Döppekooche, Dreikilosüßigkeiten, Dampflokomotive, Dokumentationszeugnisse

„Die Semmeln sind fast noch besser als die Schokocroissants“, konstatierte unser Jüngerer beim Frühstück. Diese Aussage erleichterte mich ausgesprochen, hadere ich doch immer damit, ob ich seinen Bruder auch zum glutenfreien Essen – à la „mitgefangen, mitgehangen“ _ auswärts anhalten soll oder nicht.

Als sich der Ältere dann an dem verlockenden Angebot der kleinen Blätterteigteilchen erfreute, sorgte ich mich sehr, dass unser Zöli frustriert sein würde, weil er das glutenhaltige Plundergebäck ja auf gar keinen Fall essen durfte. Daher freute ich mich umso mehr, dass er offenbar nicht gemäß der Fabel vom Fuchs und den sauren Trauben seine Aussage tätigte, sondern ihm die glutenfreien Semmeln (übrigens sogar die gleichen wie aus dem Hotel in Barcelona) tatsächlich so gut mundeten, dass er nichts vermisste.

Bestens gestärkt wappneten wir uns dann für den Karnevalsumzug, welcher um 11.11 Uhr startete, aber an unserem Hotel natürlich erst deutlich später vorbeizog. Die Wartezeit wurde verkürzt durch das Ratschen mit einer Studentin, welche in München geboren war, jedoch auch viel Verwandtschaft in Aachen und Umgebung hat, und nun endlich wieder mal die Karnevalsumzüge in Aachen und Köln besuchen wollte.

Tatsächlich mache ich mir überhaupt nichts aus dem Faschingstreiben und habe die Veranstaltungen in München und Umgebung meist bestmöglich vermieden, war jedoch wirklich beeindruckt von der Feierwut und der Professionalität der Aachener.

So wartete der sogenannte Kinderkarnevalszug am Tulpensonntag mit ganzen 72 Wägen auf, welche Unmengen Süßigkeiten in die wartenden Massen warf. Sind wir von den bayerischen Faschingszügen nicht nur ein klägliches Drittel der Wägen gewohnt, wird man dort auch kulinarisch in keiner Weise verwöhnt. So werden doch in München und Umgebung fast ausschließlich diese kleinen bunten Bonbons aus billigstem Glukosesirup geworfen.

Ganz anders verhält es sich in Aachen, wo mehrere Großunternehmen im Bereich der Süßwarenindustrie wie Lambertz oder Lindt ihren Firmensitz haben. Ich stöhnte immer wieder auf, als unsere Zwillinge begeistert ganze Großpackungen an Lebkuchen, Keksen, Gummibärchen aller Art, Chips, Nüssen, Schokolade und Co. fingen, wenn ich nur an deren Rücktransport per Bahn dachte, wo wir ja bereits bei der Hinreise völlig überladen waren…

Meine Großgroßcousine und ihr Mann haben unseren Aufenthalt bereits im Vorfeld so grandios und liebevoll geplant, dass wir gleich, nachdem wir den größten Teil des Kinderzuges erlebt hatten, mit dem Auto zu ihrem etwas vom Zentrum entfernteren Stadtviertel chauffiert wurden, wo der Herr des Hauses in wochenlanger Kleinarbeit das Highlight schlechthin für die Zwillinge aufgebaut hatte: eine originale Märklinmodelleisenbahnanlage, bei welcher die Jungs nicht nur nach Herzenslust die verschiedenen Züge durch das Umstellen der Weichen fahren lassen durften, sondern sogar den Rauch einer Dampflokomotive zu Gesicht bekamen, welche mit dem originalen sechzig Jahre alten Öl für diesen Modellzug befüllt wurde und so zum Dampfen gebracht werden konnte.

Nur schwer konnten sie sich deshalb zum zweiten Highlight von Richterich loseisen, dem dortigen Karnevalsumzug. Dieser war wesentlich familiärer, bestand aus etwa 20 Wägen und war süßigkeitenmäßig sogar noch ergiebiger, da hier gezielt den Kindern von den Wägen extrem viel von A wie Äpfeln bis zu Z wie Zentis-marzipankartoffeln zugeworfen wurde.  Insgesamt ergatterten die Kinder bestimmt mehr als drei Kilo unterschiedlichster Süßwaren.

Wieder im wunderbaren Haus unserer Verwandtschaft angelangt, verwöhnte uns Katinka mit einer absolut köstlichen regionalen Spezialität, welche offenbar schon im Haus meiner Urgroßmutter wöchentlich aufgetischt wurde, nämlich dem sogenannten „Döppekooche“ (ein im gusseisernen Topf aus Kartoffeln, Zwiebeln, Eiern und Speck gebackener herzhafter Kuchen). Diesen genießt man zusammen mit Apfelmus, Zuckerrübensirup oder auch (mein absoluter Favorit) mit Lütticher Delikatesse (aus Birnen, Äpfeln und Datteln).

Der Döppekooche war so lecker, dass am Ende des Essens tatsächlich, obwohl dieser aus drei Kilo Kartoffeln und zwei Kilo Zwiebeln zubereitet worden war, nur noch ein kleiner Rest übrig bleibt, den man traditionellerweise am Folgetag kalt auf einer Scheibe Schwarzbrot isst.

Nach diesem fulminanten Essen erfreuten sich die Zwillinge wieder an der genialen Modelleisenbahn, während ich höchst ergriffen war von den Briefen, welche meine Großmutter in den Jahren des zweiten Weltkrieges aus München an ihre Familie in Köln geschrieben hatte.

Nach einer Fahrt im Schnellbus zurück zum Elisenbrunnen in Aachen, bei dem unserem Jüngeren der komplette Inhalt seiner prall gefüllten Karnevalstüte in den Busgang gekullert war, wurden nolens volens sogar nach dem Zähneputzen und Bettfertigmachen zu sehr später Stunde noch einmal „Kamelle“ vernascht, fielen die Zwillinge doch – als hätten sie sich miteinander abgesprochen – in zehnminütigem Abstand in den Unterzucker. Diese Neigung zur Hypoglykämie zog sich leider die ganze Nacht durch, was mir nicht nur den Schlaf raubte, sondern natürlich auch sehr nervig für die Jungs war, konnten sie doch nachts um 2.00 Uhr und um 4.00 und um 5.00 Uhr morgens den „Genuss“ von Traubenzucker und Co. nicht wertschätzen und noch viel weniger das anschließende tiefnächtliche Zähneputzen…

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