
Bereits bei zahlreichen antiken Autoren findet man viele Aphorismen und Sinnsprüche rund um ein Thema, das alle Menschen ausnahmslos betrifft und in jeder Generation seit Menschenbeginn stets aktuell ist, den Tod. „Media vita in morte sumus.“ erinnerte die Menschen damals genauso an die eigene Endlichkeit wie auch bereits die Aufforderung des römischen Dichters Horaz „Carpe diem!“, welche genau dasselbe Lebensmotto verbreitet wie es auch in einem Sinnspruch von Friedrich Nietzsche, welcher noch vor Beginn dieser Romanhandlung zitiert wird, eindrücklich zu lesen ist.

„ Wie bei einem Theaterstück kommt es im Leben nicht darauf an, wie lange es dauert, sondern wie gut es gespielt wird.“ Und auch wenn uns die eigene Endlichkeit sehr bewusst ist, wird sie im Alltag oft bewusst oder unbewusst verdrängt, ist der Geist doch viel zu sehr mit dem Alltagstrubel beschäftigt oder möchte auch das Unausweichliche nicht weiterdenken. Einen ganz anderen Blick auf das Leben bekommen viele Menschen, unabhängig ob jung oder alt, wenn sie eine todbringende Krankheit diagnostiziert bekommen. Wie sehr sich das Leben im Angesicht des Todes verdichten kann, wie elementar Freundschaften für das menschliche Leben sind und dass Eros und Thanatos nicht nur in der Antike im selben Atemzug genannt wurden, erfährt man in dem ganz aktuell im Unken-Verlag erschienenen Roman „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“, dessen Ereignisse und handelnde Personen wie in jedem belletristischem Werk frei erfunden sind, aber dessen Autorin Lou Bihl jahrelang krebskranke Patienten betreut hat und im medizinischen, aber auch im psychoonkologischen Bereich bestens bewandert ist. Dieser Roman ist bereits ihr viertes literarisches Werk.

Auf über 260 Seiten liest man in ausgesprochen packender und überaus flüssig zu lesender Schreibweise, wie sich die Ärztin und Palliativmedizinerin Helena aufgrund der sehr aggressiven Brustkrebserkrankung ihrer Freundin Marlene plötzlich auch im privaten Bereich mit der Achterbahnfahrt von der Krebsdiagnose bis zur letzten Bitte der Freundin um einen assistierten Suizid zu Hause auseinander setzen muss. Dem fiktiven Romanteil folgt zudem für alle Interessierten auf den letzten Seiten noch ein ausführliches Glossar zu zahlreichen medizinischen Begriffen sowie die bibliographischen Angaben zu einer großen Anzahl an wissenschaftlichen Aufsätzen und Büchern rund das Thema des assistierten Suizids sowie Krebserkrankungen und medizinischen Fachbegriffen.

Auch wenn man vielleicht sonst das Thema der eigenen Sterblichkeit weit von sich wegschiebt, wird man diesen packenden Roman nicht mehr aus der Hand legen wollen, taucht man doch tief von der ersten Seite an in diese so berührende und facettenreiche Geschichte ein. Durch das geschickte Spiel mit Zeitsprüngen lässt einen die Autorin die Protagnisten zunächst in der aktuellen Zeit erleben, bevor die Leser von Seite zu Seite tiefer in die gesamte Krankheits- und Freundesgeschichte, die bereits einige Jahrzehnte zuvor begann, eintauchen können. Der Roman ist vielschichtig geschrieben und ist ausgesprochen flüssig zu lesen, auch durch die verschiedenen Schreibstile bedingt. So greifen Erzählungen in zahlreiche Mailwechseln, welche die Handlung ebenso weitertreiben, überaus stimmig wie passende Puzzleteile ineinander. Auch haptisch bereitet einem das Buch in der vorliegenden Hardcoverversion mit einem schönen Lesebändchen große Freude. Dieses Werk verflicht als eines der wenigen sehr kunstvoll den Plot einer vielschichtigen und emotional sehr berührenden Geschichte mit bestens recherchiertem medizinischem Fachwissen auch rund um das Thema des assistierten Suizids, dem sich wahrscheinlich die wenigsten auf der reinen wissenschaftlichen Ebene widmen würden.

Und man leidet und lacht mit den Protagonisten so lebhaft mit, dass das Vergießen einiger Tränen, mal aufgrund einer amüsanten Anekdote, öfters jedoch aufgrund der z.B. so plastischen Schilderung der ambivalenten Gefühlslage kurz vor dem Suizid der Schwester der Protagonistin, unausweichlich ist und ebenfalls zu der sogenannten Katharsis, einer seelischen Reinigung bei der Leserschaft beitragen kann. Dazu passt sehr gut, wenn der Ehemann der todkranken Marlene sein wirkungsvollstes und ganz nebenwirkungsfreies Eskapismusmittel auf den Seiten 192/193 verrät, indem er sagt: „Es ist das Lesen – die einzige Möglichkeit, mich zuverlässig in andere Erlebniswelten zu befördern und einen Abstand zu gewinnen, der mich zwar von der Situation distanziert, aber nicht von Lene“. Und so sei dieses Buch allen zur Lektüre wärmstens empfohlen, unabhängig davon, ob man ebenfalls aus einer belastenden Lebenssituation fliehen möchte, einen gut recherchierten Roman über Krebserkrankungen und unterschiedlichste Aspekte der Sterbehilfe lesen will oder sich wünscht, von einem packendem Roman von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt zu werden.

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