
Der Musicalabend war eine mehr als würdige Entschädigung für den Stress, den wir bei unserer Ankunft in Köln erleben mussten. Da das Diabetes Sweetcupturnier, das alljährlich in Polen stattfindet, ungünstiger Weise dieses Jahr just in die bayerischen Faschingsferien gelegt worden war und die Jungs dennoch unbedingt dort hinfahren wollten, fuhren diese mit dem Vater ab Aachen über Berlin nach Polen, während wir Damen – aufgrund mangelnder Informationen hatte ich auch bereits für die Jungs schon die drei Tage in Köln unstornierbar fest gebucht gehabt – uns mit fünf Koffern, drei Rucksäcken und einigem weiterem Handgepäck auf den Weg zu unserer Unterkunft machten.

Um unseren Älteren nicht weiter zu verärgern, hatte ich brav zwei Koffer ausschließlich mit den während der drei Karnevalszüge gesammelten Karnevalssüßigkeiten bestückt, auch wenn wir nun vor dem Problem standen, mit vier Händen fünf Koffer sowie viele Taschen transportieren zu müssen. Während dieses logistische Problem uns bei den ersten (Roll)treppen nur zusätzliche Zeit kostete, sollte es uns bei der Station Neumarkt vor wesentlich größere Probleme stellen.

Auf der Suche nach der richtigen Linie zur Mauritiuskirche wirkten wir offenbar bereits in der U-Bahn so hilfsbedürftig, dass uns ein sehr liebenswürdiger Obdachloser nicht um Geld bat, sondern uns erklärte, in welche Tramlinie wir umsteigen müssten. Zudem legte er uns noch ans Herz: „Passen Sie ja auf all Ihre Koffer auf!“ Und wir verstanden sehr schnell, was er damit meinte, als wir aus der U-Bahnstation ins Freie auf den Neumarkt traten, wo es von merkwürdigen und teils furchterregenden, zumindest größtenteils sehr vertrauensunwürdigen Gestalten nur so wimmelte.

Wir stellten fest, dass es zu unserem Hotel nur mehr etwa 600 Meter Fußweg wären, aber aufgrund meiner starken Fußschmerzen und der Überzahl an Koffern entschlossen wir uns, auf die nächste Linie der 9-er Trambahn zu warten. Die Trambahn fuhr ein, die Türen öffneten sich. Wir ließen erst alle Fahrgäste comme il faut aussteigen und trugen die ersten beiden Koffer rein, ich rannte gerade zu unserem dritten. Die Tochter wollte zugleich den vierten Koffer reinwuchten, als sich plötzlich die Türen schlossen.

„Ich drück schnell, dass sie sich wieder öffnen.“, rief sie. Aber die Türen gingen nicht mehr auf, die Trambahn fuhr mit zwei unserer fünf Koffer los. Erste Verzweiflung stieg in uns hoch, als die Tram wenige Meter später abermals anhielt. Wir rannten hinterher in der Hoffnung, dass der Tramfahrer oder andere Fahrgäste unser Malheur bemerkt und gemeldet hätten. Fast hatten wir die Bahn erreicht, als diese unerbittlich ihre Fahrt fortsetzte, welche offenbar nur durch einen kurzen Halt an der roten Ampel unterbrochen worden war.

Die Verzweiflung wurde größer und größer, „Wie schafften wir nur wieder eine möglichst rasche Kofferzusammenführung? Wann würde wohl diese Tramlinie genau wieder an unserer Haltestelle vorbeikommen?“ Da erblickte ich drei Mitarbeiter der Kölner Verkehrsbetriebe, welche rauchend und plaudernd in der Sonne standen und unser geschildertes Problem erst gar nicht so recht verstehen wollten, bis sich doch der eine von ihnen erbarmte, die Leitstelle anzufunken. Einige Minuten später „beruhigte“ er uns mit den Worten: „Sollten die Koffer noch nicht entwendet worden sein, wird sie der Fahrer nun beim nächsten Halt zu sich in sein Fahrerhäuschen nehmen. In einer guten halben Stunde fährt die Tram dann wieder an der gegenüberliegenden Seite vorbei und dann können Sie sich bei dem Fahrer melden.“

Mein Herz raste und ich überlegte fieberhaft, was in den zwei führerlosen Koffern überhaupt alles enthalten war. Der eine Koffer, dessen Reißverschluss sowieso schon seinen Geist fast aufgegeben hatte, enthielt zum größten Teil Schmutzwäsche – immer wieder faszinierend zu sehen, wie viel zu waschende Wäsche bei vier Personen innerhalb nur weniger Tage anfällt, damit mir nur ja nicht die häusliche Arbeit ausgeht…-, der andere, noch voluminösere Koffer beinhaltete nicht nur zahlreiche von mir zu korrigierende Stegreifaufgaben, bei deren Verlustvorstellung mir heiß und kalt wurde, sondern ebenso eine große Tüte an einer Auswahl an Schokoladenostereiern, welche wir extra einen Tag vorher für eine sehr liebe Lateinlehrerkollegin von mir im Lindt-Werksverkauf in Aachen erstanden hatten sowie neu angefertigte Einlagen für mich und einiges weiteres, deren Neubeschaffung sich nicht als einfach erwiesen hätte. Panik stieg in mir auf und mein Herzschlag erhöhte sich beängstigend schnell.

Dennoch blieb uns nichts anderes übrig, als mit den uns noch verbliebenden Koffern zum Hotel zu hetzen und inständig auf das Wiedersehen mit den beiden anderen Gepäckstücken zu hoffen. Als wir erschöpft eine halbe Stunde später zum Fahrerabteil nach vorne gingen, wo wir erleichtert bereits den Koffergriff eines unserer beiden Koffer entdeckten, hatte der neu zugestiegene Trambahnfahrer, der just in diesem Moment seinen Kollegen, der einfach ohne uns abgefahren war, ablöste, mit einem süffisanten Lächeln gefragt: „Ja, wie kann man denn seine Koffer vergessen?“ Zu gerne hätte wir dem Kollegen die Gegenfrage gestellt: „Wie kann man denn einfach losfahren, wenn zwei verzweifelte Münchnerinnen mit viel Gepäck noch draußen stehen?“, aber wir waren einfach froh, dass alle unsere Habseligkeiten wieder zu uns gefunden hatten…

Übrigens blieben wir dem Ambiente/dem Oberthema von Moulin Rouge auch unterkunftsmäßig treu, hatte ich doch unserer Tochter zuliebe, welche zwar auch immer brav bei allen Stadtbesichtigungen mitmacht, aber ansonsten eher viel vom Chillen hält, ein Hotel mit Schwimmbad gebucht. Da ich am Tag der Hotelbuchung wie immer unter großem Zeitdruck stand, hatte ich nicht lange recherchiert und auch keine einzige Hotelbewertung gelesen, sondern quasi für uns im Blindflug ein Hotel gebucht. Nach den Tagen mit den Zwillingen, welche mir kaum Atempausen vergönnten, freute ich mich schon auf einen ruhigen Mutter-Tochter-Tag und schwärmte unserer Mittleren bereits während der Zugfahrt von Köln nach Aachen vor, wie herrlich wir dann in dem Hotelschwimmbad schwimmen könnten.

Nach dem Kofferschreck hatten wir erst einmal unsere mitgebrachte Brotzeit auf der Sonnenterasse mit Blick auf den Kölner Dom genossen, bis uns ein relativ aufdringliches Pärchen – sie in etwa in meinem Alter aus Aschaffenburg, er knappe 30 aus Berlin, beides starke Raucher – ungefragt ihre halbe Lebensgeschichte auf’s Auge oder besser gesagt auf die Ohren drückte.

All meine höflichen Fluchtversuche schlugen fehl, so dass ich mich nur noch mit der Ansage, dass wir nun in das Schwimmbad gehen würden, zu retten vermochte. Doch auch zu diesem Thema bekamen wir gleich etwas zu hören, was wir gar nicht glauben konnten. „In dem Schwimmbad sind übrigens alle nackt“, berlinerte der junge Mann und ich sah förmlich, wie unsere Tochter am liebsten auf der Stelle in den Boden versunken wäre. Auf dem Weg von der Dachterrasse in das in dem Untergeschoß gelegene Schwimmbad versuchte ich sie noch zu beruhigen: „Also, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Klar, dass man in der Sauna nackt ist, aber doch nicht beim Schwimmen.“, wusste ich doch, dass es für unsere Teenagertochter wenig peinlicheres gab, als unbekleidete Menschen zu sehen oder sogar selbst nackt zu sein.

Doch ich sollte nicht recht behalten. Als wir den Nassbereich gerade betreten hatten, kam uns schon eine Horde nackter Menschen entgegen und in dem runden, für mich viel zu kleinen Swimmingpool, zog auch gerade zum töchterlichen Entsetzen ein splitterfasernackter Mann seine Runden. Warum sich nicht mehr in dem Pool aufhielten, merkten wir sofort, als wir selbst in den Pool – aus Solidarität mit der Tochter hatte ich selbstverständlich auch einen Badeanzug an- stiegen, wies dieser doch eher Eisschwimmer- denn Hallenbadtemperaturen auf…So versuchten wir es in dem kleinen Außenpool, den wir als einzige weit und breit nicht textilfrei betraten. Hier war das Wasser badewannenwarm, zum Schwimmen viel zu heiß und die gesamte Gestaltung des Außenbereichs war mehr als gewöhnungsbedürftig. Der gesamte Sauna-und Poolbereich wirkte bereits sehr in die Jahre gekommen, der Außenbereich toppte in dieser Beziehung noch einmal alles durch eine Kombination einer abgenudelten Fototapete, auf der Tempel vor schneebedeckten Bergen zu sehen waren, einer Kunststoffpalme, die halb in das Waser ragte und bei der lammelenversehenen Überdachung ist wahrscheinlich nach der Hälfte des Baus das Geld ausgegangen.

Alles in allem fühlte ich mich tatsächlich eher an einen Swingerclub denn an ein Hotelschwimmbad erinnert. Die phallusartigen Aufsteller, welche auf die Rutschgefahr hinwiesen sowie ein unmotiviert daliegendes schwarzes Seil am Rande des Außenbeckens ließen sehr leicht vor dem geistigen Auge Szenen entstehen, welche eher in das Rotlichtmilieu der 80- oder 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts als in ein Wellnesstempel passen würden.

Dafür ließen sich in dieser Wellnessanlage – langsam verstand ich, warum der Rezeptionist mich korrigiert hatte, als ich nach dem Ort des Schwimmbads fragte und meinte, dass das kein Schwimmbad, sondern eine Wellnessanlage sei- die unterschiedlichsten Milieustudien durchführen. Anders als z.B. in einem exklusiven Wellnesshotel im bayerischen Voralpenland vertrieb sich in diesem Kölner Nassbereich ein bunter Querschnitt von Deutschlands viertgrößter Stadt seinen wohlverdienten Feierabend. Ganzkörpertätowierte liefen mit stolz geschwellter Brust ebenso nackt durch den gesamten Nassbereich als auch junge Männer mit dicken goldenen Ketten um den Hals und das Handgelenk. Überhaupt dominierte eindeutig der Männeranteil in allen Altersklassen.

Ebenso gut waren aber auch hauptsächlich ältere Männer anzutreffen, welche ihre Blütezeit bereits deutlich überschritten hatten. Bin ich nach drei Schwangerschaften, wovon eine mit Zwillingen extrem die gesamte Haut um Bauch und Beine ausgedehnt und verletzt hat, die letzte, welche sich als attraktiv bezeichnen dürfte, verstand ich doch unsere Tochter nur allzu gut, die plötzlich ganz erleichtert feststellte: „Ach, jetzt ist es ja ganz gut, dass ich ohne meine Brille nur alles ganz verschwommen sehe.“ Und als ich sie fragte, wie lange sie im Whirlpool bleiben wolle, antworte sie mir umgehend: „Ich gehe sofort raus, wenn ein Nackter da hineingeht.“

Kurz nach unserem dortigen abendlichen Eintreffen entstand plötzlich ein Tumult und ein jüngerer Mann, dem man wohl kein Unrecht antut, wenn man behauptet, dass diesem definitiv keine großen intellektuellen Fähigkeiten zuteil geworden sind, hatte seine Freundin im Schlepptau und trieb einen älteren Mann mit Glatze und einem beachtlichen Bierbauch, immerhin mit einem Saunatuch bedeckt, wie eine Kuh beim Almabtrieb vor sich her, bis er diesen zum Badeaufseher unter wüsten Beschimpfungen bugsiert hatte. Ein wenig später sollte sich herausstellen, dass dieser schmierige ältere Mann wohl deutlich mehr als ein Lüstling war, schien es doch als erwiesen, dass er sich nicht an das herrschende absolute Handyverbot gehalten hatte und mehrere Leute in den verschiedenen Whirlpools unbekleidet gefilmt hatte.

Da war unsere Tochter selbstverständlich doppelt erleichtert, dass wir in unseren Badeanzügen wohl kein geeignetes Filmmaterial abgegeben hatten…Als Mamaglucke versorgte ich unserer Tochter noch mit dem mitgeschlepptem Abendessen und genehmigte mir dann – wenn auch mit schlechtem Gewissen, verliert man als Mutter wohl nie das Gefühl, ständig auch für die Unterhaltung der Kinder sorgen zu müssen, noch einen unbekleideten Gang in die sogenannte Inhalationssauna. Auch diese war bereits etwas in die Jahre gekommen, aber erfüllte brav mit einem japanischen Aromaölaufguss ihren Dienst und ich war sogar zunächst die einzige in dieser nur 70 ° Grad warmen Sauna.

Kurz danach erblickte ich allerdings einen so gebrechlichen, älteren Mann, der das Öffnen der Saunatür beinahe kräftemäßig nicht geschafft hätte, dass ich ihm sofort half. Er bedankte sich und fing unverzüglich ein Gespräch an, in dem ich erfuhr, dass er seit der Wende in Köln lebt, nun bereits 88 Jahre alt ist, immer zur Wochenmitte in die Sauna geht und unbedingt noch einmal seine (Ur)enkel in Berlin besuchen wollte, von der Angst getrieben nach der ihm bevorstehenden Herz-OP nicht mehr aufzuwachen. Mein Beruhigungsversuch à la: „Also, wenn Sie nicht in den letzten Jahren schon 10 Anästhesien hatten, bin ich mir sicher, dass Sie die Narkose und die OP bestens überstehen werden!“, schlug peinlicherweise fehl, als er nur trocken meinte, dass er in den letzten Jahren sehr oft operiert wurde.

Als er mir dann noch ausgesprochen ausführlich seien gesamte Krankengeschichte mitsamt der just für diesen Tag angesetzten und aus welchen Gründen auch immer abgesagten schweren Herz-OP erzählte, wurde meine Angst von Minute zu Minute größer, dass ich bereits in der Sauna erste Hilfe leisten müsste…Glücklicherweise ging alles gut und wir konnten uns am letzten Tag unseres Kölnaufenthalts auf den Weg nach Herne begeben.

Ich wäre wesentlich lieber noch einmal entlang des Rheines geradelt, aber hatte unserer Tochter bereits seit langem einen Besuch in der einzigen Barbieausstellung Deutschlands in diesem Jahr versprochen. Damit, dass wir allerdings mit Bahn und Bus für knapp 100 Kilometer von Köln nach Herne über 3,5 Stunden nur für den Hinweg benötigten, hätten wir nicht gerechnet. Dafür erfuhren wir in der dortigen Ausstellung, welche in einem malerischen Wasserschloss zu sehen war, wirklich alles Erdenkliche rund um das Thema der am meisten verkauften Puppe weltweit, welche dieses Jahr bereits ihren 65. Geburtstag feiert.

Dass diese beliebte Puppe ihren Namen aufgrund der Tochter Barbara der amerikanischen Entdeckerin Ruth Haendler erhalten hatte, war dort ebenso verzeichnet wie die Tatsache, dass bereits im alten Rom Kinder mit Terracottafiguren mit beweglichen Gliedern gespielt hatten oder aber auch, dass Barbie inspiriert wurde durch die Erfindung der Bild-Lilli, welche sich ein deutscher Karikaturist ausgedacht hatte. Auch wenn der Rückweg von dieser Barbiesonderausstellung nicht deutlich unbeschwerlicher aufgrund von Stellwerk- und diversen anderen Störungen verlief, so dass wir fast den gesamten Tag in hoffnungslos überfüllten Zügen verbracht hatten, hoffe ich, der Tochter damit ihren Barbiewunsch erfüllt zu haben.

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