Die Welt ist klein, und Paris noch kleiner…Wir haben heute nicht nur während unseres Rundgangs im Maraisviertel gelernt, dass man erstaunlicherweise schlappe 10 Kilometer braucht, um von einer Richtung in Paris in die komplett entgegengesetzte Richtung zu gelangen. So benötigt man z.B. nur 2,5 Stunden, um von der Porte de la Villette zur Porte d’Orléans zu gelangen. Paris ist damit mit seinem rund 10 auf 10 Kilometer in etwa halb so klein wie London…
Mikrokosmisch gesehen erlebten wir heute beim Frühstück – als ich gerade mal wieder im ziemlichem Abwiege- und Insulinmengenberechnungsstress war, wir waren extra früh aufgestanden, um kein Kontaminationsrisiko einzugehen – die sehr lustige Situation, dass ich plötzlich, vollkommen unerwartet eine ehemalige Lateinschülerin von mir mitsamt ihrer ganzen Familie nur zwei Tische von uns entfernt sitzend im Frühstücksgetümmel von Meiningerhotel entdeckte.
Sie erzählten mir, dass sie für drei Tage nach Paris geflogen wären und sehr von dem Disneyland angetan gewesen wären. Da unser Reisebudget nun sowieso schon deutlich überstrapaziert ist, habe ich mich jedoch für unseren morgigen letzten Tag für eine andere Location entschieden, welche deutlich preisgünstiger ist und (hoffentlich) den Jungs auch gefallen müsste.
Näher liegt diese leider allerdings auch nicht. Die ständigen langen Fahrten in oft vollkommen überfüllten métros oder Bussen finde ich von Tag zu Tag anstrengender. Zudem schlaucht mich die permanente alleinige Verantwortung Tag und Nacht und das ständige Organisieren und sich das Immer-wieder-auf’s Neue Zurechtfinden.
Immerhin hat die von mir bereits im Vorfeld organisierte Tour mit einem Freiwilligen von der Organisation Paris Greeters gut funktioniert. Ich hatte von dieser Möglichkeit per Zufall vor einigen Monaten gelesen und fand die Idee sehr charmant, dass Einheimische einen Rundgang in verschiedenen Stadtvierteln, auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Gruppen zugeschnitten, anbieten.
Je näher das Treffen rückte, desto mehr sorgte ich mich allerdings, dass es für die Jungs viel zu langweilig werden könnte, zudem es auch wirklich ausgesprochen heiß war. Wir hatten als Treffpunkt die Gaïté lyrique, ein Kulturzentrum im dritten arrondissement, vereinbart.
Überpünktlich (was mich einige Nerven gekostet hatte) erreichten wir diese am Mittag und identifizierten nach einigem Zögern auch „unseren“ Paris Greeter. Irgendwie hatte ich mir diesen komplett anders vorgestellt als einen relativ jungen Mann, der eher aus der alternativen Szene kommt. Stattdessen fanden wir einen ziemlich rundlichen Pariser im besten Rentneralter vor, der sich zudem bereits angeregt mit einem weiteren Paar um die 60 unterhielt.
Ich wunderte mich schon etwas, da ich ja extra angegeben hatte, dass ich gerne eine Tour hätte, welche auf die Bedürfnisse unserer achtjährigen Zwillinge zugeschnitten sei. Francis – so stellte er sich uns vor – erklärte mir schließlich, dass das ihn begleitende Paar aus Québec stamme, er die beiden bereits vor 13 Jahren durch Paris geführt hätte und die Kanadier sich gestern zufällig wieder bei ihm gemeldet hätten, dass sie die nächsten zwei Wochen in Paris verbringen würden.
So gingen wir im Sechserpack durch das Maraisviertel (3. und 4. Arrondissement) und ich versuchte angestrengt, die Zwillinge bei Laune zu halten, ihnen das wichtigste zu übersetzen und gleichzeitig auf dem Weg zum nächsten sehenswerten Gebäude freundlich Konversation mit dem Québecer zu führen, welcher – in meinen Ohren – in so einem schauderhaften Französisch parlierte, dass ich ihn stellenweise kaum verstand.
Der Reiseführer begann mit einer Vorstellung der sehr berühmten école „arts et métiers“, in welcher alle bekannten Ingenieure des 20. Jahrhundert ausgebildet worden sind, zeigte uns dann das Haus von Jean Paul Gaultier und meinte bei ganz vielen Sachen immer, dass dafür unsere Jungs noch zu jung seien…
Ja, toll, dachte ich mir, das wird ganz schön anstrengend für uns die nächsten drei Stunden im dritten arrondissement werden…“
Ich versuchte die Kinder so gut es ging, bei Laune zu halten, wir gingen vorbei an der Porte St. Martin, an beeindruckenden Häusern aus der Hausmannzeit, durchliefen aber ebenso Straßenzüge, in denen ganz einfache Häuser stehen, natürlich in einer absolut perfekten Lage und standen vor einem der Lieblingsrestaurants von François Mitterand.
Hier mokierte sich unser Reiseführer, dass dies eines seiner Lieblingsrestaurants war, was man von einem Politiker, welcher dem linken Spektrum zuzuordnen ist, nicht unbedingt erwarten würde. So kostet in diesem Restaurant z.B. ein sehr einfaches Menü bereits 130 Euro, ohne Getränke…
Außerdem wurde uns ein sehr gelungenes Gebäude aus den Zeiten von Eiffel gezeigt, bei dem die Mischung aus Industrieräumen in den unteren Etagen mit sehr großen Fenstern und den oberen Wohnetagen hervorragend geglückt ist. Hier hat man auch zum einen der ersten Male in dieser Zeit als Baumaterial Stahl verwendet.
Wollte Francis zu Beginn der Führung offenbar noch ein vorbildliches Straßenverkehrsverhalten im Beisein der Kinder an den Tag legen, vergaß er dieses Vorhaben rasch und überquerte jede noch so stark befahrene Straße „à la parisienne“, nicht ohne wie ein Rohrspatz jeden Autofahrer zu beschimpfen, der sich das Recht “rausgenommen” hatte, bei Grün die Straßenkreuzung zu überfahren, welche unser im elften arrondissement geborener und dort immer schon lebender Pariser in aller Seelenruhe bei Rot zu überqueren gedachte…
Als wir schon recht erschöpft nach einer guten Stunde von der Führung waren, welche für drei Stunden angesetzt war, führte uns Francis glücklicherweise in einen sehr schönen Park, indem die Jungs mit größtem Vergnügen – und mit bloßen Händen – eine beeindruckende Burg mit zahlreichen Tunneln bauten und das Gesamtkunstwerk auch noch mit „Paris“ beschrifteten.
Dies war das absolute Tageshighlight und sie ließen sich – verständlicherweise – nur schwer für weitere Besichtigungen motivieren.
Immerhin bewunderten wir noch den ehemaligen Ledermarkt, der immer noch mehr oder weniger im Originalzustand erhalten ist, „le carreau du temple“; erfuhren, dass der ehemalige typische Markt „marché des enfants rouges“, mittlerweile zu einer reinen Ansammlung von Restaurationsbetrieben für Touristen und „bobos“ (bourgeois-bohème) mutiert ist und bestaunten das älteste Haus von Paris aus dem 13. Jahrhundert.
Am Abend ließ ich es mir dann doch nicht nehmen, den Jungs zudem noch das älteste Bauwerk von Paris zu zeigen, das tatsächlich aus der Römerzeit aus dem 1. Jahrhundert nach Christus stammt und erst im 19. Jahrhundert im quartier latin (5. arrondissement) wieder entdeckt worden ist, les arènes de Lutèce, in denen heute keine Gladiatorenkämpfe mehr zu erleben sind. Dafür waren die Zwillinge von den zahlreichen Pétanquespielern begeistert.
Danach schafften wir noch einen kurzen Abstecher in das ausgesprochen empfehlenswerte paläontologische Museum,
bevor wir dann schließlich bei der grande mosquée gerade die letzte Öffnungsstunde verpasst hatten.
Die Welt ist klein, unser Zimmer im Meiningerhotel ist noch spartanischer und kleiner, aber als ich die Jungs endlich kurz vor 23.00 Uhr ins Bett bringen wollte, war die Schlafanzughose unseres Älteren unerklärlicherweise verschwunden und blieb dies bizarrer Weise trotz intensivem Suchen auch…
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