Sommerferien = Urlaubszeit – diese so einfache Gleichung wird in unserer Familie noch durch die Summe zahlreicher weiterer angenehmer und weniger angenehmer Aktivitäten ergänzt. Nicht nur im August, sondern in nahezu allen Schulferien gilt es, einen kleinen Ärztemarathon zu bewältigen. Hierbei ist an den regelmäßigen Besuch beim Kieferorthopäden genauso sorgfältig zu denken, wie an den Zahnarzttermin (aufgrund nächtlicher Traubenzuckergaben wegen Unterzuckerungen habe ich bei den Jungs immer noch eine größere -leider auch berechtigte – Kariessorge).
Der Termin in der Kinderdiabetologie ist so wie der Besuch des Augenarztes und des Psychokinesiotherapeuten ebenso nicht zu vergessen. So sei es mir nachgesehen, dass ich vom viel beschworenen Mental Load bereits Jahre, bevor dieser Begriff in aller Munde war, immer noch erdrückt, mich nicht sofort um einen Hautarzttermin für unsere Söhne gekümmert habe. Als nun im Lauf der Sommermonate die Warze am Fuß des Älteren immer mehr Platz beanspruchte und der Jüngere an immer mehr Hautstellen so merkwürdige rote, dicke Punkte hatte, welche sich nach dem Aufkratzen auch leider entzündeten und von einer Kinderdiabetologin – offenbar völlig zu Unrecht – als Spinnenbisse (was mir sofort sehr abstrus erschien) beurteilt worden war, kam ich um die Terminvereinbarung bei einem Dermatologen nicht mehr vorbei.
Während ich mich immer sehr freue, wenn ich dank meiner zwangsläufig sehr großen Ärzteexpertise, vielen im Freundes- und Bekanntenkreis den einen oder anderen Geheimtipp geben kann, war ich vor einigen Jahren bei der Suche nach einem kompetenten Hautarzt selbst auf Hilfe angewiesen und bin dir, liebe Eva, ausgesprochen dankbar für diese Adresse.
Ich hatte einige Wochen auf den ersten freien Termin warten müssen und so koinzidierte leider am heutigen Tag der Geburtstag des Vaters mit unserem Triple-arzttermin beim Dermatologen, was meinen Cortisolspiegel bereits in den frühen Morgenstunden in ungeahnte Höhen schnellen ließ, musste doch vor unserem vormittäglichen Arzttermin das Mittagessen vorgekocht, ein glutenfreier Schokonusskuchen gebacken und die hochläufige Hündin ausgeführt werden, mit der zur Zeit jeder einzelne Spaziergang zum reinen Spießrutenlauf mutiert.
Mehr oder weniger pünktlich hatte ich es dennoch geschafft, mit den Jungs in Richtung München mit dem (immer noch daueralarmpiepsendem) Auto aufzubrechen. Auf der Hinfahrt warnte ich die Kinder vor: „Meine Lieben, der Professor ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet, aber wirklich etwas speziell, oft verhält er sich sehr ruppig.“ „Mama, was heißt ruppig?“ ertönte es postwendend von der Hinterbank. „Also, wundert euch nicht“, „erklärte ich, „wenn er jetzt nicht erst einmal fragt, wie es euch geht oder so, sondern, wenn er sofort eure betroffenen Hautstellen anschaut.“ Nachdem ich 12 (!) Seiten Formulare für uns drei in der Hautarztpraxis ausgefüllt und einige Seiten den Jungs von den drei ??? vorgelesen hatte, wurden wir relativ zügig vom Chef persönlich in das Sprechzimmer gerufen.
„Wieviel Uhr haben wir es?“ war seine Begrüßungsfrage und ich beeilte mich, artig und präzise, unverzüglich darauf zu antworten: „11.44 Uhr“, weiß ich doch bereits von meinen letzten Besuchen, dass ihm nichts mehr als eine gewisse Verträumtheit oder Langsamkeit verhasst ist. Beim Anblick unserer Söhne erhellte sich seine Miene schlagartig und er begrüßte die beiden – in fast schreiendem Ton. Was er genau sagte, verstand allerdings nicht nur aufgrund seines extrem hohen Sprechtempos keiner von uns dreien.
Und schon zog er unseren Jüngeren zu sich, stellte bei dem Blick auf die beiden Insulinpumpen der Zwillinge fest: „Oh, da haben Sie ja ein ganz schönes Päckchen zu tragen“ und legte mir dann wortlos das Dermatoskop in die Hand. „Das ist doch keine Lupe!“, blaffte er mich an, „Sie müssen das Teil schon direkt auf die Haut legen.“ Ich zuckte etwas zusammen und nahm sogleich die ängstliche Haltung eines Grundschulmädchens in der ersten Klasse ein, tat wie geheißen und erkannte selbst als medizinischer Laie unter der Vergrößerung und dem grellen Licht die kleinen schwarzen Pünktchen. „Das sind Dellwarzen. Eine Virusinfektion, die auch bei den Menschenaffen und den Eseln (die dritte Tiergruppe habe ich aufgrund seines Wortschwalls vergessen) vorkommen. Die verschwinden eventuell nach Monaten/Jahren auch wieder von selbst. Aber wenn man sie aufkratzt, entzündet es sich und sie vermehren sich auch immer weiter. Also, die schabe ich jetzt weg. Aber da es eine drei- bis vierwöchige Inkubationszeit gibt, werden Sie in ein paar Wochen noch weitere entdecken. Da kommen Sie dann nicht gleich wieder zu mir. Ich bringe Ihnen jetzt bei, wie Sie das selbst machen.“
Vor lauter Haushalts- und Kinderstress am Vormittag hatte ich trotz starken Hungers es natürlich nicht geschafft, auch nur einen Bissen zu mir zu nehmen und allein schon bei der Vorstellung, so kraftlos und eh schon mit leicht schummrigem Gefühl nun auch noch mit einem sehr scharfen Werkzeug beim eigenen Sohn Dellwarze für Dellwarze abtragen zu müssen, ließ mich erschaudern. Der Professor griff zum Telefon, nachdem er alle von Dellwarzen betroffenen Stellen beim jüngeren Sohn farbig markiert hatte und meinte: „Da rufe ich jetzt gleich die Alte an, die soll dann alle Stellen erst mal eincremen.“
Ich dachte, dass ich mich verhört hätte, aber er meinte mit der „Alten“ tatsächlich eine blutjunge MFA, über die er sich lobend geäußert hatte, dass die alle wirklich sehr nett seien, aber man müsse ihnen „immer Beine machen“. So hatte er auch am Telefonhörer die äußerst prägnante Anweisung gegeben: „Bitte, es soll eine MFA kommen, und zwar SOFORT!“ Während alle Dellwarzen mit einer anästhesierenden Creme vorbehandelt wurden, begutachtete der Professor die Fußsohle unseres Älteren. Er war ganz überrascht, dass dieser, obwohl er ja Tag und Nacht mit seinem Zwillingsbruder zusammen ist, keine einzige Dellwarze, sondern lediglich eine „vulgäre Plantarwarze“, bei deren Therapieerfolg allerdings die Erfolgsaussichten bei mageren 60 Prozent liegen, vorzuweisen hatte. Plötzlich wandte sich der Arzt unserem Älteren zu und konstatierte: „Jetzt habe ich schon die ganze Zeit gesprochen“ (und das in einem Affenzahn…), „jetzt liest du mal!“ und drückte ihm einen dicken medizinischen Wälzer in die Hand, zeigte auf die Seite 219 und gab die Anweisung: „Da unten fängst du an zu lesen. Unser Sohn, auch wenn er ansonsten das Selbstlesen meidet wie der Teufel das Weihwasser, wagte nicht zu widersprechen und hob an. „Wenn der subjektive Leidensdruck nicht zu hoch ist….“, da hatte ihn der Arzt schon unterbrochen, weil es ihm offenbar nicht schnell genug ging.
Der Professor vollendete den mit vielen Fachtermini gespickten wissenschaftlichen Abschnitt und bugsierte unseren Sohn in Windeseile auf die Liege und schabte mit Inbrunst, gänzlich ohne Verwendung einer Anästhesiecreme so lange an der Warze herum, bis das Blut nur so spritzte. Ich hatte aus Zeitgründen bereits für den Arztbesuch ein korallenfarben-weiß gebatiktes Sommerkleid angezogen, das auch zu dem anschließendem Geburtstagskaffee in unserem Garten passte und hatte zur Beruhigung während der gesamten blutigen Schabaktion die Hand unseres Älteren gehalten. Tapfer ertrug er alles, ohne einen einzigen wehklagenden Ton auszustoßen, obwohl es aus der betroffenen Hautstelle enorm blutete. Nach getaner Arbeit klatschte der Dermatologe mit einer solchen Wucht auf die relativ stark blutende Stelle, die er zuvor noch großflächig mit Desinfektionsmittel besprüht hatte, einen großen Tupfer, dass die rötlich-durchsichtige Flüssigkeit nicht nur in hohem Bogen auf die gesamte Liege spritzte, sondern sich gleichermaßen auf den weißen Streifen meines Kleides verteilte.
Als der Arzt im selben Atemzug schließlich noch einwarf: „Was halten Sie davon, wenn wir die Jungs gleich HPV impfen lassen? Das schützt nicht nur alle Mädchen und die Jungs vor Genitalkrebs, sondern auch zuverlässig vor dem sehr qualvollem Zungenkrebs, von dem fast ausschließlich Männer betroffen sind. Außerdem habe in einer Studie überraschend herausgefunden, dass nach dieser Impfung sogar ausgesprochen hartnäckige Warzen verschwinden.“ Das war dann wohl doch alles selbst für unseren ausgesprochen robusten und leidgeprüften armen Sohn zu viel. Kalkweiß im Gesicht und mit kaltem Schweiß über der Oberlippe stieß er plötzlich hervor: „Mama, nein, keine Impfung, ich glaube, ich habe ein Schock. Mein Herz rast total.“ In gewohnt rasanter Manier reagierte unser Professor vorbildlich auch auf diesen kindlichen Notfall, lagerte den kleinen Patienten gleich fachgerecht mit den zitternden Beinen auf seinem dicken Steuerunterlagenordner des vergangenen Monats und rief abermals in seinen Telefonhörer: „Weiße Handtücher, SOFORT!“
Unverzüglich eilte eine junge Dame mit nassen Handtüchern herbei, die wir ihm auf die Stirn und das Gesicht legten. Es war zusätzlich zu den sehr warmen Temperauren von über 33 ° Grad bereits am späten Vormittag extrem stickig in dem kleinen Sprechstundenzimmer, was wohl normalerweise auch nicht für 5 Personen ausgelegt ist. Ich war so beschäftigt, mich um die beiden Jungs zu kümmern, dass ich vor lauter Schockstarre kurzfristig vergaß, warum ich eigentlich auch für mich einen Termin bei dem Dermatologen vereinbart hatte.
Nach einer Schreckenssekunde fiel es mir wieder ein und ich zeigte ihm meine seit Monaten immer größer werdende, leicht schmerzende und teilweise sehr störende dickliche Verknöcherung unterhalb des Ellenbogens. „Das ist etwas Gutartiges, aber sollte schon dringend operativ entfernt werden.“ urteilte er rasch und rief unseren jüngeren Sohn unverzüglich zu sich. „So, die Betäubungscrème ist nun eingewirkt. Ich zeige Ihnen jetzt, wie man die Dellwarzen entfernt und dann dürfen Sie ran.“
Ich weiß sehr wohl, warum ich mich für ein Altphilologen-, und beileibe kein Medizinstudium entschieden habe, kann ich doch unter anderen überhaupt kein Blut sehen. Nun wurde ich jedoch ungefragt zur Hilfsärztin befördert. Allerdings kam ich mir dabei wie ein völlig unfähiges Lehrmädchen vor. „Nein“, ertönte es prompt hinter meinem Rücken, „die Kappe müssen Sie so abziehen. Und das Messerchen wie einen Griffel halten. Wie halten Sie denn den in der Hand???“ Nachdem es mir tatsächlich gelungen war, zwei Dellwarzen fachmännisch unter dem kritischen Blick des weißhaarigen Professors zu entfernen, stieß er sogar ein kurzes Lob in meine Richtung aus: „Sie machen das super!“ Und lobende Worte fand zu meiner großen Überraschung sogar beim Mittagessen unser leidgeprüfter älterer Sohn zu dem vormittäglichem herausforderndem Arztbesuch, indem er meinte: „Das ist ein sehr netter, lustiger Arzt.“
Am Ende des Tages sind unsere Söhne um zahlreiche Warzen unterschiedlicher Herkunft ärmer und ich um ganz neuartiges medizinisches Fachwissen reicher, auch wenn das Gewicht des mental loads nun noch zugenommen hat, muss ich doch ab jetzt bei der Plantarwarze alle drei Tage die Hornhaut zuverlässig abschaben und mit einer bestimmten Creme behandeln, während ich den anderen Sohn jeden Abend auf weitere Dellwarzen untersuchen soll, welche ich dann sofort unter Beachtung der Anweisungen wie „Die Haut beim Entfernen immer angespannt halten. Von allen Seiten vorsichtig das Kügelchen wegschieben, etc.“ entfernen muss.
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