Karfreitag, Kreuzweg, Kutsche, Kuckucksuhren

Üblicherweise besuche ich mit den Kindern stets am Karfreitag einen Kinderkreuzweg in unserer Kirche, der jedoch aufgrund unserer heutigen Abreise aus dem Schwarzwald ausnahmsweise ausfallen musste. Dafür hatte ich die vergangene Nacht ein noch etwas schwereres Kreuz als sonst zu tragen und das wirklich stündliche Aufstehen bzw. fast gar nicht mehr Schlafen entsprach den vielen Stacheln der Dornenkrone. Dieser Vergleich soll selbstverständlich auf keinen Fall blasphemisch wirken…

Lief in der heutigen Nacht alles schief, was man sich bei einem neu gestochenen Blutzuckersensor nur vorstellen kann (zuerst stellte ich gegen Mitternacht fest, dass der Transmitter nicht richtig saß und der Blutzuckersensor noch gar nicht seine Initiallaufzeit aufgenommen hatte, dann war aufgrund des langen Wasseraufenthalts in der Therme der Katheter der Insulinpumpe rausgerutscht, etc.). All diese kleineren Dramen ließen mich jedenfalls so gut wie überhaupt nicht schlafen und noch wesentlich schlimmer – obwohl ich unserem Älteren stündlich aufgrund der so hohen Blutzuckerwerte Insulin manuell nachgeschossen hatte und er bereits in den frühen Morgenstunden wieder Blutzuckerwerte im Normbereich erreicht hatte – kam es, wie ich es nachts bei einem Insulinmangel immer am meisten fürchte, zu einer sogenannten Ketoazidose.

Obwohl ich unseren armen Sohn mehrmals nach seinem Wohlbefinden gefragt und er keine Unpässlichkeit geäußert hatte, änderte sich dies schlagartig beim Frühstücksbüffet – natürlich hatte ich ihm eine Minute davor schon das Essensinsulin gegeben – und wir schafften es in allerletzter Minute noch bis zur Toilette. Eine Ketoazidose äußert sich häufig durch starke Bauchschmerzen und/oder Übergeben.

Und so lief ich mit dem armen Kerl schnurstracks wieder in unser Zimmer zurück, ließ ihn sich gleich wieder in das Bett kuscheln und stellte ihm vorsichtshalber noch eine Speibschüssel daneben. Wie gut, dass ich auf der Autohinfahrt so viel verschiedenes Essen mitgeschleppt hatte, dass sich in dieser großen Schüssel, die ich nun zweckentfremden konnte, der gemischte Salat befunden hatte.

Und keine Sorge: diese eine spezielle Metallschüssel ist ausschließlich meinen Salatkreationen für mich vorbehalten, so dass kein Gast jemals befürchten muss, dass er während einer Essenseinladung bei uns aus der besagten Schüssel etwas kredenzt bekäme.

Bin ich am Abreisetag sowieso immer ziemlich gestresst und schleppe ich auch für nur wenige Tage allein bezüglich des gesamten Diabetesequipments ausgesprochen viel mit, hetzte ich nun immer wieder zusätzlich zwischen unserem Jüngeren und meiner Mutter im Frühstückraum und unserem armen anderen Sohn im Hotelzimmer im zweiten Stock in einem anderen Bau hin und her.

Glücklicherweise ging es diesem nach einer Stunde deutlich besser und er konnte noch die letzte halbe Stunde des Frühstücks auskosten, bevor ich mich eilig an das finale Kofferpacken und Autoeinladen machte. Während unser armer Ketoazidosen geplagter Sohn den verpassten Nachtschlaf im Auto nachholte, quälte ich mich Berg auf, Berg ab unter anderem auch durch die sehr reizvolle Panoramastrecke durch das Höllental bis hin zum Titisee, begleitet von der ständigen Sorge, dass sich unser Jüngster aufgrund der zahlreichen Kurven in Kombination mit seinem empfindlichen Magen ebenfalls übergeben müsste.

Mir war vor lauter Schlafmangel und Dauersorgen auch ganz flau im Magen, aber ich wollte meiner Mutter unbedingt den See zeigen, dessen Existenz ich als Kind bei jedem Stadt, Land, Fluss-Spiel angezweifelt hatte, da ich gar nicht glauben konnte, dass der lautmalerisch so klangvolle Titisee nicht nur tatsächlich leibhaftig existiert, sondern dass dieser zu jeder Jahreszeit zu einer der beliebtesten Touristenattraktionen im gesamten Schwarzwald zählt.

Und in der Sonne auf einer Bank sitzend, mit Blick auf den Titisee, konstatierte unser Älterer dann auch ganz versonnen: „Irgendwie finde ich es hier sehr cool.“ Und auch die Vielzahl der Geschäfte mit einem breit gefächerten Kuckucksuhrenangebot faszinierte uns. Hierbei ist es interessant zu wissen, dass in den Geschäften am Titisee – wie es uns der Geschäftsinhaber ausführlich erklärt hat – insgesamt Kuckucksuhren von mindestens sechs verschiedenen Uhrwerkstätten angeboten werden, deren Firmensitz oft in derart entlegenen Orten ist, dass man diese noch nicht einmal mit einem Navi findet.

So stellt es für alle Beteiligten eine Win-win-situation dar, wenn das gesamte Uhrensortiment am bekannten Titisee angeboten wird. Auch wenn meine Mutter von den zahlreichen Touristenströmen eher weniger begeistert war, fühlten sich alle an diesem See wohl und am Rückweg konnte wir sogar noch eine Kutsche bestaunen.

Auch wenn glücklicherweise die Folgen einer Ketoazidose durch konsequente zusätzliche Insulingaben nach einem bestimmten zu berechnenden Schema relativ schnell behoben werden können, sitzt mir der Schreck darüber oft noch tagelang danach in den Knochen. Wird mir doch einmal mehr bewusst, wie fragil dieses gesamte Diabetesmanagment ist und an wie vielen Stellschrauben nur ein wenig schief gehen muss, dass es große negative gesundheitliche Folgen nach sich zieht.

Auch wenn keine/r ewig lebt – selbst nach dem Genuss zahlreicher Tassen dieses so wohlklingenden Tees – wünscht sich mit Sicherheit jede Mutter eine möglichst stabile Gesundheit für all ihre Kinder – und gleichzeitig keine absolut permanente Daueranspannung -, was bei chronisch kranken Kindern tatsächlich manchmal einfach nicht zu realisieren ist.

Und so geht nicht nur ein Urlaub im Schwarzwald zu Ende, sondern ebenso ein Karfreitag, an dem wir zwar keine Karfreitagsliturgie besucht haben, ich jedoch genügend Kreuze zu tragen und stechende Dornen zu erdulden hatte….

Beitrag veröffentlicht

von

Schlagwörter:

Weitere Beiträge

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert