Hitze, Himmelbett, Höhenflüge, Hotelzimmerschlüssel

Anstatt mich dem doch recht aufwändigem und viele Nerven kostendem Kofferpacken für unsere bevorstehende lange Sommerreise, die bereits in etwa 48 Stunden stattfinden wird, zu widmen, haben wir kurzerhand die Gelegenheit beim Schopf gepackt und besuchten noch rasch für zwei Tage eine sehr liebe befreundete Familie in der Oberpfalz.

Mit großer Freude sperrten wir unser Zimmer im dortigen Hotel mit einem schönen altmodischen Schlüssel auf, dessen Alter ungefähr auch dem der Zimmereinrichtung entsprach.

Dafür war das von mir gebuchte Familienzimmer ausgesprochen geräumig und verfügte sogar über ein Himmelbett. Auf Wunsch der Zwillinge überließ ich den beiden das sehr angenehme Bett, während ich mit einem ziemlich unbequemen, ausgesprochen schmalem ausgeklapptem Schlafsofa ohne Kopfteil vorliebnahm.

Nicht nur ich war am Ankunftsabend so erschöpft von dem erfüllten Tag, an dem die Jungs auch ausführlich den traumhaften Pool und einen nahegelegenen Spielpatz genießen durften, dass ich mich vor lauter Müdigkeit beim allabendlichen Katheterstechen für die Insulinpumpen wirklich sehr zusammenreißen musste.

Auch die Jungs waren vom vielen Schwimmen, Fußballspielen und leider auch den unvermeidlichen nervenaufreibenden geschwisterlichen Zwistigkeiten auf unserer Seite so müde, dass ich von unserem Jüngeren im Bett liegend einen für ihn völlig atypischen Satz vernahm: „Mama, ich muss jetzt schlafen.“ Und das, obwohl ich noch gar nicht mit dem Vorlesen begonnen hatte…

Allerdings war die Nacht leider sowieso für mich kaum für einen erholsamen Schlaf vorgesehen, da Insulinpumpenalarme, das kräftige Läuten der Kirchturmuhr im Halbstundentakt und das laute Zuknallen der Hoteleingangstür, die sich direkt gegenüber unserem Zimmer und dem Hotellift befindet, dominierten.

Am belastendsten war für mich dabei, dass ich bei unserem Jüngeren nachts um 1.00 Uhr feststellen musste, dass die frisch gestochene Teflonnadel seiner Insulinpumpe abgeknickt war, so dass ich nicht nur mitten in der Nacht einen neuen Katheter stechen und im Anschluss daran viele Stunden lang engmaschig den Blutzucker kontrollieren und Insulin dazugeben musste, sondern dies auch zur Folge hatte, dass, als wir bereits frühmorgens mit besten Blutzuckerwerten beim Frühstück saßen, unser jüngerer Sohn leider noch als Nachwirkung des fehlenden Insulins aufgrund der abgeknickten Nadel für etwa knapp 4 Stunden in der ersten Nachthälfte plötzlich mit starker Übelkeit zu kämpfen hatte.

So konnte ich meinen vor lauter Übermüdung dringend benötigten Latte macchiato erst in völlig erkaltetem Zustand trinken.

Trotz der leider so oft erlebten diabetesbedingten zermürbenden nächtlichen Belastungen freuten wir uns alle schon sehr auf den geplanten Ausflug zum Monte Kaolino -dem tatsächlich höchsten künstlichen Sandberg der Welt. Er erhebt sich mit seinen 120 Metern Höhe wie eine gigantische Düne aus der Landschaft und besteht aus blendend weißem Quarzsand.

Geblendet hat nicht nur der Sand, sondern auch die glühende Sonne, unter deren brütender Hitze die Kinder (und ebenso die liebe Julia) in atemberaubender Geschwindigkeit den Berg hochgekraxelt sind. Dagegen hielt ich mich permanent -alleine schon durch meine Höhenangst verursacht – etwas verkrampft am – glücklicherweise vorhandenen – Seil beim Besteigen des Berges fest.

Das Bergplateau bot eine höchst eindrucksvolle Aussicht auf die Kaolinwerke. Nach dem Abstieg und einer Essenspause für die Kinder wollten diese noch „kurz“ mit der benachbarten Sommerrodelbahn fahren. Dieses Vergnügen ging auch bei den ersten beiden Abfahrten gut. Bei der sprichwörtlich verhexten letzten Abfahrt hatten wir allerdings leider kein Glück mehr.

Die Jungs prallten ineinander, wahrscheinlich aus einer Kombination von überhöhter Geschwindigkeit und kaputtem Wagen. Unser Älterer klagte danach über Kopf- und Schulterschmerzen, die glücklicherweise dank Julias Coldpacks relativ zügig gelindert werden konnten. Die Brille jedoch, die beim Aufprall sofort weggeflogen war, unseres Jüngeren (der zusätzlich noch über Brustschmerzen klagte) blieb leider auch nach ziemlich langem Warten in großer Hitze, bis sich ein lieber Mitarbeiter der Suche erbarmte, verschwunden.

So blieb uns nichts anderes übrig, als die geplante schattige Wanderung im landschaftlich einzigartigen Doost zu streichen und uns abends nach dem Betriebsschluss der Sommerrodelbahn erneut auf die verzweifelte Suche zu begeben. Dazu muss man wissen, dass unser Jüngerer tatsächlich ohne Brille kaum etwas sieht, was seiner Dioptrienstärke von etwa 6 und einem stark ausgeprägten Astigmatismus geschuldet ist.

Während der gesamten mittäglichen Brillensuchaktion machte mir unser Älterer noch zusätzlich Sorgen, da er trotz zahlreicher Gummibärchen und Eis nicht mehr aus dem Unterzucker herauszukommen schien. Beim blutigen Gegenmessen musste ich schließlich feststellen, dass nun leider sein Blutzuckersensor bereits nach der Hälfte der eigentlichen Laufzeit seinen Dienst komplett eingestellt hatte.

Und auch der nächste neu gestochene Blutzuckersensor nahm aufgrund von lauter Einblutungen seinen Dienst erst gar nicht mehr auf. So stach ich unserem Älteren unseren allerletzten Sensor. Ich hatte für diese zwei Tage „nur“ zwei Ersatzsensoren mitgenommen, da ja planmäßig beide Sensoren noch fünf bzw. sechs Tage halten sollten. Ohne Julias Liebenswürdigkeit, die uns noch einen weiteren Sensor schenkte, hätten wir allerdings wirklich größere Probleme gehabt, verabschiedete sich doch heute Nacht nun auch noch der Sensor unseres Jüngeren, zum Verzweifeln…

Die Wartezeit bis zum Betriebsschluss vertrieben wir uns im Haus der so reizenden Familie, der an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für alles gedankt sei. Liebe Julia, lieber Simon, vielen lieben Dank für eure wunderbare (Gast-)freundschaft und die köstlichen glutenfreien Speisen bei euch zu Hause und beim Picknick. Ich hoffe sehr, dass wir euch nicht zu viel zusätzlichen Trubel ins Haus gebracht haben und dass wir uns ganz bald wieder sehen.

Eine Viertelstunde vor Betriebsschluss standen wir mit klopfendem Herzen abermals am Fuße der Sommerrodelbahn und hofften inständig, die verlorene Brille wieder zu finden. Die abendliche Fahrt auf der für alle Gäste bereits gesperrten Bahn war das Highlight für die Jungs. Und nach einer Viertelstunde bangen Wartens kamen uns die drei Jungs wirklich freudigen Schrittes mit unversehrter Brille – und weiteren im Verlauf des heutigen Tages verlorenen Gegenständen anderer Gäste – entgegen.

Während der Sohn unserer befreundeten Familie sehr einsichtig nach diesem Auffahrunfall war, scheint unser Jüngerer diesbezüglich noch einige Gehirnreifung zu benötigen. Auf meine Frage, was er denn aus diesem Rodelbahndesaster gelernt hätte – ich erwartete selbstverständlich sinngemäß folgende Antwort: „Ich werde nie mehr so schnell fahren und immer rechtzeitig bremsen, damit gewährleistet ist, dass ich nie mehr auf meinen Vorgänger drauffahre.“ – antwortete mir unser Sohn nur lakonisch: „Das nächste Mal rodel ich ohne Brille.“

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