Kempten, Kuchen, Ketoazidose, Krankheitsgeschichten, Kollegenvertretung

Ich habe noch nicht einmal das Klassenzimmer meiner 6. Klasse betreten, als ich bereits ein markerschütterndes, nicht mehr enden wollendes besorgniserregendes Husten vernehme. Aufgrund der großen Unruhe ist es gar nicht so einfach, den -gefühlt kurz vor dem Ersticken – betroffenen Schüler ausfindig zu machen. “Der F. hat schon die ersten beiden Stunden andauernd so stark gehustet.” berichtete mir anlässlich meines besorgten Blickes sogleich ein Mitschüler.

“Ja, warum bist du denn dann überhaupt in die Schule gekommen?” kam ich nicht umhin zu fragen. “Weil ich schon die ganze letzte Woche krank war”; erwiderte mir dieser mit hochrotem Kopf. Während der kurzen Hustenpausen, welche dem Schüler leider nur jeweils sehr knapp vergönnt waren, versuchte ich zu klären, ob ihn einer seiner beiden Elternteile abholen könne. In solchen Fällen bin ich immer hin- und hergerissen, kann ich mich auf der einen Seite nur allzu gut in jedes arbeitende Elternteil versetzen, das mit einem kranken Kind -ja nach Alter- ein massives Betreuungsproblem hat. Andererseits trage ich ja auch immer die Verantwortung für die gesamte Klasse und meine Sorge war groß, dass die durch den starken Husten sich überall verbreitenden Viren auch noch weitere Schüler:innen anstecken könnten.

Zudem wirkte der Schüler auch noch ziemlich fiebrig, so dass ich ihn schließlich dazu bewegen konnte, sich vom Unterricht befreien zu lassen. Dies bedeutete jedoch noch lange nicht, dass ich mit dem Französischunterricht beginnen konnte. Hatte sich doch, während ich mit dem Hustenkandidat, dessen Schnauben stark an Keuchhusten erinnerte, eine kleine Schlange von Schülern neben dem Lehrerpult gebildet, die alle weitere größere oder kleinere Probleme zu erzählen hatten.

So berichtete mir eine Schülerin ausführlich mit einer so bemerkenswert leisen, ja eigentlich nur gehauchten Stimme, von ihren Ohrenschmerzen, dass ich bei jedem zweiten Wort nachfragen musste und mir dabei wie eine uralte Oma vorkam. Diese wollte sich aber auf gar keinen Fall abholen lassen, beklagte sich im Anschluss aber dann noch bitterlichst über zwei Klassenkameraden, welche sie “dauernd so komisch ansehen und ärgern.”

Ein anderer hielt sich die Stirn und war wirklich um die Nasenspitze recht blass, so dass ich ihm sofort die Erlaubnis gab, in Begleitung seines Freundes, kurz frische Luft zu schnappen, damit seine Kopfschmerzen weniger werden.

Von Kopfschmerzen war leider auch ich bereits den ganzen Tag geplagt, hatte ich doch mal wieder eine sehr kurze Nacht hinter mir. Unser Jüngster kam am frühen Morgen mit schockierenden Blutzuckerwerten um die 300 die Treppe heruntergekrochen. Gerade als ich ihm in Windeseile einen neuen Katheter für die Insulinpumpe gestochen hatte, lief er wie von der Tarantel gestochen in Richtung der Toilette, dabei löste sich sofort die frisch gestochene Katheternadel und auch der Mageninhalt unseres Jüngsten wechselte leider den Ort.

Erschreckenderweise hatte sich innerhalb nur weniger Stunden aufgrund der gestoppten nächtlichen Insulinzufuhr – dass die Tefflonnadel abgeknickt war, konnte man von außen nicht sehen – eine Ketoazidose entwickelt, aufgrund der man sich nicht nur ausgesprochen schlapp und unwohl fühlt, sondern sich auch oft übergeben muss.

Wegen der ganzen Zusatzaufregungen bereits vor dem Frühstück blieb mir keine Gelegenheit, unsere mittlere Tochter ausführlicher zu verabschieden, geschweige denn ihr die Leviten zu lesen, als sie mir um 7.34 Uhr, als sie schon längst in die Schule hätte fahren müssen, plötzlich sehr verdruckst ihre Spanischschulaufgabe zum Unterschreiben hinschob. Diese hatte sie offenbar schon vor Tagen rausbekommen, es aber nicht für nötig gehalten, sie mir zu zeigen.

Das Donnerwetter konnte ich allerdings in der zweiten Schulstunde nacholen, war ich doch – zu Töchterleins großer Freude – just in ihrer Klasse als Vertretungslehrerin für eine kranke Lehrkraft eingesetzt…Als “Trostpflaster” durfte sie sich dann jedoch immerhin mit ihrer besten Freundin am Buffet meiner Französischklasse bedienen…

Gut, dass wir uns auf der Zielgeraden dieses Schuljahres befinden, so dass die sonst übliche, bisweilen langwierige Hausaufgabenkontrolle dem Verteilen der von mir selbst gebackenen Kuchen weichen konnte. Da ein Teil der Schüler:innen sich einen Zitronenkuchen gewünscht hatte, während der andere Teil einen Schokoladenkuchen präferierte, hatte ich in den späten Abend-/Nachtstunden einen Zitronen- und einen Snickerskuchen gebacken.

Alle, die also denken, ein Lehrer hätte in der letzten Schulwoche nichts mehr zu tun, seien eines Besseren belehrt. Tatsächlich fallen die von mir sehr ungeliebten Korrektur- und Erstellungsarbeiten von Stegreif- und Schulaufgaben weg, an deren Stelle tritt aber nicht nur das Backen diverser Kuchen, Lehrerkonferenzen und der Besuch des Schulsommerfestes, sondern auch Exkursionen.

So begleitete ich gestern eine 10. Klasse nach Kempten, wo wir die ausgesprochen sehenswerten Ausgrabungen von Cambodunum besichtigen durften. Diese sind tatsächlich in ihrer Bedeutung auf eine Stufe mit denen von Köln und Trier zu stellen.

Als kleine Anekdote am Rande erfuhren wir so z.B. auch, dass die Zeiten sich auch in Kempten im ständigen Wandel befinden. So fuhr unsere Führerin in ihrer Kindheit mit ihren Freunden mit größter Freude mit dem Rad über die Überreste der Tempelanlange, was heutzutage selbstverständlich undenkbar wäre.

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