Rosenmontagszug, Radau, Regenschauer, Rathausgarde, Reiseapotheke

Meine mütterlichen Aufgabengebiete weiten sich offenbar oft im Urlaub auch noch auf andere unbekannte Hotelgäste aus. So erhielt ich bereits in aller Früh von besagter Sportwissenschaftsstudentin, welche wir am Tag zuvor beim Frühstück kennengelernt hatten, einen Anruf mit der dringenden Bitte um Aspirin oder einem anderen Schmerzmittel.

Nach meinen fünfwöchigen Dauerkopfschmerzen seit dem Tod meines Vaters verfüge ich tatsächlich über einen enormen Vorrat an Ibuprofen & Co. und stattete unseren neuen Schützling sogleich mit einem ganzen Tablettenblister aus. Als sie im Gespräch beiläufig ihr Alter (blutjunge 21 Jahre) erwähnte, zuckte ich innerlich kurz zusammen und fühlte mich schlagartig sehr, sehr alt. Tatsächlich war sie nur ein Jahr älter als unsere älteste Tochter.

Wenig schmeichelhaft verhielten sich auch unsere Zwillinge mir gegenüber, als sie nach dem Abendessen gemeinsam mit uns allen alte Familienfeiernfotos aus Köln betrachteten, auf denen ich ungefähr 10 Jahre alt war. Dabei konstatierten sie trocken: „Mama, da sahst du ja völlig anders aus. Da warst du noch nicht so streng.“ Ja, meine Lieben, da musste ich auch noch nicht das tägliche Dauerchaos bestmöglich zusammenhalten…

Auch auf Reisen pflegen sich die Zwillinge eher selten allein zu beschäftigen oder auch ohne Zwistigkeiten harmonisch miteinander zu spielen, so dass ich wirklich mehr oder weniger im Dauereinsatz bin, das Essen wiege und berechne, ständig um beste Blutzuckerwerte bemüht bin und gleichzeitig noch als Unterhaltungsmanagerin agiere, damit die Jungs nicht ständig irgendeinen Blödsinn veranstalten.

Beim heutigen Frühstück war ich zuerst so lange mit dem Herrichten und der Berechnung für all die unterschiedlichen Essenswünsche der Jungs und anschließend mit dem Suchen diverser Heilmittelchen in meiner Reiseapotheke und gesundheitlichen Ratschlägen für die ermattete Studentin beschäftigt, dass bereits das Licht im Frühstücksraum gelöscht wurde, als ich gerade noch ein Croissant holen wollte.

Mir persönlich hätte ein einziger Karnevalszug im Jahr voll und ganz gereicht, aber den Jungs zuliebe standen wir auch am zweiten Tag zur Sicherung der besten Plätze bereits über 110 Minuten vor Zugbeginn auf „unseren Plätzen“, um quasi die Poleposition in der ersten Reihe zu sichern. Deshalb schmerzten mir meine Füße leider bereits stark, bevor der erste von knapp 170 Wägen überhaupt an uns vorbeizog. Dazu hatten wir das Pech, dass sich direkt neben uns eine minütlich größer werdende Gruppe von feierwütigen und sehr trinkfreudigen – nicht unbedingt trinkfesten – jüngeren und älteren Aachenern einfand, welche nicht nur zahlreiche Sektflaschen köpften, deren Korken uns öfters am Kopf trafen, sondern die auch dank der mitgebrachten Musikbox für eine extrem laute Musikbeschallung sorgten. Also waren wir bereits von dem stundenlangen Radau bereits vor dem Zugbeginn beschallt.

Ein aufdringlicher Dauerdunst von Alkohol, Rauch, Schweiß und Dieselabgasen der Traktoren, welche die Wägen zogen, waberte penetrant durch die Luft, begleitet von einschlägigen Ballermannliedern, welche einen großen Kontrast zu meinen musikalischen Vorlieben darstellen. Und der Rosenmontagszug ist – zumindest für Bayern – wirklich unvorstellbar lang. Auch nach schmerzhaften 5 Stunden Stehzeit an ein und derselben Stelle, während der ich kaum noch meine Füße spürte, war die Ausdauer der Zwillinge ungebrochen. Zudem waren wir erst bei der Wagennummer 120 angelangt.

Den Schlachtruf „Kamelle, Alaaf“ hatten die Jungs mittlerweile mehr als verinnerlicht. Dagegen tat ich mir deutlich schwerer zum einen, die jeweils zu berechnenden Kohlehydratmengen aller gefangenen Süßigkeiten, welche sofort verzehrt werden wollten, abzuschätzen, zum anderen zuverlässig zu prüfen, welche der ergatterten Köstlichkeiten außerdem auch glutenfrei sind.

Mir hätte ja der Anblick der ersten vorbeiziehenden Wägen gereicht, aber für die Jungs stand ich brav Stunde für Stunde wie angewurzelt auf der Stelle, nur durch das Bücken nach weiteren Süßigkeiten unterbrochen. Pro Stunde zogen etwa 30 – 40 detail- und fantasiereich geschmückte Wägen an uns vorbei, darunter allein vier große Wägen von der Rathausgarde. Glücklicherweise zeigte sich das Wetter sehr gnädig und es gab nur kleine Regenschauer zwischendurch. Sogar die Sonne blitzte ganz kurz durch.

Weniger reibungslos gestaltete sich die abendliche Busfahrt zu unseren lieben Verwandten, da die gesamte Aachener Innenstadt noch aufgrund des Karnevalsumzugs gesperrt war und wir in einer einstündigen Odyssee durch die Stadt irrten, bis wir die richtige Ersatzhaltestelle des Busses 44 endlich gefunden hatten. Dafür wurden wir gleich doppelt von Katinka und Claus belohnt in Form eines köstlichen Putengulasch mit Reis und Kartoffelstampf – da sich die Zwillinge nicht auf eine Beilage einigen konnte, gab es liebenswürdigerweise beide angebotenen Alternativen – und einem sehr leckeren Chicoréeapfelsalat mit echten Karnevalsäpfeln, welche wir beim gestrigen Umzug in Richterich gefangen hatten.

Zur großen Überraschung und Freude der Jungs hatte Claus sogar noch eine zweite riesige Playmobilmodelleisenbahn aufgebaut, mit der sie nach Herzenslust spielen durften. Am späteren Abend zeigten sich dann doch bei den beiden Jungs Ermüdungserscheinungen, welche im Dauerstreiten und wildem Geschubse bei der Nachhausefahrt im Bus endeten, so dass ich stark hoffe, dass die beiden im ausgeschlafenen Zustand wieder ein deutlich besseres Bild von sich zeigen werden…

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