Biarritz von Andrea Sawatzki aus dem Piper-Verlag

Andrea Sawatzki ist nicht nur eine äußerst bekannte und vielseitige deutsche Schauspielerin, sondern schreibt auch seit Jahren zahlreiche Bücher, mit denen sie mittlerweile bereits zur Spiegelbestsellerautorin avanciert ist. Nach ihrem autofiktionalen Roman „Brunnenstraße“ ist nun ganz aktuell im Piper-Verlag der Roman „Biarritz“ erschienen, in dem sie ein atmosphärisch sehr dichtes Bild der Beziehung einer Tochter zu ihrer verwitweten Mutter zeichnet, das mit Sicherheit auch von zahlreichen persönlichen Mutter-Tochter-Erlebnissen der Autorin selbst geprägt sein wird. Von der ersten Seite an taucht man tief in das Leben der alleinerziehenden Emmi mit ihrer Tochter Hanna in den Sechzigerjahren ein, was naturgemäß alles andere als einfach zu bewältigen war.

Und der Bogen spannt sich bis zu der Zeit hin, in der sich das Abhängigkeitsverhältnis von Mutter und Tochter um 180 ° Grad gewendet hat, befindet sich doch die betagte und demente Mutter als Pflegefall in einem Altersheim. Andrea Sawatzki gelingt es spielend, sehr schwungvoll, an einigen Stellen sogar höchst amüsant und insgesamt ausgesprochen mitreißend zu schreiben. Der Wechsel zwischen Geschichten und Anekdoten, die sich während der Kindheit und Jugendzeit der Protagonistin ereignet haben, verzahnen sich kunstvoll und immer sehr harmonisch mit der aktuellen Zeit, in welcher Hannas Mutter im Pflegeheim betreut und von der Tochter jeden Sonntag besucht wird. Bei einem ihrer Besuche findet sie zu ihrer großen Überraschung plötzlich ihre Mutter in der Gesellschaft einer weiteren Mitbewohnerin vor, deren Vertrauensverhältnis zueinander ihr enger erscheint als das ihrige. 

Bei vielen Passagen kann man sich an einer ganz besonderen Textpoesie erfreuen und die einzelnen Szenerien sind so detailgetreu und bildreich beschrieben, dass man förmlich sogar das im Roman beschriebene Lieblingsparfum der Mutter erschnuppern kann. Die Autorin und Schauspielerin beschreibt sowohl hautnah den erschreckend schnellen geistigen und körperlichen Verfall von Emmi als auch bedrückende Kindheitsmomente von längst vergangener Zeiten. Zugleich blitzen immer wieder kleine Oasen des Glücks und der Zufriedenheit, gerade auch im Leben der schicksalsgebeutelten Hanna, durch.

Alle, welche zu Beginn der Lektüre über den Buchtitel „Biarritz“ bei der Inhaltsangabe ein wenig verwundert waren, werden spätestens in der Buchmitte tief im Herzen gerührt verstehen, wofür dieser französische Ort im Baskenland für die Protagonistinnen  insgesamt steht. So individuell das in dem Buch dargestellte Schicksal auf der einen Seite ist, so generalisierend verbindend spielen wohl im Leben aller Menschen auch solch starke Emotionen wie Hass und Schuld eine mehr oder minder große Rolle, für die es manchmal wie eine kleine Katharsis wirkt, sich in genau dieselben Gefühlszustände der Protagonistin mit all ihren Ambivalenzen hineinzuversetzen.

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