
Diese Schulwoche war aufgrund von Klassenkonferenzen, den beiden an zwei aufeinanderfolgenden Nachmittagen und Abenden zu absolvierenden Abschlussfeiern unserer Zwillinge, welche sich nun bereits von der Grundschulzeit verabschieden müssen sowie schlaflosen Nächten für mich aufgrund ständiger Insulinpumpenalarme sowie dem Stechen von neuen Kathetern und Blutzuckersensoren zwischen 2.00 und 4.00 Uhr morgens neben extrem starken ununterbrochenen Fußschmerzen und dem täglichen Alltagsgeschäft physisch und psychisch extrem anstrengend für mich.

Das Sommerkonzert unseres Gymnasiums, bei dem auch unsere jüngere Tochter im Mittelstufenchor mitwirkt, sollte sanft das Ende der Schulwoche einläuten. Meine Hoffnung auf eine wenigstens kurze abendliche Minimalentspannung dank des beeindruckend vielseitigen Musikangebots sollte sich dabei allerdings leider nicht erfüllen. „Mama, ich möchte aber heute Abend nicht zu dem Konzert. Ich will mich mit den anderen bei der Halfpipe treffen.“ empfing mich bereits unser Älterer übellaunig, als ich vom Nachmittagsunterricht kommend abgehetzt unseren Flur betrat. „Ich kann dich aber nicht den ganzen Abend allein lasse!“ blaffte ich ihn gereizt an, „und außerdem müssen wir jetzt erst einmal alles für unseren Besuch herrichten.“

Als es mir eine Stunde später kaum gelang, unseren Jüngeren mit dem Auto zu seinem wöchentlichem Schachkurs zu fahren, versperrten doch äußerst platzeinnehmende Fußballtore, welche von den Zwillingen und ihren zahlreichen Freunden kurz zuvor auf unserer Privatstraße aufgestellt worden waren, die Möglichkeit zur ungehinderten Ausfahrt mit dem Auto, stieg aufgrund des enormen Zeitdrucks mein Cortisolspiegel erneut in beträchtliche Höhen. Und dieser sollte auch die nächsten Stunden auf konstant hohem Niveau bleiben.

So wurde unser uralter VW-Bus nicht nur kurz vor der geplanten Abfahrt zum Sommerkonzert von unserer jüngeren Tochter großzügig als Großraumtaxi für all ihre Freundinnen angeboten, von denen leider eine entgegen meiner exakten Vorgaben meinen extrem eng getakteten durch Unpünktlichkeit weiter verkomplizierte, sondern es konnten in der Schule auch nur zwei Plätze von einem unserer Musiklehrerkollegen für mich und die beiden Söhne reserviert werden, auf die sich die Jungs ganz selbstverständlich niederließen, während ich etwas fassungslos über die mal wieder an den Tag gelegte männliche Stoffeligkeit erst einmal auf den Treppenstufen in der Aula Platz nahm und ihnen den frisch zubereiteten glutenfreien Nudelsalat, den ich bereits zu Hause abgewogen und die genaue Insulinmenge dafür berechnet hatte, reichte.

Während der Ältere den Nudelsalat relativ zügig verputzte und von mir während der ersten beiden Musikstücke in Form eines außergewöhnlichen Hornquartetts sowie dem vom Sinfonieorchester sehr unterhaltsamen und eingänglichen Stück „The Typewriter“ ständig zur Ruhe ermahnt werden musste, klapperte er doch lautstark mit seiner Gabel in der Brotzeitdose aus Edelstahl herum, veranstaltete der Jüngerer offenbar mit dem Abendessen eine Art Kaumediation und musste auch noch bei der sechsten musikalischen Darbietung in Gestalt des immer wieder berührenden Liedes aus dem Film „Les choristes“, der „Caresse sur l’océan“, von mir zu einem absolut geräuschlosen Gabelaufspießens angehalten werden.

Kurz nachdem endlich auch seine Nudelsalatportion restlos aufgegessen war, erklang mit „Come fly with me“ das vom Eltern-Lehrer-Chor sowie einer großen Anzahl an Musikerinnern und Musikern vorgetragene schwungvolle Lied, das bereits das letzte Stück vor der Pause war. In weiser Voraussicht, dass die mütterliche Konzentration auf ihre Söhne in diesen 20 Minuten aufgrund der vielen Plaudereien mit (ehemaligen) Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern deutlich abnehmen könnte, bat mich unser Jüngerer um die Erlaubnis, einen ihm bekannten Fünft- oder Sechstklässler aufsuchen zu dürfen, welcher ebenfalls Schüler unseres Gymnasiums zu sein scheint.

„Aber du bist dann pünktlich nach der Pause wieder bei uns an deinem Sitzplatz!“, ermahnte ich ihn. Mit einem Blick auf die Uhrzeit auf seiner Insulinpumpe, bestätigte er mir mein Ansinnen durch ein Kopfnicken und verabschiedete sich zügig. Der Ältere folgte mir und ich war von Minute zu Minute mehr zerrissen zwischen mehr oder weniger inspirierenden Gesprächen mit vielen Schülern und deren Eltern sowie sogar unserem behandelnden Neuropädiater und unserem Älteren, der aus heiterem Himmel plötzlich auch noch über starke Beinschmerzen klagte und nicht mehr stehen konnte -wobei wir uns bei diesem Umstand ja leider die Hand geben konnten… Das mehrfache Läuten der Glocke zeigte das Pausenende an, bevor wir mitreißende Stücke vom Vokalensemble zu hören bekamen.

Zu meiner Verwunderung, die sich von Minute zu Minute mehr in eine Mischung aus Zorn und der großen Sorge, dass der Sohn vielleicht plötzlich einen epileptischen Anfall erlitten hätte, umgewandelt hatte, blieb der Platz zwischen mir uns unserem Älteren verwaist zurück. Nach dem dritten Vokalensemblestück war meine Sorge bezüglich eines gesundheitlichen Zwischenfalls so groß, dass sich neben mir noch vier weitere Kolleginnen und Kollegen sehr rührend auf die Suche nach dem verlorenen Sohn begaben. Dabei stand ich -mal wieder – unter großem Zeitdruck, wurde doch bereits alles für die Stücke des Mittelstufenchors aufgebaut, bei dem ich unbedingt aufmerksam unserer Tochter zuhören und diese filmen und fotografieren wollte.

So schnell es ging, suchte ich unseren Jüngeren auf allen Toiletten, in den Proberäumen sowie dem gesamten Obergeschoß inklusive des Lehrerzimmers, bis ich ihn schließlich ganz verschwitzt, aber sehr glücklich, auf dem neuen Fußballplatz vor unserer Schule entdeckte. „Mama, das sind so nette Leute!“ schwärmte er und es sollte sich später sogar herausstellen, dass er mit zwei Klassenkameradinnen unserer Tochter gekickt hatte. Erleichtert, dass nichts passiert war, aber ohne den Jüngsten zur Konzertrückkehr überzeugen zu können, kehrte ich zu unserer Sitzreihe zurück.

Der Ältere saß mit relativ finsterer Miene immer noch an Ort und Stelle, hatte aber ganz unerwartet einen neuen Sitznachbarn zu seiner Linken bekommen. Dabei sollten die Stühle immerhin quasi im „Familienbesitz“ bleiben, erkannte ich doch rasch, dass es sich bei dem dort sitzenden jungen Mann um den sympathischen, relativ neuen Freund unserer Tochter handelte. Dieser war sogar so rührend, als ich etwas klagte, dass die Zwillinge bereits so müde seien, ich aber auch noch nach dem Konzertende warten müsse, bis die Mädchen alles aufgeräumt hätten, mir ganz ernsthaft anzubieten: „Ich kann Ihre Tochter auch selbstverständlich nach Hause fahren.“

„Ja, hast du denn schon den Führerschein?“ fragte ich sehr überrascht, worauf er mich treuherzig ansah und meinte: „Nein, aber ich kann sie mit meinem E-bike nach Hause bringen.“ Da wir noch zahlreiche Freundinnen unserer Tochter nach Hause bringen mussten, konnte ich dieses liebe Angebot leider nicht annehmen und hatte meine liebe Mühe, die völlig übermüdeten Zwillinge dann kurz vor Mitternacht endlich zum Schlafen zu bringen.

Um so schöner war es, dass just an diesem Wochenende der (für mich) erstmalige Besuch der Herrenchiemsee-Festspiele mit meiner Mutter anstand. Diese finden bereits zum 23. Mal statt und es wird wohl kaum eine malerischere Kulisse für einen so großartigen klassischen musikalischen Hörgenuss geben als den Spiegelsaal des frisch zum UNESCO Weltkulturerbe gekürten von Schloss Herrenchiemsee geben. Bereits die halbstündige Einführung zu dem mit „Geistesblitze“ betiteltem Konzert fand in dem sehr beeindruckenden unvollendeten Treppenhaus des neuen Schlosses statt.

In diesem erfuhren wir, dass der junge Beethoven sogar mit 17 Jahren sein großes Idol Mozart einmal besucht hatte, er aber viel zu früh aufgrund seiner im Sterben liegenden Mutter wieder zurückkehren musste und sich aufgrund des frühen Todes von Mozart nie mehr ein Zusammentreffen zwischen diesen beiden genialen Komponisten ergeben hatte.

Umso schöner, dass an diesem Abend nun die Aufführung von der achten Symphonie von Beethoven zusammen mit dem Erklingen der Ouvertüre von Mozarts „Le nozze di Figaro“ sowie der 39. Symphonie von Mozart auf dem Programm stand. Die Musikerinnen und Musiker des Concerto Köln schienen dabei von dem so besonderen Aufführungsort in Form des beeindruckenden Spiegelsaals genauso beflügelt zu sein wie auch von der virtuosen Dirigier- und Spielkunst des japanischen Stargeigers- Dirigenten und -Pädagogen Shunske Sato, dass sich ganz viele während des schwungvollen Spielens der einzelnen Sätze immer wieder gegenseitig beseelt anlächelten oder auch mit einem speziellen Blickkontakt mit dem Dirigenten, welcher gleichzeitig auch als Solist mitspielte, kommunizierten und auf diese Weise dem Konzert einen besonderen Esprit verliehen.

Witzigerweise trafen wir in dem Konzert auch eine sehr liebe Freundin von mir, welche ebenfalls die Konzertkarten von einer langjährigen anderen Freundin geschenkt bekommen hatte. In der Pause durften wir nicht nur durch das herrschaftliche Schlafzimmer, in dem König Ludwig II. leider keine einzige Nacht verbracht hatte, sowie durch viele weitere Schlossräumen schlendern, sondern gelangten über die prächtige Eingangstreppe in den so beeindruckend angelegten Garten, der gegen Ende der Pause von dem Spielen der vier Alphornbläserinnen und-bläser erfüllt wurde.

König Ludwig II, der auf der Reise zum Schloss Versailles seines großen Vorbildes in Form des Sonnenkönigs auf halbem Wege aufgrund des plötzlichen Todes seines Onkels Ottos zurückkehren musste, ist mit dem Bau des Schlosses Herrenchiemsee ein wahres Meisterwerk gelungen. Ich musste dabei sehr schmunzeln, als meine Mutter beim Blick auf das stolz aufgehängte Banner über dem Schlosseingang „Wir sind Welterbe.“ fast verwundert feststellte, dass dieses nur von einer Abbildung des Märchenkönigs, nicht aber gleichzeitig auch noch mit einem Konterfei unseres Ministerpräsidenten Söder geschmückt war…

Immer wieder beeindruckend sind die drei Brunnen vor dem Schloss. Während die beiden Fama- bzw. Fortunabrunnen eine Referenz zu spanischen Hofbrunnen darstellen, ist der Latonabrunnen eine direkte Abbildung des gleichnamigen Brunnens vor dem Schloss des von dem bayerischen König so verehrtem französischen Königs Louis XIV. Regelmäßige Wasserspiele erfreuen dabei das Besucherherz genauso wie das sich in das Gedächtnisrufen der wunderbaren Verse aus dem sechsten Buch der Metamorphosen von Ovid. (Ovid, Metamorphosen 6, 376).

Mit den beiden bekanntesten lateinischen Versen
„Quamvis sint sub aqua, sub aqua
maledicere temptant.“,
welche man im Deutschen folgendermaßen übersetzen kann: „Obwohl sie unter dem Wasser sind, versuchen sie doch weiter zu schmähen.“ wird allein schon herrlich lautmalerisch das Quaken der Frösche abgebildet. Die Erzählung besagt dabei, dass Latona, die Mutter der Zwillinge Apollo und Diana, nach Lykien fliehen musste und dort völlig erschöpft die lykischen Bauern um Wasser aus einem nahegelegenen See gebeten hat. Dies verweigerten die Bauern doch und machten das Wasser sogar gänzlich untrinkbar, indem sie den Schlamm vom Seeboden aufwirbelten. Und sie hatten sogar die Chuzpe, sich über die Göttin lustig zu machen und verdienten aufgrund ihrer absoluten Unmenschlichkeit in Form des völligen Fehlens jeglichen Mitgefühls nichts anderes als die dauerhafte Verwandlung in quakende Frösche.

So wurden sie von der Göttin verflucht und mussten auf ewig als Frösche verwandelt in dem See bleiben. Ovids Metamorphose ist ausgesprochen eindrücklich durch den Latonabrunnen in all ihren Facetten dargestellt und fasziniert zudem noch durch die regelmäßig einsetzenden Wasserspiele. Mythologisch, bzw. archäologisch waren wir übrigens bereits vor den abendlichen Festspielen in Seebruck unterwegs, das man zu Recht als Zentrum der römischen Macht im Chiemgau vor 2000 Jahren bezeichnen kann.

Sein Name „Bedaium“ geht auf die keltische Gottheit Bedaius zurück und was der heutigen Schickeria der Tegernsee ist, war den Römern aus Iuvavum, dem heutigen Salzburg, der Chiemsee für ihre prächtigen villae rusticae als Zweitwohnsitz mit dem heutigen Seebruck als Zentrum. Quasi als Reminiszenz finden sich alle dortigen Hinweisschilder stets in zwei Sprachen, und zwar auf Deutsch und auf Latein. Und so erfuhren wir dank der akkuraten Beschilderung sofort, wie man zum portus navigandi, dem Yachthafen, der Bank (argentaria) oder auch dem Fahrradladen (taberna bicyclorum) gelangt.

Dieses Verkehrsmittel spielt aufgrund meiner chronischen Dauerfußschmerzen aufgrund meines ausgekugeltem Sprunggelenk und Co. stets eine große Rolle und ich hatte es auch an diesem Tag mit einigem Aufwand in unseren VW-Bus manövriert. Dabei hätte ich nie gedacht, dass es meiner Mutter und mir auf diese Weise sogar gemeinsam gelingen würde, einen Teil des pädagogisch höchst hochwertig angelegten archäologischen Rundweges, welcher sowohl viele römische Ausgrabungen in Gestalt einer original römischen Fußbodenheizung, eines Römermuseums als aber auch einem keltischen Gehöft in Stöffling und vielem mehr bietet, zu beradeln bzw. zu begehen.

Ich kenne keine/n in dem Alter meiner Mutter, die/der auch nur annähernd in solch einem rasanten Tempo – und das auch noch in größter Hitze – scheinbar spielend leicht die acht Kilometer von Seebruck aus nach Truchtlaching und wieder zurück stramm gehend neben mir als Fahrradfahrerin bewältigen würde. Dass nicht nur wir von so viel römischer Präsenz begeistert sind, sondern auch viele andere Einheimische und Urlauber, welche einen oder mehrere Tage in Seebruck verbringen, erfuhren wir just dort, als wir vor der Büste des Kaisers Claudius standen, neben der sich das liebevoll eingerichtete Römermuseum befindet und der im ersten Jahrhundert nach Christus das heutige Seebruck gegründet hatte.

So kamen wir gleich mit einer sehr sympathischen Frau ins Gespräch, welche sich rasch auch als Lateinlehrerin vorstellte, aus Bielefeld kam und mit ihrem Mann auf der Durchreise nach Österreich war und bei ihrem kurzen Zwischenstopp in Seebruck nie damit gerechnet hätte, auf so viel Römisches zu stoßen.

Während unseres gemeinsamen Absolvierens eines Teils des archäologischen Rundweges befürchtete ich immer, dass es meiner armen Mutter zu viel werden könnte, zumal die Sonne auf einem Großteil des Weges wahrlich herunterbrannte, aber meine Mutter bewältigte mühelos federnden Schrittes die gesamte Wegstrecke in einem deutlich schnelleren Tempo als wie es manch 30-jähriger Fußgesunde an den Tag legt.

Liebe Mama, auch auf diesem Wege sei dir dafür noch einmal meine höchste Bewunderung ausgedrückt verbunden mit einem großen Dank für dieses herrliche Geburtstagsgeschenk, dem Besuch des Konzerts in einzigartiger Kulisse, bei dem allein schon die Anfahrt per Schiff und Pferdekutsche ein singuläres Spektakel darstellte sowie die absolut geniale Ortskenntnis, dank der wir ohne irgendeinen Fußweg sogar auch noch sofort zu einem traumhaften Moorsee, dem Pelhamer See, gelangten! Unglaublich, wie viele kulturelle und Freizeitaktivitäten betreffende Unternehmungen in näheren und weiteren Gegenden du stets parat hast! Auf viele weitere Unternehmungen musikalischer, historischer oder auch sportlicher Art. Ganz herzlichen Dank für alles, auch für deine stets bereichernden, inspirierenden und lehrreichen Gespräche mit dir!

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