Lissabon, Linie 28, Landkartengemälde, Luzienausichtspunkt– und Luzienkirchenazulejo, Lieblingsbarkeeper

Meinen Ursprungsplan mit geliehenen Rädern am Tejo entlang zum Torre di Belém sowie zu Lissabons schönstem Kloster, dem Mosteiro dos Jerónimos zu radeln, verwarf ich in letzter Sekunde aufgrund der großen Hitze und dem völlig eingerüstetem Turm, wie wir es bereits bei der morgendlichen Einfahrt nach Lissabon gesehen hatten. Allerdings gestaltete sich der Kauf eines 24-Stunden Tickets auch nicht ganz komplikationsfrei. Ich hatte extra noch am Schalter gefragt, ob es irgendwelche Kinderermäßigungen gäbe, was verneint wurde, und kaufte dann am Automaten in der Bahnhofshalle drei Tagestickets für uns.

Nachdem wir an den Zuggleisen entlang ein Stockwerk tiefer zu der U-Bahn gegangen waren, wunderte ich mich, dass uns die automatische Fahrkartenkontrolle trotz unserer immer ungeduldig werdender Vorzeigversuche nicht passieren lassen wollte. Als ich bei der Dame am Schalter entnervt nach dem Grund fragen wollte, schob sie plötzlich ein Schild vor das Auskunftsfenster mit der Aufschrift „closed“ und begann in stoischer Ruhe ihr Frühstücksmüsli zu löffeln. Nach einigen Minuten Wartezeit, geruhte sie dann schließlich, uns die Auskunft zu erteilen, dass wir im falschen Geschoss das Eintagesticket erworben hätten, was ausschließlich für die Nutzung der Lissabonner Regionalzüge konzipiert ist.

Mein Umtauschversuch, begleitet von langen Wartezeiten, verlief selbstverständlich erfolglos, so dass wir abermals ein Stockwerk weiter unten mit einer ebenfalls stattlichen Warteschlange und einem komplizierteren Automaten unser Glück versuchen mussten. Schließlich gelang es, im ersten Schritt einen aufladbaren Pass zu erwerben, den man dann im zweiten Schritt mit dem jeweils gewünschten Fahrttarif aufladen konnte. Immerhin wurde den Kindern dabei einmal mehr die enorme Wichtigkeit von einer gewissen Sprachkompetenz vor Augen geführt, konnte man doch an den Fahrkartenautomaten ausschließlich zwischen Portugiesisch, Französisch, Spanisch oder Englisch wählen.

Nach Bewältigung all dieser unerwarteten Tücken erschienen wir offenbar einer anderen jungen und unwissenden Familie so kompetent, dass wir ihnen vorbildlich behilflich sein konnten und ihnen in kürzester Zeit zum Erwerb der richtigen Tagestickets verhalfen. Mit dem gültigen Tagesticket ausgestattet fuhren wir als erstes zu Lissabons schönster Metrostation Parque, die mich allerdings deutlich weniger beeindruckte als die wunderbar vielfältig gestalteten Metrostation der schwedischen Hauptstadt.

Die Metrostation Parque wurde 1994 von einer belgischen Künstlerin neu gestaltet und man kann auf den dunkelblauen Wänden vielfältige Motive von der Erwähnung antiker Schriftsteller über Landkartenzeichnungen bis hin zu Abbildungen in Bezug auf die Sklaverei entdecken. An der Decke der gesamten Metrostation ist die Erklärung der Menschenrechte Buchstabe für Buchstabe auf je einem Azulejo verewigt.

Zudem bin ich bereits mit zwei völlig übermüdeten Kindern, die wie immer abends kein Ende gefunden hatten und höllischen Fußschmerzen in den Tag früh morgens gestartet, wollten wir doch die einzigartige Durchfahrt unter der Brücke des 25.April hautnah erleben, wo man auf dem obersten Deck das dringende Bedürfnis verspürte, den Kopf einzuziehen aus Sorgen ansonsten an der Brückenunterseite hängen zu bleiben. Und das Ausharren auf der Steuerbordseite sollte nur wenige Minute nach der berühmten Brücke, welche unter der Zeit des Diktators Salazar gebaut und nach der Nelkenrevolution dann umbenannt worden war, durch den Ausblick auf die imposante Christusstaue belohnt werden.

Einmal mehr war ich, gelinde gesagt, doch ein wenig überrascht, wie wenig die Kinder meinen kulturellen Ausführungen lauschen, kam von unserem Jüngeren doch kurz nach dem Passieren dieser Statue die überraschte Frage, ob denn dort als Statue Jesus abgebildet wäre… Dem Reiseführer folgend, welcher schrieb, dass ein Aufenthalt in Lissabon ohne die berühmte Trambahnlinie 28 gefahren zu sein, einem Parisaufenthalt ohne einem Eiffelturmbesuch entspräche, taten wir uns die Tortur an und standen insgesamt zwei Stunden, meist in praller Sonne an der Praca Martim Moniz, an welcher die historische Tram startet, bis wir endlich in einen dieser Wagons, die nur wenige Passagiere fassen und bei weitem nicht immer in dem angegebenen 10-Minutentakt fahren, einsteigen konnten. Die Fahrt zog sich immerhin über eine Stunde lang, allerdings war die Tram so überfüllt, dass man einige der Sehenswürdigkeiten nur erahnen konnte.

Dass sich die Bahn durch sehr schmale, teils nur einspurige Gassen schlängelt, war unüberhörbar, als diese von einem beachtlichen Scheppern begleitet plötzlich einen zu dicht geparkten Außenspiegel eines sehr neuen VW-Busses wegriss und noch nicht einmal stehen blieb, war es jedoch auch keinesfalls ihre Schuld, da sie einfach dem Schienenverlauf folgen muss. Dass wir mit der Linie 28 auch die weltweit steilste Trambahnstreckenführung mit 13,5 % bewältigten, war dagegen deutlicher dem Reiseführer zu entnehmen als mit bloßem Auge aufgrund des großen Andrangs zu erkennen. Insgesamt führte uns die Straßenbahnfahrt unter anderem durch die Gassen der Alfama, vorbei an der Miradouro Santa Luzia bis hin zum „Cemitério dos Prazeres“, was mit „Friedhof der Vergnügungen“ übersetzt wird und etwas skurril wirkt.

Mir war nicht bewusst, dass die Straßenbahnfahrt dort endet und man sich wieder in eine relativ lange Warteschlange einreihen muss, wenn man den Rückweg ebenfalls mit dieser Linie zurücklegen will. Die Kinder nutzten die Endhaltestelle erst einmal, um ihre Muskeln an dem öffentlichen Fitnessparcour im Schatten zu stählen, bevor wir die Rückfahrt antraten, welche aufgrund des dichteren Verkehrs noch einmal deutlich länger gedauert hat. Insgesamt ist das Fahrtvergnügen in dieser historischen Tram mit ihrer hölzernen Karosserie mit Sicherheit ein Erlebnis, allerdings ärgerte ich mich doch ein wenig, nicht auf das Angebot eines recht sympathischen TukTuk-Fahres eingegangen zu sein, welcher uns in der so langen Warteschlange ansprach, die Vorteile einer großen Sprachbeherrschung lobte und uns zum – wie ich es später lernte – absoluten Schnäppchenpreis von um die 20 Euro angeblich zwei Stunden durch Lissabon kutschiert hätte. Meine ehemalige Schulkameradin, welche wir ja bereits am Anreisetag ganz zufällig auf dem Schiff getroffen hatten, hatte diese Fahrt – allerdings für deutlich mehr Geld – unternommen und ganz begeistert davon erzählt, wieviel sie gesehen hätten, unter anderem auch die sogenannte Pink Street, in der es meine geliebten hängenden Regenschirme zu bestaunen gegeben hätte.

Die Geschäftstüchtigkeit der Lissabonner, angeregt durch die exorbitanten Warteschlangen für die historische Trambahn war beachtlich. So warteten nicht nur unzählige TukTuk-Fahrerinnen und -Fahrer sondern ebenso Verkäufer von Obstsalat, Käppies und Getränken sowie beängstigend nah herabstürzende Tauben, welche die wartenden Touristen immer wieder belästigten.

Leider waren die Jungs nach der langen Trambahnfahrt schon ziemlich besichtigungsmüde, bei der St.Antoniuskirche, der Schutzheilige, der in Lissabon geboren ist und deshalb dort eine genauso große Rolle wie in Padua spielt, sparten sie sich die Kirchenbesichtigung und begnügten sich mit dem „Zündeln“ an Kerzen, die vor dem Gotteshaus zu Ehren des Heiligen angezündet werden. Das Herumklettern auf einem 300 Jahre alten Gummibaum erweckte wieder ungeahnte Lebensgeister, welche nur wenige Minuten später gänzlich erloschen, als wir endlich – aufgrund meiner starken Fußschmerzen im Schneckentempo – den nicht zuletzt bei allen Instagrammern so beliebten Aussichtsplatz der St.Luzia erreicht hatten.

Während dort einige Stunden verbringen, um das perfekte Foto von sich und dem herausragendem Ausblick zu schießen, war mir nur ein ausgesprochen kurzer Aufenthalt vergönnt, fiel der Blick der Jungs doch unverzüglich auf unser von dem Aussichtspunkt gut sichtbares Kreuzfahrtschiff, das quasi unterhalb am Ufer des Tejos lag, und es überfiel beide Söhne eine ungezügelte Lust, das Schiff sofort wieder zu besteigen. Da ich die beiden ja aufgrund des unüberschaubaren Gassengewirrs nicht alleine zum Schiff laufen lassen konnte, war mir leider der genüssliche Blick über die Dächer der Alfama und des Tejo verwehrt und ich machte nur noch rasch ein Foto der pittoresken Azulejowand an der Südseite der Luzienkirche, welche unter anderem den Praca do Comércio vor dem katastrophalen Erdbeben im Jahr 1755 zeigt.

Dieser wurde danach wieder prachtvoll errichtet inklusive eines Reiterstandbilds, das Josef I. Abbildet. Der Platz gilt nicht nur vielen als der eleganteste Platz von Lissabon, sondern gleichzeitig als einer der schönsten von ganz Europa, woran mit Sicherheit auch der Triumphbogen, der „Arco da Rua Augusta“ seinen Teil dazu beitragen wird. Hatte unser Jüngerer an diesem Tag das frühere Ende der Stadtbesichtigung mit einem angekündigten Shuffleboardspiel in der Gruppe bereits um 17.00 Uhr begründet, ärgerte ich mich einen Tag später während des Seetages um so mehr, als dass das diestägige Shuffleboardspiel, für das er ja alle Zeit der Welt gehabt hätte, dann offenbar doch nicht so interessant war, als dass man sich dafür von Deck 15 auf Deck 5 hätte bewegt, jedoch wichtig gut, um einen der allerschönsten Aussichtspunkte von Lissabon völlig überstürzt verlassen zu müssen…

Nach jedem Landgang müssen stets alle Passagiere durch eine Sicherheitskontrolle am Hafen hindurch. Die ersten Mal habe ich dabei immer noch auf die Insulinpumpen der Söhne hingewiesen, was ich in Lissabon zum ersten Mal nicht mehr gemacht habe, da es davor nie zum Piepen kam. Bei der Sicherheitskontrolle im Lissabonner  Hafen nun änderte sich dies schlagartig, die bei beiden Söhnen piepste es und zwei grimmigste dreinblickende Sicherheitsmänner stürzten zunächst auf unseren Älteren zu. Dieser ist ja bei Fremden immer eher wortkarg, zeigte zwar etwas verschüchtert auf die Insulinpumpe an seinem Bauch, was jedoch nicht wahrgenommen worden ist.

Erst der wesentlich redefreudigere Jüngere klärte das Piepsen auf, was schließlich dann den Zorn der ersten Sicherheitsmänner, die eigentlich gerade am Brotzeitmachen gewesen sind, auf das unprofessionelle Regieren des zweiten Sicherheitspaaress hervorrief, uns jedoch endlich unbehelligt zum Schiff durch gehen ließ.

Während ein nicht unbeachtlicher Teil der Passagiere bereits am frühen oder spätem Vormittag dem Alkoholgenuss frönt – und am Abend sowieso eine Vielzahl der Erwachsenen mit diversen alkoholischen Getränken in der Hand verwachsen zu sein scheint (Liebe Franzi, selbstverständlich würde ich in deiner Anwesenheit selbstverständlich immer mal wieder den einen oder anderen Cocktail trinken..) bin ich offenbar einem Barkeeper auf Deck 12 bereits nach wenigen Tagen in Erinnerung geblieben, da ich anders als die anderen die Bar mit dem schönen Namen „Unverzichtbar“ nie zum Verweilen genutzt, sondern immer nur dort ein großes Sprudelwasser bestellt habe. Bereits nach wenigen Tagen war ich noch nicht ganz an den Tresen angekommen, da hatte er mir schon in ein Weißbierglas, da das offenbar das größte Gefäß ist, Sprudelwasser aufgefüllt und es mir noch, bevor er die anderen Gäste bedient hat, in die Hand gedrückt, was ich wirklich sehr rührend und aufmerksam fand.

Bemüht bin ich auch stets, den Zwillingen alle Bedürfnisse zu erfüllen, so dass ich schon vor dem Beginn der White Night Pool-Party mit einem opulenten Schokoladenbüffet – diabetesmäßig für mich der absolute Alptraum, da die Jungs sich an diesem Büffet noch um Mitternacht bedienten und ich die gesamte Nacht beschäftigt war, bis ich die Blutzuckerkurven wieder halbwegs stabilisiert hatte – mich bei einer diversen Vielzahl an Kellnern bezüglich der Glutenfreiheit der dort angebotenen Schokofrüchte erkundigt hatte, was keine leichte Aufgabe war, da viele in keiner der von mir verwendeten Sprachen mein Anliegen verstanden und immer mit einem Lächeln auf den Lippen die Frage verneinten, bis ich einen Sprachkundigen fand, welcher mir die Glutenfreiheit aller Schokoladenfrüchte zusicherte.

Große Dankbarkeitswellen schwappten mir vonseiten der Zwillinge aufgrund meines antizipierten Handelns – hatte ich auch schon für den Älteren die diversen Schokotörtchen und andere Süßigkeiten kohlehydratmäßig berechnet – nicht unbedingt entgegen, da sie plötzlich am Deck 12 verschwunden waren und mich frierend zurückließen. Für mich sind solche White Night-Pool-Parties ja immer ein Gräuel und ich wollte den Jung meinen Gang in die Kabine ankündigen, aber sie waren unauffindbar. Unter größten Schmerzen humpelte ich mehrmals auf der Suche nach ihnen das gesamte Deck ab – nichts.

So begab ich mich schlussendlich auf die Kabine und fürchtete bereits auch wellenmäßig eine sehr unruhige Nacht, da der Kapitän schon von einem heftigen Wind auf dem Atlantik bei seiner abendlichen Durchsage gesprochen hatte. Während ich mich ohne ein großes Konzentrationsvermögen aus Ärger über die unauffindbaren Jungs noch ein wenig durch die portugiesische Geschichte las, wurde plötzlich unsere Kabinentür mit großem Schwung aufgestoßen, unser Älterer stand mit restlos verschmiertem T-Shirt vor mir, das ich ihm erst eine Stunde zuvor blütenrein und komplett weiß gewaschen in die Hand gedrückt hatte, war sich keiner Schuld bewusst und hatte mich offenbar im Gegenzug zu mir auch keine einzige Sekunde gesucht, riss die Schranktür auf und stieß nur eilig hervor: „Mama, mir ist kalt, die nächsten Lieder sind wieder von AC/DC, ich hol mir nur schnell die Jacke aus dem Schrank.“ und wartete noch nicht einmal ab, bis ich ihm eine Zeit mitteilen konnte, zu der er sich dringend wieder in der Kabine einzufinden hatte…

Gewärmt von der Jacke schien ihm das spätabendliche Schokobüffet so zu munden, dass er die Horranzahl von 150 Gramm Kohlehydrate in seine Insulinpumpe eingab, was mir eine schlaflose Nacht bescherte, da er erst aufgrund der viel zu hohen Insulindosis in einen starken Unterzucker fiel, bei dem ich ihm ständig Traubenzucker in den Mund schieben musste, um dann wieder auf viel zu hohe Werte zu schießen, welche durch die automatischen Korrekturen der Insulinpumpe in den frühen Morgenstunden zu erneuten Unterzuckerungen führten…

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