Es war ausnahmsweise kein Dienstag, sondern der gestrige Samstag, der sich am Abend zu einem ziemlichen Alptraum verwandelt hat. Wie meinem gerade veröffentlichtem Rezept zu entnehmen, hatten wir die Familie – leider mit einigen Absenzen aufgrund von Erkältungen – wie jedes Jahr traditionell zum Essen des typischen französischen Dreikönigskuchen, der galette des rois eingeladen. Der Quasischwager wurde der diesjährige König, alle freuten sich für ihn und es wurde anschließend gegessen und gespielt.
Gerade als sich die Schwiegermutter darüber echauffierte, dass sich ihr Mann trotz bevorstehender Rückfahrt mit dem Auto in seinem Glühwein sogar einen Schuss Rum genehmigt hatte, kam unser jüngster Sohn vom Keller und wirkte plötzlich wie ein Betrunkener, der keinem Gespräch mehr folgen konnte, geschweige denn sinnvoll zu sprechen vermochte. Ich erschrak fürchterlich und fragte ihn angesichts des Glühweinchaos immer wieder sehr aufgebracht, ob er irgendeinen Alkohol erwischt hätte, wozu ich aber auch keine eindeutige Aussage erhielt.
Sein allgemeiner Gesundheitszustand verschlechterte sich jedoch leider so rapide und er brach bewusstlos zusammen, dass wir sofort einen Rettungswagen riefen, der bewundernswert rasch mit einer Vielzahl von Rettungskräften und dem Kindernotarzt bei uns eintraf. Nach dem Klären einiger skurriler Situationen – so stellte sich heraus, dass unser Notarzt eigentlich gar nicht im Dienst war und ihn unser Anruf beim Vorhaben, seinen vollkommen leeren Autotank an der Tankstelle zu befüllen, erreichte, so dass er, nachdem wir in die Notaufnahme gefahren worden waren, erst von den Rettungssanitätern wieder zu seinem Auto bei uns zu Hause gefahren werden musste – eilten wir mit hohem Tempo im Rettungswagen zur Notaufnahme. Zu allem Überfluss hatte ich unserem Sohn kurz vor dem Zusammenbruch noch das Insulin für das Abendessen gegeben, so dass ich den Rettungssanitätern immer mantraartig eintrichterte: “Er hat noch 30 KH Insulin zu viel.”, bis ihm schließlich intravenös Glukose verabreicht wurde.
Ein eindeutiger Vorteil einer Fahrt im Rettungswagen ist nicht nur die deutlich kürzere Fahrtzeit, sondern auch, dass wir anders, als wenn ich mit einem oder mehreren Kindern mit dem eigenen Auto in die Notaufnahme gefahren bin, unter Umgehung jeder Wartezeit sofort in den Schockraum gebracht wurden. Dort wurden zahlreiche Untersuchungen und Tests zur spätabendlichen Stunde durchgeführt, stand doch der Verdacht eines “raumfordernden Ereignisses” (Tumor) oder auch eines Schlaganfalls im Raum.
Begleitet von Dauerpanik war ich heilfroh, als ich erfuhr, dass wir trotz nächtlicher Stunde und des Feiertags sogar als bildgebendes Verfahren ein – deutlich weniger strahlendes – MRT statt eines CTs zugestanden bekamen. Und unser Sohn war trotz der misslichen Gesamtsituation davon beeindruckt, als er lernte, dass für die gesamte Dauer des MRTs die Kinder- und Erwachsenenklinik sogar bei der Leitstelle abgemeldet werden müssen.
Nachdem wir mühsam abgeklärt hatten, dass sowohl der Katheter der Insulinpumpe als auch der ziemlich frisch gestochene Blutzuckersensor vor der Untersuchung im MRT entfernt werden müssen, wurde ich, nachdem ich beide Fragen “Sind Sie schwanger?” und “Tragen Sie einen Herzschrittmacher?” verneinen konnte, mit unserem Sohn zusammen in den Untersuchungsraum geleitet. Da saß ich nun mit doppeltem Herzrasen spätabends mit unserem zu untersuchenden Sohn. Ironie des Schicksals, dass ich mich nun doch schon im Januar im MRT-raum befand, habe ich aufgrund meiner permanenten Kopfschmerzen ja auch schon seit Wochen einen Überweisungsschein für ein MRT, gedulde mich aber wegen meine Klaustrophobie noch ein wenig, bis der Termin im offenen MRT kommt.
Und nun saß ich direkt vor der Röhre, im Dunstkreis des MRT, um unseren Sohn zu beruhigen, wir beide trugen Ohrstöpsel und Kopfhörer aufgrund der extremen Lautstärke und ich fühlte mich ein wenig an Papageno aus der Zauberflöte erinnert, dem ein Schloss an den Mund gehängt wurde, nachdem er das Reden nicht lassen konnte. Auch ich wollte auf unseren tapferen Sohn unbedingt beruhigend einwirken, was keine leichte Aufgabe ist, wenn er weder richtig seinen Blick auf einen richten kann noch irgendwie sprechen darf und selbst ich durfte nicht besänftigend auf ihn einreden, nachdem wir gleich die erste Sequenz wiederholen mussten, nachdem er, als ich das Wort an ihn gerichtet hatte, ein wenig den Kopf bewegt hatte.
Aus den angekündigten 25 Minuten sollten grauenhafte 75 Minuten werden, meine Sorgen stiegen ins Unermessliche, als der arme Kerl auch noch ein Kontrastmittel gespritzt bekam, von dessen Gabe es im Vorfeld hieß, dass dies nur beim sich erhärtenden Verdacht auf einen Tumor gegeben würde. Das einzig Beruhigende war, dass ich rührenderweise schon während der Rettungswagenfahrt mit unserer absoluten Lieblingsdiabetologin in Kontakt stand, obwohl sich diese gerade in der Elternzeit befindet.
Als wir endlich völlig fertig den Untersuchungsraum verlassen durften, war sehr lange im ganzen Haus kein passender Katheter, den ich dringend für die Insulinzufuhr hätte stechen müssen, für unseren bestimmten Insulinpumpentyp zu finden, was zu großem zusätzlichen Stress meinerseits führte. Als wir gegen Mitternacht auf der Station endlich fündig wurde, wurden nicht nur weitere kleinere Untersuchungen durchgeführt, sondern wir mussten auch noch unsere kompletten Essenswünsche für die gesamte nächste Woche – ich hätte alles dafür gegeben, keine einzige Nacht stationär bleiben zu müssen – für alle drei täglichen Mahlzeiten angeben. Vor Müdigkeit verschwammen mir bereits alle Buchstaben vor den Augen und wir kreuzten mit letzter Kraft die jeweils glutenfreien Varianten an.
Endlich durfte dann unser armer Sohn gegen 1.00 Uhr nachts voll verkabelt einschlafen, was mir die ganze Nacht nicht gelingen sollte, gab das EKG-überwachungsgerät doch die ganze Nacht in unregelmäßigen Abständen schrille, nicht enden wollende Alarmtöne von sich, alternierend vermeldete die Insulinpumpe diverse Alarme. Und wenn es in unserem Zimmer gerade mal leise war, waren die Alarmtöne der Überwachungsgeräte der Nachbarzimmer umso deutlicher zu vernehmen. Zudem war das Beistellbett so kurz, dass ich mich unzählige Male beim schlaflosen Hin- und Herwälzen an dem großen Zeh verletzte. Zudem drohte ich, auch wenn es mit Sicherheit deutlich korpulentere Eltern gibt, bei jedem Umdrehen aufgrund des schmalen Bettes auf den Boden zu purzeln. Und die Nachtschwestern mussten ja auch noch regelmäßig nach dem Rechten schauen.
Zum allerersten Mal in meinem Lehrerinnenleben kann ich nun leider erst verspätet den Unterrichtsbeginn aufnehmen und hoffe inständig, dass die morgigen Untersuchungen den Grund für das gestrige gesundheitliche Drama aufdecken und gleichzeitig nichts Tragisches ergeben werden. Immerhin freut sich der kleine Patient schon auf die bevorstehende erste Mahlzeit des Tages, als er kurz vor dem Schlafengehen schwärmte: “Das Frühstück ist hier sooo gut.”
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