahrräder benutzen könnten.

Ich war den Tränen nahe, hatte ich doch extra deshalb noch einige Schlafstunden zusätzlich neben all den kleineren und größeren Dramen geopfert, um ja in Helsinki mobil bleiben zu können. Während die Zwillinge immerhin einen spektakulären Ausblick auf die gesamte Stadt in einer Gondel des 40 Meter hohen Riesenrads, das sogar eine Extrasaunakabine und eine Champagnerbar besitzt, genießen durften, verlor ich wertvollste Zeit und viele Nerven sowie das Erleiden noch größerer Schmerzen durch den Versuch, an Leihfahrräder zu kommen, deren erstes großes Manko schon einmal darin bestand, dass die relativ komplizierte Anleitung ausschließlich auf Finnisch verzeichnet war.

Nachdem ich hierfür extra eine sehr freundliche Dame in dem Fremdenverkehrsamt aufgesucht hatte, welche mir bereitwillig das gesamte Entleihsystem für Helsinki erklärte, mir jedoch gleichzeitig gestand, dass es gerade bei nicht finnischen Handynummern, welche man ja bei jeder Accounterstellung zwingend angeben muss, immer wieder Probleme geben würde, versuchte ich es bangen Herzens.

Die Erleichterung, dass meine Accounterstellung mit der Hinterlegung meiner Handy- und Kreditkartennummer nach einigen Versuchen erfolgreich verlaufen war, währte allerdings nur kurz, nachdem es uns beim besten Willen nicht gelang, die gewünschten Fahrräder an der nächsten Leihstation, an der es noch eine größere Anzahl gab, zu entsperren. Die Zeit schmolz dahin und wir hatten noch so gut wie nichts von Helsinki gesehen, dafür schmerzten schon meine Füße und eine Grundgebühr für alle drei Räder – anders als in Tallinn einen Tag zuvor ist es in Helsinki immerhin möglich, auf einen Account bis zu vier Räder auszuleihen- war auch schon zu meinem Unmut völlig nutzlos von meinem Konto abgebucht worden.

Zum „Luxusproblem“, dass in Helsinki offenbar die Fahrräder nur jeweils eine Stunde genützt werden sollten, für jede weitere Stunde noch eine Extragebühr erhoben wird und nach einer Abgabe von mehr als fünf Stunden eine saftige Strafe erhoben wird, obwohl man bereits im Vorfeld den etwas in die Irre führenden 24-Pass erworben hat, kamen wir gar nicht. Ein zufällig vorbeifahrender städtischer Mitarbeiter erkannte meine große Verzweiflung und rief in unseren Namen sogar sofort bei der Fahrradhotline an, welche jedoch nur lapidar die Auskunft gab, dass die Kreierung des Accounts erfolgreich verlaufen war, aber es offenbar noch etwas Zeit braucht, bis der Geldtransfer verzeichnet ist.

Schlussendlich erhielt ich zu meiner großen Verzweiflung die Bestätigungsmail, dass wir nun mit dem Radentleih beginnen könnten, erst eine Stunde vor der Abfahrt unseres Hafenshuttlebusses zum Schiff zurück. Und diese Radleihgebühr sollte an diesem Tag nicht die einzige unnütze Geldausgabe sein. Bin ich ansonsten auf jedem Ausflug immer ausgesprochen sparsam, kehre nie ein, kaufe nichts zum Essen oder Trinken oder gehe auch absolut nie shoppen oder ähnliches, war ich von immer stärkeren Fußschmerzen gequält und durch das Laufen wegen der widrigen Umstände so verzweifelt, dass ich mich in der (Zeit)not kurzerhand zum Kauf von Tickets für den relativ kostspieligen Hop on Hof-Bus entschied, erschien mir dies doch die einzige Möglichkeit, wenigstens noch einige der anvisierten Hauptattraktionen Helsinkis in großem Zeitstress anzusteuern.

Diese Entscheidung fällte ich übrigens kurzerhand, als ich dermaßen schmerzgeplagt mitten auf der Esplanade von Helsinki stand, welche fast mit den Champs Elysées zu vergleichen sind, ich jedoch vor lauter Schmerzen für keine Schönheit mehr einen Sinn hatte, selbst nicht für einen wunderbaren Hörgenuss, als plötzlich von einem der dortigen Straßenkünstler eines meiner Lieblingslieder „Halleluja“ gespielt wurde…

Auch wenn wir in großem zeitlichem Stress waren, schafften wir es dank des überteuerten Hop on Hop of-Busses immerhin zu der Felsenkirche. Diese evangelische Kirche ist eine in einem etwa 12 Meter aufragenden massiven Felsen gehauene Rundkirche mit einer Glaskuppel, die aufgrund ihrer exzellenten Akustik oft für Konzerte genutzt wird. Sehr viel Zeit blieb uns nicht, da unser Sightseeingbus nur alle 30 Minuten verkehrte und wir unbedingt noch zum Sibeliusdenkmal wollten.

Die Wartezeit auf den nächsten Bus verkürzten uns sehr herzliche Mexikaner, welche sofort mit uns ein Gespräch begannen, erzählten, dass sie auch gerade eine Kreuzfahrt machen und anschließend noch einige Tage in Stockholm verbringen würden und die von den Jungs so begeistert waren, dass sie uns gleich zu sich nach Mexiko einluden.

In diesem ganz besonderen Park wird der Dichter Jean Sibelius geehrt und die Anlage verströmt eine ganz spezielle Atmosphäre. Die Arbeiter waren offenbar so ausdauernd und übereifrig beim Anfertigen des Sibeliusdenkmals, dass danach viele ihr gesamtes weiteres Leben mit Asthma zu kämpfen hatten. Uns verblieb bis zur Schiffsrückkehr nicht mehr viel Zeit, so dass wir weder einen ursprünglich von mir geplanten Saunabesuch schafften noch mit der Fähre zu einer kleinen Insel vor Helsinki übersetzen konnten.

Dafür erreichten wir mit letzter Kraft sogar noch die unglaublich innovative Bibliothek von Helsinki, welche nicht nur ganz selbstverständlich auch für alle Besucherinnen und Besucher am Sonntag bis abends geöffnet ist, sondern zudem auch viele Plätze bietet, an denen man z.B. kostenlos an Nähmaschinen oder auch an Werkbänken arbeiten kann. Zudem spielt sich das gesamte öffentliche Leben auf dem großen Platz davor ab. So war z.B. eine große Gruppe an Jugendlichen zu sehen, welche begeistert diverse Tänze aufführten.

Wie gerne hätte ich mich an diesem Ort noch viele Stunden aufgehalten, was die Zeit aber nicht mehr zuließ, stand den Söhnen (und ich hatte extra auch die Erlaubnis für mich eingeholt) noch am Nachmittag ein Highlight in Form einer Brückenführung bevor. Beseelt von diesem so besonderen Bibliotheksambiente trieb ich die Jungs so schnell ich konnte zu der nächst gelegenen Hop on Hop ofdf-Busstation und wartete ungeduldig auf den nächsten Bus, der uns über eine halbe Stunde warten ließ und mich extrem viele Nerven kostete.

Eine Vielzahl an Bussen rauschte an uns vorbei, nur leider kein einziger unserer Linie. Die Zeit drängte, mussten wir doch vom Senatsplatz mit dem charakterisch weißen Dom noch ein beträchtliches Stück zum Shuttlebus zurücklaufen und hatte ich mich schon so gefreut, dass nicht nur die Jungs, sondern auch ich zum ersten Mal in unserem Leben an einer Brückenführung teilnehmen durften.

Das Glück war mir an diesem Tag jedoch nicht hold, ohne erfolgte Fahrradbenutzung, dafür mit so viel Geldverschwendung für die Grundgebühr des nicht erfolgten Radausleihens sowie des teuren und relativ ungenutzten Sightseeingbusses, mit entsetzlichen Fußschmerzen und übermüdeten Zwillingen kam schließlich aufgrund einer Fährankunft aus Tallinn noch nicht einmal unser Shuttlebus durch die Stadt. Das einzig Rettende war die liebe Oma von Gustav – die deprimierenderweise deutlich fußlaufstärker als ich war- und sich sofort bereit erklärte, die Zwillinge zu Fuß zurück zum Schiff, so dass diese noch mit Hängen und Würgen an der Brückenführung teilnehmen konnten und offensichtlich auch höchst interessierte und kompetente Fragen stellten, während ich leider von Schmerzen geplagt, mit einer 20-minütigen Verspätung erfolglos an der Brückentür geklopft hatte, nicht wissend, dass die erste Brückentür immer geöffnet ist und ich mich einfach einen Gang hindurch hätte wagen müssen.

Übrigens musste nicht nur ich mich an diesem Tag immer wieder in großer Geduld üben, auch die Bewohnter von Helsinki strömten vom herrlichen Sonnenschein angezogen in Scharen zu einem der angesagtesten Strandbäder mitten in der Stadt, dem sogenannten Allas-Sea-Pool-Spa-Komplex, der direkt neben dem Marktplatz mit Blick auf den Hafen liegt und mit drei verschiedenen Außenpools mit warmen Wasser, Salz- und Süßwasser auch auf mich ausgesprochen anziehend wirkte. Allerdings waren die Warteschlangen so unglaublich lange, dass wir auf diese Weise ganz sicher nicht nur die Brückenführung, sondern die komplette Schiffsabfahrt verpasst hätten.

Allen, welche auch einmal in Helsinki sein sollten, kann ich nur dringendst die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel empfehlen. Offenbar bekommt man für etwa 10 Euro ein 24-Stunden-ticket, mit dem man nicht nur alle Busse und Trambahnen, sondern ebenso die Fähre zu der Seefestung Suomenlinna benutzen kann. Bin ich normalerweise in solchen Verkehrsfragen wirklich immer so fit und bestens im Vorfeld durch nächtelange Recherchen vorbereitet, vernebelte mir der bereits frühe Ärger über das unmögliche Verhalten der Rezeptionistin in Kombination mit einem stressbedingtem, großflächigem Lippenherpes und einigen anderen Sorgen offenbar so gründlich das Gehirn, dass ich an diesem Tag völlig kopflos durch diese Stadt wankte, die so reizvoll auf einer Halbinsel am Finnischen Meerbusen gelegen ist.

Dass sich übrigens wie so oft im Leben vieles im Leben ganz anders verhält als es erscheint und auch dass die Fotos häufig malerischer wirken als es in der Realität der Fall war, seien noch zwei Anekdoten von Bord erwähnt. „Hast du viele Fotos gemacht?“ fragte die Kabinenreinigungsdame (oder sagt man analog zur Bezeichnung des Kabinenstewards Kabinenstewardess?) unseren Jüngeren, als dieser sich gerade auf mein Geheiß noch Insulin abgab für einen glutenfreien Müsliriegel. Wie oft passiert es uns, dass die Leute denken, dass unsere Söhne ständig an einem digitalen Gerät herumspielen, wo es sich doch ausschließlich um die medizinisch überlebensnotwendige Insulinpumpe handelt. Die Philippinerin hatte so etwas noch nie gesehen und ließ sich daraufhin sehr interessiert alles Technische genau zeigen.

Und dass ich mir jeden Tag den Mund fusselig rede ohne durchschlagenden Erfolg sei an dieser kleinen Situation exemplarisch dargestellt: Ich redete bereits eine halbe Stunde vor dem abendlichen Hauptgericht eindringlich auf die Jungs ein, dass es ernährungsphysiologisch super wäre, wenn sie als Beilage an diesem Abend unbedingt Kartoffeln essen würde, fühle ich mich doch auch auf Reisen für eine halbwegs ausgewogene Ernährung und damit einhergehende gute Blutzuckerwerte verantwortlich. So fällt auch der allabendliche Genuss von Eis, Pralinen und Kuchen leichter.

Nun akkumulierte sich an diesem Abend, an dem in Helsinki tagsüber schon vieles schief gelaufen war, meine Frustration, als ich auf die reichhaltig von den Söhnen am Büffet selbst befüllten Teller blickte, auf denen von Würsten bis zu (glutenfreien) Nudeln alles erdenklich zu finden war, nur kein einziges Stückchen der von mir so angepriesenen Kartoffeln…

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