Rostock, Robben, Randale, Rollsplit, Regiobahn

Aufgrund inbrünstiger frühmorgendlicher Vogelgesänge, welche merkwürdigerweise den Insulinpumpenalarmen der Jungs so sehr ähnelten, dass ich alle paar Minuten zum Bett der Zwillinge gestürmt bin, begann ich den Tag ziemlich gerädert.

Zudem mussten wir just heute noch früher als sonst aufstehen, da wir bereits um 8.00 Uhr am Strand sportlich aktiv waren. Davor hatte ich den beiden schon ein ausführliches Frühstück kredenzt. Ich wollte den Jungs unbedingt mal die Strandgymnastik zeigen, welche in dieser Saison heute zum ersten Mal und und in dieser Woche auch zum letzten Mal angeboten wird.

Mit sogenannten Smoveyringen, welche von einem Parkinsonpatienten entwickelt worden sind, trainierten wir sehr effektiv unsere Arm- und Oberkörpermuskulatur. Auch wenn mich dies zeitlich heute zusätzlich unter Druck gesetzt hatte, bereute ich es nicht, meinte unserer Jüngerer doch am Ende der ersten Strandgymnastikstunde seines Lebens ganz rührend: “Das wäre echt echt schade gewesen, wenn wir das nicht gemacht hätten.”

Nachdem ich die letzten Brotzeitboxen gefüllt hatte – ich finde Reiswaffeln mit Erdnussmus immer ausgesprochen empfehlenswert, da man diese nicht nur auch in relativ großer Hitze transportieren kann, sondern sie in dieser Kombination glücklicherweise auch die Blutzuckerwerte nicht ansteigen lassen – eilte ich voll beladen mit all unserer Ausflugsausrüstung für diesen Tag zu unserem Auto, das ich eine Seitenstraße weiterparken muss, da es leider zu breit für den vorgesehenen Ferienwohnungsparkplatz ist.

Ich traute meinen Augen nicht, hatte ich doch absolut ordnungsgemäß geparkt. Doch lagen plötzlich auf der Straße verteilt zahlreiche Spiegelsplitter, die sich bei näherem Herantreten leider als Elemente zu unserem linken Außenspiegel entpuppten, der nun in Hunderten von Einzelteilen auf der Straße zu finden war.

Es ist mir völlig unverständlich, wer dies gemacht hat und warum. Ob es Fahrerflucht war oder böswillige Randale? Wie sehr hatte ich noch beide Tage in Leipzig während des Gothic-Wave-Treffens gebibbert in der ständigen Sorge, dass unser Auto beschädigt werden könnte…Überall hätte ich mit so etwas gerechnet, aber doch nicht in Zingst…

Und meine Nerven sollten noch weiter strapaziert werden. Neben permanentem Insulinpumpengepiepse verbrachten wir im sehr heißen Auto 40 Minuten länger als geplant aufgrund einer Kombination aus Baustelle und kilometerlangem Rollsplitaufkommen, wodurch wir ein Tempolimit von 30 km/h einhalten mussten. So brauchten wir über 90 Minuten, bis wir endlich in Warnemünde ankamen.

Dort begann wieder altbekanntes Spiel: ich muss mich in kürzester Zeit orientieren, wo die beste Parkmöglichkeit ist, da gerade die Jungs nicht nur dringend bieseln müssen, sondern auch großen Hunger vermelden. Ich lobe mich ja selten selbst, aber ich kann wirklich jedem, der die wunderschöne Stadt Rostock besuchen will, unseren Parkplatz empfehlen. Wenn man ganz vorne am Yachthafen “Hohe Düne” parkt, muss man noch nicht einmal Parkgebühren zahlen und man ist nicht nur in 10 Minuten zur Robbenforschungsstation gelaufen, sondern kann nach weiteren 10 Minuten mit der Fähre sehr schnell auf die andere Uferseite nach Warnemünde übersetzen.

Schwer bepackt erfuhren wir auf dem Forschungsschiff den Unterscheid zwischen Seehund, Seebär und Seelöwen…

…wer sich zoologisch genauso wenige auskennt wie ich, dem sei an dieser Stelle empfohlen, immer beim Anblick solcher Tiere den Begriff “Robben” zu verwenden, da dieser offenbar das Hyperonym für alle Unterarten dieser Tiere darstellt…

Zudem lernten wir eine Erlanger Familie mit einer 16-jährigen Tochter mit Typ1-Diabetes kennen, die genau das gleiche CGM-system wie unsere Jungs trägt. Von ihrem Vater erfuhren wir, dass just am heutigen Tag auch der Bundeskanzler in Warnemünde zugegen ist und erblickten dann tatsächlich wenige Minuten später den Bundeswehrhubschrauber – mit Olaf Scholz an Bord?

Während ich wesentlich lieber noch länger die Robben beobachtet hätte, gab es für unseren älteren kein Halten mehr. Es mussten alle Yachten am angrenzenden Hafen ausgiebig begutachtet werden. Früher hätte ich mich nie getraut, einen fremden Menschen anzusprechen, aber die Mutterliebe verändert ja vieles. Und so sprach ich den Jungs zuliebe tatsächlich den einzigen Yachtbesitzer, der sich gerade in seinem Boot aufhielt, an, in der Hoffnung, dass er den Jungs vielleicht die Yachten etwas näher erklären kann.

Und wir wurden nicht enttäuscht…Sofort durften wir auf seine Yacht und Volker (so stellte er sich uns nach wenigen Minuten vor) beantwortete nicht nur geduldigst eine Frage nach der anderen (“Noch eine einzige Frage” – und dann kamen noch hundert weitere…), sondern kam vom Hundertsten ins Tausendste, wir erfuhren, dass diese Yacht fast nicht kentern kann aufgrund des zwei Tonnen schweren Bleikegels in der Mitte der Yacht, dass es sogar eine Außendusche gibt und dass er schon oft bis nach Schweden gesegelt ist.

Tatsächlich verbrachten wir mehr als doppelt so lange Zeit in diesem beeindruckenden Segelboot als in der Robbenforschungsstation. Zwischendurch plagte mich die Sorge, dass wir den passionierten Segler zeitlich zu sehr in Beschlag nehmen, aber das Gegenteil schien der Fall zu sein.

Er freute sich riesig, unseren Jungs Rede und Antwort zu stehen. Ich überlegte immer wieder, wie ich mich für diesen grandiosen Vortrag erkenntlich zeigen könnte. Aber während ich z.B. den Bedienungen im Restaurant/Hotel immer ein sehr großzügiges Trinkgeld hinterlasse, dachte ich, dass jemand, der 10.000 Euro jährliche Unterhaltskosten für diese Yacht aus der Portokasse zahlt, durch kein zusätzliches Geld, sondern vielmehr durch Freude und großes Interesse an seinem Hobby belohnt wird.

Ich hatte wirklich meine Mühe, die Jungs wieder vom Yachthafen loszueisen, aber wir wollten ja unbedingt noch mit der Fähre auf die andere Molenseite von Warnemünde gelangen.

Dort erfrischten wir uns nicht nur an einem Trinkwasserbrunnen…

…sondern besichtigten auch die zwei Wahrzeichen von Warnemünde, den Teepott…

.. sowie den architektonisch beeindruckenden Leuchtturm.

Nachdem sich die Jungs mit Eis – ich hatte extra schon im Vorfeld recherchiert und eine sehr schöne Eismanufaktur in Warnemünde herausgesucht, die ausschließlich glutenfreies Eis anbietet – stärken durften…

…erlaubte ich mir, nachdem ich ja wirklich Tag und Nacht, Stunde für Stunde immer für die Jungs da bin, noch einen Abstecher in die Alexandrinenstr. zu machen.

Als ich ganz entzückt die süßen Häuserfassaden bestaunte, konterten die Zwillinge ganz trocken: “Was ist denn daran Besonderes?” Bei den anschließenden Riesenseifenblasen verschob sich das Zeitempfinden dann wieder deutlich…

Trotz der vorgerückten Stunde hielt ich mein Versprechen und wir fuhren mit der Regionalbahn noch eine halbe Stunde von Warnemünde aus in die Rostocker Innenstadt.

Dort erfrischten sie sich an dem Brunnen der Lebensfreude, der von den Rostockern liebevoll als “Pornobrunnen” getauft wurde…

…und freuten sich, dass die Marienkirche zu meinem Leidwesen schon seit Stunden geschlossen war.

Leider war ich heute den ganzen Tag dauerangespannt. Sowohl der mir auf völlig unverständliche Weise zerstörte Außenspiegel, mein Handy, dessen Akku offenbar schon wieder kaputt ist und das alle paar Stunden wieder aufgeladen werden muss sowie ziemlich Achterbahnfahrten der Blutzuckerwerte machten mir zu schaffen.

Aber als unser Älterer auf der spätabendlichen Autorückfahrt nach Zingst unvermittelt konstatierte: “Mama, das ist der abenteuerlichste Urlaub, den ich bis jetzt erlebt habe. Da habe ich in der Schule sooo viel zu erzählen.”, durchströmte mich das Gefühl, dass sich doch dafür all der Stress und das Herzrasen lohnen.

Und unser Jüngerer (der die letzten Tage manchmal etwas schwierig war) umarmte mich noch kurz vor dem Zähneputzen und sagte: “Das war ein schöner Tag, sogar sehr schön.”

Jetzt hoffe ich nur inständig, dass wir unser Auto wieder fit bekommen, scheint zudem leider auch ein Ventil beim linken Vorderreifen Luft zu verlieren und auch die Scheibenwischer lassen sich plötzlich nicht mehr in ihre Ursprungsposition zurückbringen…

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Kommentare

2 Antworten zu „Rostock, Robben, Randale, Rollsplit, Regiobahn“

  1. Avatar von Gertraud Berchtold
    Gertraud Berchtold

    Ich bin die Mutter von Christine, von ihr habe ich gestern Ihre Reiseberichte bekommen. Die täglichen Unternehmungen mit Ihren Zwillingen sind so lebhaft und amüsant geschrieben, dazu die Fotos, mir gefällt‘s richtig gut. LG Gertraud Berchtold

    1. Avatar von diazlireisen

      Liebe Frau Berchtold, ich freue mich ausgesprochen, dass Ihnen unsere Reiseberichte Freude bereiten und hoffe sehr, dass Ihnen auch die nächsten gefallen werden…Mal schauen, was es noch alles so zu erzählen und zu fotografieren gibt…Ganz liebe Grüße!

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