Nach einer sehr schlafarmen Nacht bedingt durch furchtbar viele Insulinpumpenalarme, in der ersten Nachthälfte stiegen die Blutzuckerwerte beider Jungs zu hoch an, während die Pumpe dann ab 4.00 Uhr morgens beim Jüngeren einen Unterzucker vermeldete – dagegen alarmierte mich die Pumpe des Älteren in 30-minütigen Intervallen, dass trotz vermehrter Insulinzugabe die Blutzuckerwerte zu hoch blieben-, hatte ich immerhin viel Zeit, mir mitten in der Nacht einen besseren Weg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln für den nächsten Tag zu überlegen.
So kam ich schließlich auf die gute Idee, statt der métro mit ihren nie enden wollenden – mit all unserem wuchtigen Gepäck kaum überwindbaren – Treppen den Bus zu nehmen. Dieser benötigt zwar zur gare de Lyon dreimal so lang wie die métro, ersparte uns jedoch die entsetzlich anstrengende Kofferschlepperei.
Und wären wir vor lauter Nervosität meinerseits nicht eine Station zu früh ausgestiegen, hätte uns der Bus 29 sogar ziemlich direkt vor die gare de Lyon chauffiert…Dort mussten wir uns geschlagene 3 Stunden die Zeit vertreiben, um dann zu erfahren, dass unser TGV nach Barcelona leider anders als zuvor dauernd angekündigt eine halbe Stunde Verspätung zu vermelden hatte.
Was hierbei besonders ärgerlich war, ist die Tatsache, dass man sich -anders als z.B. in Deutschland – nicht einfach schon mal beliebig lange vor der Abfahrt des Zuges auf dem Bahnsteig genau an der Stelle postieren kann, an der laut Wagenstandsanzeiger dann der jeweils reservierte Wagen eintreffen wird, sondern erst 20 -30 Minuten vor der Zugabfahrt quasi am Bahnsteig „einchecken“ kann.
So hatten wir in den großen Bahnhofshallen, in denen wir uns dank der Vollverglasung wie in einem Treibhaus fühlten, in dem jede Amalfizitrone bestens gedeihen würde, Stunden zum Totaschlagen. Dagegen waren wir nach dem „Check in“ wieder in der gewohnten Zeitnot, hatten wir doch mal wieder das Pech, den allervordersten von 18 Wagen reserviert bekommen zu haben. Dafür hatte ich schon von zu Hause aufwändig recherchiert, dass man die extrem teuren Zugtickets von Paris nach Barcelona vermeiden kann, wenn wir alles über den Interrailpass fahren.
Allerdings muss man dann bei allen Reservierungen – und bei den TGVs sind die Sitzplatzreservierungen obligatorisch – auch für die Kindern den empfindlich hohen Reservierungspreis für Erwachsene zahlen. Ich finde es schon befremdlich, dass Zugfahren, das doch wirklich wesentlich umweltfreundlicher ist, so viel teurer als das Fliegen ist.
Nach dem Riesenschrecken während unserer Fahrt drei Tage zuvor von München nach Paris hatte ich mir geschworen, keinen einzigen unserer Koffer auch nur eine einzige Sekunde unbeaufsichtigt zu lassen. Ein Vorhaben, das sich nur dadurch nicht umsetzen ließ, dass ich zunächst zahlreiche Koffer anderer Fahrgäste umschichten musste, bis ich drei unserer vier Koffer überhaupt irgendwie verstauen konnte.
Den besagten rosafarbenen Koffer brachte ich allerdings abermals beim besten Willen nicht in unseren bis auf den letzten Platz besetzten Wagen unter, so dass wir ihn in den oberen Stock wuchteten, in der Hoffnung, dass er dort vor etwaigem Diebstahl geschützter sein möge.
Merkwürdigerweise erschien mir der TGV inoui nicht sonderlich vertrauenswürdig, waren nicht nur gleich zu Beginn der verspäteten Fahrt zahlreiche Toiletten gesperrt und das Funktionieren der Klimaanlage ließ zu wünschen übrig, sondern fiel unserem Jüngeren auch unmittelbar nach dem Platznehmen der erste Mülleimer auf die Füße…
Gute 6,5 Stunden Bahnfahrt von Paris nach Barcelona klingt hervorragend, zieht sich aber mit 8-jährigen Zwillingssöhnen, deren Hauptbeschäftigung bereits Stunden vor der eigentlichen Zugabfahrt aus Warten bestand, sehr in die Länge. Wir spielten zahlreiche Spiele, die beiden verspeisten Unmengen an Essen und tranken eine Flasche Waser nach der anderen leer, welche wir für exorbitante 3,70 Euro (500 ml) am Bahnhof erworben hatten, und schließlich erlaubte ich ihnen auch eine Zeit am Laptop Fußballhighlights anzuschauen.
Mit einer halben Stunde Verspätung erreichten wir schließlich gegen 22.00 Uhr den Hauptbahnhof von Barcelona und ich hatte erst einmal ein mulmiges Gefühl, in einer Stadt zu sein, deren Sprache ich nur lesen, nicht aber sprechen kann und die für ihre ausgesprochen hohe Diebstahlrate bekannt ist.
Tatsächlich schafften wir es zunächst einmal noch nicht einmal mit all unserem schweren Gepäck aus dem Hauptbahnhof raus zur metro. Als ich erschöpft einen Bahnmitarbeiter nach dem Weg nach draußen fragte, war es doch ziemlich erniedrigend, dass er mir auf meine sowohl in bestem Französisch, als auch in mittlerem Englisch gestellte Frage, nur ausgesprochen patzig antwortete: „I dont’t understand.“
„Das wir trotz allem eine gmahde Wiesn“ , wie man bei uns in Bayern sagt, dachte ich mir offenbar etwas zu optimistisch. Mittlerweile waren wir bereits geschlagene 11 Stunden unterwegs. Und als wir aus dem Zug gestiegen waren, schlug uns ein richtiger Hitzevorhang entgegen. Die Temperaturanzeige gab um 22.00 abends Uhr einen Wert von 30 ° Grad an.
Unser Älterer war dermaßen müde, weiß wie eine Wand, dass er stets wiederholte: „Ich bin so fertig.“ Ich wusste, dass wir zunächst die metro-Linie 5 nehmen mussten. Jedoch war just der Aufzug zur U-bahnstation in Reparatur. Für das Tragen aller Koffer hatten weder die Jungs noch ich Kraft und so irrten wir völlig erschöpft, ohne einen einzigen Tropfen Wasser mit unserem schweren Gepäck in einer Luft zum Schneiden vor dem großen Platz von Barcelona Sants herum, bis wir endlich, endlich einen Aufzug fanden.
Da unserem Älteren Aufzüge nach wie vor ungeheuer sind und diese metro-Aufzüge auch wirklich nicht sehr vertrauenswürdig wirkten, bestand er darauf, bei der nächsten Ebene (nach einer ziemlichen Horroraufzugsetappe) die Treppe nehmen zu dürfen. Der jüngere Sohn und ich quetschten uns in den Aufzug, stiegen kurz danach aus, vom Älteren keine Spur.
Wir brauchten einige Zeit und viele bange laute Rufe durch das große metro-Treppenhaus, bis wir ihn wieder aufgegabelt hatten und stiegen schweißgebadet in die nächste U-bahn ein. In dieser fiel mir vor lauter Stress mit dem Einsteigen mit zwei Riesenkoffern meine schwere Tüte mit den Wanderstiefeln und den Glasboxen vom Koffer auf den Boden. Das Glas blieb ganz, aber leider war die Tüte gerissen, so dass ich den Inhalt noch zusätzlich einzeln in den Händen balancieren musste.
Schließlich stiegen wir gegen 23.30 Uhr – nach 12,5 Stunden dauerunterwegs sein – an der metro-Station „Clot“ aus, von der ich bereits im Vorfeld gelesen hatte, dass sie nur 3 Gehminuten von unserem von mir gebuchten Hotel entfernt sei. Wie sehr erschrak ich, als ich die Adresse unserer Unterkunft in mein Navi eintippte und es uns plötzlich eine zu laufende Wegstrecke von 1,4 Kilometer angab…
Mittlerweile malte ich mir schon in den düstersten Farben aus, dass wir wohl die erste Nacht vor dem Hotel auf dem Bürgersteig schlafen müssten, wenn die Rezeption nicht mehr besetzt ist. Wir taumelten mit all unserem Gepäck durch die Straßen Barcelonas. Wundersamerweise erblickten wir nach 5 Minuten tatsächlich wie bei einer Fata Morgana den Straßennamen, wo unser Hotel sein sollte. Und die Rezeption war auch noch besetzt.
Wir befanden uns in einem für mich alptraumhaft hohen, ziemlich altem Bau und bekamen ein Zimmer im 6. Stock, direkt neben dem Lift. Liebe Mama, das wäre für deine Bedürfnisse von der Lautstärke her absolut nichts für dich…Aber immerhin haben wir ein Dach über dem Kopf, auch wenn ich beim bloßen Gedanken, dass wir uns im 6.Stock befinden, bereits Panikattacken erleide…
Unsere Zwillinge waren verständlicherweise, als wir gegen Mitternacht ankamen und ich nur noch „schnell“ neue Pumpenkatheter stach, ihnen die Zähne putzte, an die Zahnspange erinnerte und sie notdürftig wusch, so fertig, dass unser Jüngerer, der sonst wirklich immer ausführlichst vorgelesen und vorgesungen haben möchte, nur noch völlig ermattet murmelte: „<Mama, du brauchst dir heute nicht die Arbeit mit dem Singen machen…“
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