
Bereits bei dem Titel und dem stimmungsvollen Coverbild kommt man ins Träumen und Schwärmen bei diesem ganz aktuell im Berlin-Verlag erschienenen Roman der schweizerisch-deutschen Autorin Ulrike Ulrich. Die poetische Romanhandlung spielt in der Stadt der Liebe, in welcher die Schriftstellerin Liane Steffen an ihre acht Jahre zuvor an Krebs verstorbene Freundin Jana Briefe schreibt, verbrachte sie doch mit dieser viele Tage und Wochen in dem geliebten Paris. Dieses Werk verbindet nicht nur stimmungsvoll gemalte Darstellungen von Paris und der Künstlerszene – dabei wird besonders noch auf eine vergessene reale französische Autorin und Näherin, Louise Crombach, eingegangen, welche im 19. Jahrhundert unter anderem einen Roman über eine Frauenfreundschaft verfasste -, sondern es wird generell die Freundschaft sowie die Literatur als zwei extrem wichtige Größen im Leben eines jeden Menschen gefeiert. Gerade in den heutigen Zeiten, in denen man in vielen Bereichen eine zunehmende Individualisierung und Zersplitterung innerhalb der Gesellschaft zu beklagen hat, ist dieser Roman ein wahrer Seelenbalsam, welcher sich höchst engagiert ebenso für eine solidarische Gemeinschaft einsetzt.

Die Autorin verfügt über einen wunderbaren, leichtfüßigen Schreibstil. Charakteristisch für dieses Werk ist es, dass je weniger die äußere Handlung voranschreitet, die sechzigjährige Protagonistin Liane Steffen umso intensiver über ihr bisheriges Leben und ihre so tiefe Freundschaft zu Jana reflektiert. Zudem blitzt oft auch ein feinsinniger Humor durch die Zeilen. Die einzelnen Szenen sind so detailgetreu geschrieben, dass vor dem geistigen Auge unverzüglich ein ganzer Spielfilm abläuft. Die Romanhandlung spielt im Jahr 2021 zu Zeiten der Corona-Pandemie. Dabei nehmen meiner Meinung nach die damals herrschenden Coronakontroversen, welche die Autorin immer wieder als Reflexion der Protagonistin im Rahmen des Verfassens der einzelnen Briefe an ihre verstorbene Freundin einfließen lässt, bisweilen zu viel Platz ein. Andererseits spielt der Roman eben mitten in diesem Pandemiejahr, so dass er auf diese Weise auch ein ganz spezielles Zeitzeugnis der alle erschütternden Pandemie und der coronabedingten Lockdowns bietet, die im Französischen übrigens mit „confinement“ bezeichnet wurden.

Durch den gesamten Roman fließen immer wieder klangvolle französische Sätze ein und selbst ich als Französischlehrerin habe dank dieses Buchs noch meinen Französischwortschatz um eine weitere Vokabel erweitern dürfen, habe ich doch erfahren, dass im Französischen der Altweibersommer mit dem ausdrucksstarken „l’été de la Saint- Martin“ bezeichnet wird. Und nicht nur dadurch versprüht das Werk ein authentisches französisches Flair. Die für Paris so typischen Cafés und Gebäude erscheinen dank der bildreichen Beschreibung sofort vor dem geistigen Auge der Leserschaft und es findet sogar das wahrscheinlich schönste Bahnhofsrestaurant der Welt, „Le Train bleu“, in diesem atmosphärischen Werk Einzug.

Genauso musste ich immer wieder schmunzeln und an meine mit den Kindern selbst erlebten Radepisoden in Paris denken, wenn man von den Tücken der vélib-Räder in dem Roman liest. Nicht zuletzt lernt man insgesamt Beachtliches aus der Literaturgeschichte und wird zur weiteren Lektüre zahlreicher im Roman erwähnter Autoren und Autorinnen inspiriert. „Zeit ihres Lebens“ ist eine gelungene Mischung aus einer äußeren Handlung im stets auf’s Neue bezauberndem Paris sowie Reflexionen und die intensive Beschäftigung mit den unterschiedlichsten französischen Autorinnen, welche den meisten ansonsten gar kein Begriff wären.




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