Duhnen (Cuxhaven), Déjà-Vu, Duftmischung, Differenzen, Dampfbad, Durchzug, Deichschafe, Drahtesel,  Datingportalalternative

„Wie wird eigentlich das ganze Gras am Deich kurzgehalten?“ fragte vollkommen zu Recht unser Älterer, als wir an diesem vorbeiradelten. Aufsitzrasenmäher oder auch Mähroboter würden ja wohl wegen der großen Deichschräge definitiv nicht in Frage kommen. Als wir ein wenig später unser Ziel, die dicke Berta, erreicht hatten, erblickten wir die Antwort auf unsere Frage. Unzählige, sehr süße Schafe standen nicht nur zur Dekoration auf den Deichwiesen, sondern verrichteten zuverlässig ihre „Määäh-Arbeit“.

Diese für Norddeutschland so typischen Deichschafe trifft man überall auf den Elbdeichen. Sie verrichten den höchst wichtigen und verantwortungsvollen Job, indem sie die Grasnarbe auf dem Deich schön kurz und fest halten. Damit leisten sie einen unverzichtbaren Beitrag zum Küstenschutz sowie im Winter zum Schutz des Landes vor den Sturmfluten. Nach einer Sage haben die Deichschafe übrigens auf einer Seite kürzere Beine, damit sie auf dem schrägen Deich besser stehen können…

Die Fahrt zu der dicken Berta, einem ganz besonderen Leuchtturm hatte sich ziemlich gezogen und war aufgrund der steifen Brise, welche ja eigentlich kontinuierlich auf dem Deich zu spüren ist, relativ anstrengend gewesen. Dennoch war ich froh, dass wir anderes als in den allermeisten unserer angelaufenen Häfen am Westatlantik, wo ich ja stets mit der Rädersuche verzweifelt war und Stunden über Stunden verloren hatte, problemlos Räder gleich für unsere gesamte Aufenthaltszeit in Cuxhaven mieten konnten, da die Busse nur sehr unregelmäßig und selten fahren. Eine Buslinie fährt sage und schreibe genau einmal (!) am Tag.

Wir hatten den letzten Tag erwischt, an dem der Museumsleuchtturm am Altenbrucher Hafen noch für die Besucherinnen und Besucher geöffnet war, ehe dieser auf unbestimmte Zeit für eine umfassende Restaurierung eingerüstet werden sollte. Dementsprechend lange Warteschlangen hatten sich davor gebildet, da stets immer nur eine Gruppe von zehn Leuten in den Leuchtturm passte.

Das Leuchtfeuer Dicke Berta führte ab November 1897 alle Schiffe sicher durch das schwierige Fahrwasser der Niederelbe mit ihren Strömungen, Untiefen und Richtungsänderungen. Aufgrund der technischen Neuerungen, so dass automatisierte Leuchtfeuer gebaut wurden, erlosch die Lampe der dicken Berta im März 1983 für immer. Seit 20 Jahren finden dort bis zu 200 Trauungen jährlich statt, in dem Trauzimmer im dritten Stock des Leuchtturms, von dem aus man einen traumhaften Ausblick auf den Deich, die Elbe und das Umland hat.

Die für den Leuchtturmverein ehrenamtlich arbeitenden Leute sind genauso leuchtturmbegeistert wie ich und haben uns sehr eindrücklich erklärt, warum auch in heutigen Zeiten die Instandhaltung aller Leuchttürme als Orientierungshilfen für eine sichere Schiffsfahrt äußerst wichtig ist. So schirmt z.B. gerade ganz aktuell Russland die Enklave Kaliningrad so ab, dass die Schweden in gewissen Gebieten nicht mehr mit den neuen Seekarten navigieren können. Während die Dicke Berta nur noch als museales Monument genutzt wird, ist ein benachbarter höherer Leuchtturm, die „Schlanke Anna“ noch ganz regulär in Betrieb.

Auch wenn die Drahteselbenutzung für mich ja die einzige gute Fortbewegungsmöglichkeit ist, gestaltete sich dies nicht ganz komplikationsfrei, beklagte sich doch gerade unser Älterer bereits nach wenigen Metern, dass ihm der Po von dem Sattel so sehr schmerzte und stellte noch vor der Kugelbake, dem nördlichsten Punkt von Niedersachsen, die bei allen Eltern verhasste Frage: „Mama, wie weit ist es denn noch?“  Dazu wurde unsere Fahrt, meistens an den unpassendsten Stellen wegen häufiger Unterzuckerpumpenalarme unterbrochen, bei denen die Jungs dann oft mit ihren Rädern den anderen Radlern komplett im Wege standen, während ich hektisch in meinen Taschen nach weiteren Traubenzuckern und Gummibärchen kramte.

Die Pause am Yachthafen mit dem Schiffsansagedienst, welcher die Herkunft bzw. Zielrichtung eines jeden vorbeifahrenden (Container)Schiffes per Lautsprecher ansagte, konnte ihn dann wieder ein wenig mit der anstrengenden Radfahrt versöhnen. In Cuxhaven ist der Schiffsverkehr tatsächlich beachtlich, fahren doch dort zwangsläufig sowohl alle Schiffe von oder nach Hamburg vorbei, genauso wie sämtliche Schiffe, welche den Nord-Ost-Seekanal, den weltweit meistbefahrenen Kanal, benutzen.

Grundsätzlich habe ich währen unserer Nordseetage ganz oft an die in meiner Kindheit verbrachten Urlaube an der Nordsee mit meiner Mutter gedacht, die häufig aus Werken norddeutscher Schriftsteller rezitierte wie z.B. auch von dem von mir so geschätzten Theodor Storm, der ja z.B. ein sehr bekanntes Gedicht über das Ende eines Tages am Wattenmeer mit folgenden Worten begonnen hat: „Ans Haff nun fliegt die Möwe, und Dämmrung bricht herein, über die feuchten Watten spiegelt der Abendschein. Noch einmal schauert leise und schweiget dann der Wind; vernehmlich werden Stimmen, die über der Tiefe sind.“

Von Stimmen wurde ich auch unentwegt begleitet, allerdings weniger von Vogelstimmen, auf die sich vielleicht Theodor Storm bezog, sondern vielmehr auf ständig fordernde, unterschiedlichste Wünsche der zehnjährigen Söhne. Sobald die Primärbedürfnisse wie Hunger, Durst, Ausgeschlafenheit, eine angenehme Temperatur sowie Sicherheit befriedigt waren, wurden die Zeitvertreibwünsche lauter und es wurden unter anderem ordentliche Bälle vermisst. Ist das Kofferpacken ja sowieso immer ein Kraftakt für mich und war ich schon stolz, dass ich mit dem Inhalt der fünf Koffer tatsächlich nichts Wichtiges vergessen hatte, hatte ich an einen Fußball nun wirklich nicht gedacht…

Als die Jungs dafür einen bestimmten Laden, in dem es ganz besondere Bälle zum Kaufen gab, nur wenige hundert Meter von unserer Unterkunft ansteuerten, hatte ich plötzlich ein Déjà-vu-Erlebnis. Vor knapp 22 Jahren war ich nämlich mit unserer damals sechsmonatigen ältesten Tochter schon einmal in Cuxhaven, allerdings fast ausschließlich zum Arbeiten. So besaßen die Eltern einer meiner Nachhilfeschülerinnen eine Einzimmerwohnung in Cuxhaven als Ferienappartement, wohin ich zum damaligen Zeitpunkt als junge Studentin mit kleinem Baby überhaupt nicht wollte. Aber sie bequatschten mich damals so lange, bis ich einwilligte und zusammen mit unserer kleinen Tochter, der gesamten Babyausstattung und dem Vater der sechszehnjährigen Nachhilfeschülerin sowie der Schülerin selbst nach Cuxhaven gefahren bin.

Rückblickend habe ich mich ziemlich ausnutzen lassen, habe ich doch rein gegen Kost und Logis (welche beide sehr karg waren) jeden Tag mindestens vier Stunden lang die Zehntklässlerin in allen Fächern auf die Prüfung der Mittleren Reife vorbereitet und das stets im Beisein unserer eigenen Tochter, die ich auch immer bei Laune halten musste. Nachmittags bin ich dann oft mit Baby im Tragetuch und der Schülerin im Wattenmeer spazieren gegangen, was mir jetzt aufgrund der extremen Schmerzen leider nur noch wenige Minuten möglich war.

Jedenfalls hatte ich diesen Cuxhavenaufenthalt als extrem anstrengend mit den täglichen zahlreichen Nachhilfestunden zusammen mit eigenem Baby und ansonsten auch Rund-um-die-Uhrbetreuung der Schülerin in Erinnerung, dass ich zwei Jahrzehnte Cuxhaven und Umgebung konsequent gemieden hatte. Als wir nun eine Unterkunft in Duhnen gebucht hatten, bin ich in meiner Erinnerung davon ausgegangen, dass ich damals direkt im Zentrum von Cuxhaven gewohnt hätte, in Duhnen kam mir bei unserer Ankunft ja alles völlig unbekannt vor.

Und nachdem wir schon drei Tage in Cuxhaven waren und öfters an einem potthässlichen Betonhochhaus mit dem Namen „Panorama“ vorbeigeradelt sind, musste ich dieses erst aus einer ganz anderen Perspektive, nämlich der, als ich gerade alle drei Räder – was die Jungs mal wieder vergessen hatten – vor dem Bällegeschäft absperrte, sehen, als mich plötzlich ein kleiner Schauer, ein absolutes Déjà-vu überkam und ich mich plötzlich wieder genau an den Platz erinnerte, an dem ich jeden Tag mit der Tochter im Tragetuch Semmeln gekauft hatte. Mittlerweile sieht es in Duhnen natürlich völlig anders aus, aber ich erkannte auf einen Schlag genau das Ferienappartementhaus, in dem ich damals tagtäglich so viel unterrichtete und von dem aus ich sogar zwei Wochen später den Vater, der uns mit seinem Auto wieder von München abholen wollte, zurückkutschieren musste, da dieser irgendeine Blinddarmentzündung oder etwas ähnliches bekommen hatte. Die Autofahrt mit zu bespaßender sechsmonatigeren Tochter sowie dem Nachhilfeschülerinvater, der permanent schmerzverzerrt vor sich hinstöhnte und ich ununterbrochen Panik hatte, dass er mir gleich im Auto komplett kollabiert, ist mir selbstverständlich ebenfalls in absolut keiner guten Erinnerung geblieben.

Nun aber war genügend Zeit vergangen und Duhnen zeigte sich für mich von einer wesentlich angenehmeren Seite. Höchstwahrscheinlich hatte ich mit unserer kleinen Tochter vor über 20 Jahren auch schon das Thalassozentrum besucht, das damals offenbar ausschließlich Ahoibad hieß besucht, war aber damals aufgrund der Wärme wahrscheinlich ausschließlich im kleinen dortigen Thermenbereich. Die Zwillinge, gerade die Jungs waren so angetan von dem Wellenbad, in dem man in echtem Nordseewasser schwimmen darf, dass wir immer mal wieder, auch mal nur noch in den späteren Abendstunden, dem Schwimmbad einen Besuch abgestattet hatten, bei dem ich mich allerdings immer zwischen den unterschiedlichen Wünschen der Jungs aufteilen musste.

Zur abendlichen Brotzeit versammelten sich schließlich wieder alle im für den Norden so stilechten Strandkorb im Saunabereich. Nachdem ich den beiden alles Essen gegeben und berechnet hatte, wollte ich zehn Minuten für einen raschen Dampfbadgang nutzen, als ich schon kurz nach dem Betreten desselbigen, laute brüderliche Dispute hörte. Verärgert verließ ich verfrüht das Schwitzbad und stellte verwundert bei den Jungs einen intensiven Orangenduft fest. Auch wenn es mir sehr peinlich war, musste ich ja fast schon wieder lachen, als mir der Jüngere den Streitgrund, der sich über die heftigen brüderlichen geruchsintensiven Flatulenzen beschwert hatte, erklärte. Als der Saunameister an dem Strandkorb vorbeikam, nahm er den Gestank offenbar auch sofort wahr und versprühte eine große Menge an einem Orangenaufguss.

Der Aufenthalt im Thalassozentrum glich nicht wirklich einem Wellnesstag für mich, war ich doch nicht nur ständig mit dem Verkleben des ganzen Diabetesequipments in doppelter Ausführung und dem Gerechtwerden der unterschiedlichsten Bedürfnisse beschäftigt, sondern musste ich mich zwischendurch auch immer wieder ärgern, wie wenig die Jungs meinen Worten zuhören. So hatte ich dem Älteren genau gesagt, welche Tüte er mit welchem Spindschlüssel nach dem Verlasen des Schwimmbereichs mit in den Saunateil nehmen sollte, musste dann aber feststellen, dass er seine Ohren anscheinend komplett auf Durchzug geschaltet hatte und rein gar nichts von dem mehrfach wiederholtem dabei hatte…  

Wann immer übrigens jemand auf der Suche nach einem neuen Partner sein sollte, dem kann ich wärmstens einen Besuch mit unserem Jüngsten in einer der Saunen empfehlen. So schnell konnte ich gar nicht schauen, wie er in das Gespräch mit diversen Männern jeglichen Alters kam, welche allesamt ganz fasziniert davon waren, wie lange er bei den einzelnen Saunaaufgüssen durchhält und wieviel Freude ihm diese bereiten. Nach kürzester Zeit stellte er mir auf der Panoramaterrasse die verschiedensten Bekanntschaften vor, welche er kennengelernt hatte, während ich mit dem Älteren im Wellenbad Wasserball gespielt hatte, vor.

Mich hätte nun tatsächlich weder ein älterer Herr aus dem Nürnberger Raum noch ein jüngerer Mann, welcher bizarrerweise in der Sauna kein Handtuch verwendete, sondern in einen sehr dicken Bademantel eingehüllt war, auch nur annähernd interessiert, aber unser Jüngster sorgt auf alle Fälle wesentlich schneller und vielseitiger für neue Bekanntschaften, wenn man dies denn wünscht, als kostspielige Datingportale und das auch noch deutlich kostengünstiger, in Form einer Eintrittskarte in das jeweilige Saunapardies. Also, wann, wer auch immer, hierfür Bedarf haben sollte…

Beitrag veröffentlicht

von

Schlagwörter:

Weitere Beiträge

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert