
Unsere Fahrt zu dem Parc de la Villette, wo am frühen Nachmittag die außergewöhnliche und sehr beeindruckende 2,5-stündige Bootsfahrt auf dem Canal St. Martin stattfinden sollte, gestaltete sich als ziemlich strapaziös. Hatten wir nicht nur eine Route gewählt, welche uns viel zu oft relativ große Steigungen und anschließende Talfahrten bewältigen ließ, sondern wurde unsere Radfahrt auch durch ständige erzwungene Unterzuckerstops, dem bangen Bemerken einer nicht mehr funktionierenden Radbremse beim Jüngsten sowie ständigem Klagen des Älteren: „Mama, das ist sooo anstrengend.“, so oft unterbrochen, dass ich bereits Sorge hatte, zu spät zu der Ablegestelle unseres Bootes am Canal St. Martin zu kommen.

Unter beträchtlicher Anstrengung und kleineren Regengüssen schafften wir es schließlich sogar noch vor der beeindruckenden Kulisse der Pariser Philharmonie, die von dem Stararchitekten Jean Nouvel errichtet worden ist, eine Brotzeitpause einzulegen, welche für diesen Rahmen äußerst stilgerecht von Musik verschiedenster Arten begleitet wurde.

So bot eine afrikanische Trommelgruppe gegenüber unserem Platz nicht nur einen rhythmischen Hörgenuss, sondern zudem ebenso eine wahre Augenweide in Form einer richtigen choreographischen Darbietung. Und anders als zu erwarten gewesen wäre, fügte sich das Spiel des einsam musizierenden Saxophonspielers in keiner Weise als Kakophonie, sondern harmonisch zu dem Trommelschauspiel zu einem Großen zusammen, das des Ambientes der Cité de la Musique sehr würdig war.

Merkwürdigerweise waren übrigens just die Kräfte des Älteren, welcher beinahe während der gesamten fast zweistündigen Tour über die sportliche Anstrengung geklagt hatte, wieder während der Brotzeitpause erweckt, fuhr er doch immer wieder mit seinem Rad die Rampe vor der Philharmonie hoch und mit einem Affenzahntempo wieder herunter, für mich alles andere als entspannend…Dies kommentierte unser Jüngerer sehr treffend: „Der fährt aber echt einen heißen Reifen!“ Und zu meinem großen Schrecken fuhr ich plötzlich zusammen, als er um ein Haar den ausdauernden Saxophonspieler umgefahren hätte…

Abgehetzt, aber pünktlich bestiegen wir schließlich unser Boot in großer Vorfreude auf die nächsten 2,5 Stunden. Pariscanal bietet als einziges Unternehmen Fahrten an, welche über den immer populäreren Kanal St. Martin führen und an der Seine enden. Nicht nur die Strecke ist ausgesprochen lohnenswert, sondern auch die Stimmung auf dem Schiff ist sehr sympathisch dank der großen Freundlichkeit aller Besatzungsmitglieder. Hervorgestochen ist zudem auch sofort, dass anders als auf den meisten anderen Ausflugsschiffen keine unpersönlichen Erklärungen vom Band kamen, sondern ein überaus sympathischer und charmanter junger Mann, der sich als Carl vorstellte, uns die gesamte Zeit mit überaus wertvollen Informationen zur französischen Geschichte und natürlich ebenso zu allen Bauwerken, an denen wir vorbeifuhren, versorgte.

Und all dies erfolgte stets zuerst in Französisch, dann in Englisch. Auch all seine Scherze durften wir auf diese Weise gleich in zwei Sprachen erleben. So gab er gleich zu Beginn unserer Kanalfahrt, als wir in das Bassin de la Villette fuhren, wertvolle Ratschläge für alle, welche im Sommer dort baden wollen. Zum ersten solle man sich danach gut abduschen. Zum zweiten nur in dem eingegrenzten Schwimmbereich bleiben und zum dritten sich vor allen Haiattacken hüten…

Das gesamte Villetteviertel wird von Jahr zu Jahr angesagter und bietet bereits jetzt zahlreiche Streetartwerke bekannter Künstler auf den Hausfassaden. Wann immer zusätzliche Fragen bei den Passagieren aufkamen, beantwortete diese Carl ausgesprochen geduldig, während uns der Kapitän John zuverlässig über den Kanal fuhr. Insgesamt passiert man bei dieser Bootstour, welche auch viele Einheimische als Ausflugsziel nutzen, neun Schleusen sowie zwei Drehbrücken und eine Zugbrücke. Außerdem wurde die Fahrt passend zum Ostermontag noch für alle Kinder mit (glutenfreien) Schokoladenostereiern versüßt.

Da das Wetter leider dem Klischee des wechselhaften Aprils entsprach und es relativ kühl und windig war, waren wir sehr dankbar, dass man sich sowohl oben draußen, als auch unten im Inneren aufhalten konnte. Carl erklärte uns hervorragend, wie die einzelnen Schleusen funktionieren und wies uns ebenfalls darauf hin, wieviel Müll wöchentlich aus dem Kanal gezogen wird. Napoleon ließ diesem Kanal erreichten. Allerdings nicht mit dem Hauptziel, die Versorgung aller Pariser mit genügend Trinkwasser sicherzustellen, sondern vielmehr dadurch die Speisung aller Brunnen in Paris zu gewährleisten.

Auf dieser überaus interessanten Fahrt passierten wir insgesamt neun Schleusen mit einer Höhe von etwa 3 Metern, so dass man eindrucksvoll sehen konnte, warum Napoleon zur Überbrückung dieses Höhenunterschieds von 27 Metern den Canal St. Martin errichten hat lassen. Wann immer unser charmanter Carl keine zusätzlichen Informationen zu überbringen hatte, wurde das französische Leichtigkeitsgefühl dank des Einspielens sehr eingängiger französischer Chansons, wie man sie typischerweise mit Frankreich verbindet, intensiviert. Interessant fand ich, dass wir auch bei dem Quai de Valmy an einem Teil einer sehr berühmten europäischen Fernradstraße vorbeifuhren, welche gen Norden bis nach Trondheim, gen Süden bis nach Sant Yago de Compostela führt. Wann immer wir vor den Schleusen ein wenig warten mussten, wurde diese Zeit durch Carls Erklärungen sehr kurzweilig überbrückt. So erfuhren wir, welcher berühmte Film am Hôtel du Nord gedreht worden ist und dass nicht beide Drehbrücken, welche wir durchfahren haben, gleichzeitig geöffnet werden dürfen, da stets ein direkter Zufahrtsweg zu der in der Nähe gelegenen Hautklinik gewährleistet werden muss.

Bei allen Schleusen und Drehbrücken wurde unsere Fahrt durch zahlreiche Schaulustige begleitet, welche ebenfalls sehr von den Schleusenmanövern begeistert waren. Gerade das Warten vor und in der Schleuse trägt zwangsläufig zu einer Entschleunigung bei. An der achten Schleuse wurde passend die Musik des „Amelie“-films eingespielt, wurde doch just dort auch eine der Filmszenen gedreht. Ein ganz besonderes Highlight stellte die anschließende Fahrt durch den knapp zwei Kilometer langen Tunnel dar, der nicht nur faszinierenderweise durch das Tageslicht beleuchtet wird, sondern sogar mitten unter der place de la Bastille hindurchführt.

In diesem Tunnel wurden auch einige Szenen meiner geschätzten Serie mit Lupin gedreht. Kaum hat man den beeindruckenden Tunnel verlassen, erblickt man bereits die colonne de juillet, welche an die zweite französische Revolution, welche nur drei Tage im Juli im Jahr 1830 gedauert hat, bevor man durch die Pariser Marina fährt. Wir erfuhren, dass die ungefähr 200 Hausbootliegeplätze für Pariser Verhältnisse mit ab 1000 Euro jährlich absolut erschwinglich sind, aber man eine große, mehrjährige Geduld aufweisen muss angesichts der exorbitant langen Wartelisten.

Vor zwei Jahren hatte ich mit den Zwillingen bereits dieselbe Kanaltor unternommen und unser Jüngster schwärmte kurz vor der letzten Schleuse versonnen: „Herrlich, diese Atmosphäre.“ Leider hatte, als wir gerade auf die Seine kamen, ein heftiger Regen eingesetzt. Dennoch bot sich uns unter anderem ein imposanter Anblick auf die wiedereröffnete Kirche Notre Dame sowie das musée d’Orsay oder aber auch auf die île Saint-Louis.

Der einzige Nachteil für uns Radfahrer war, dass wir als Endpunkt am musée d’Orsay ankamen, von dem wir zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln beträchtlich lange brauchten. Die Stimmung kippte leider gerade bei unserem Jüngsten ziemlich abrupt und ich hatte Mühe, alle wohlbehalten in strömendem Regen zu unseren im Parc de la Villette geparkten Rädern zu bringen. Auf unserem relativ langen Nachhauseweg – rückblickend fand es unsere liebe Tochter immerhin sehr amüsant, dass man sich mit der Mama leider täglich stets zuverlässig mehrmals ziemlich heftig verfährt… – passierten wir radelnd noch ein in keiner Weise glitzerndes Paris, das wie alle anderen Metropolen auch ebenso viele Obdachlose oder auch erschreckend viele Damen des horizontalen Gewerbes beherbergt.

Insgesamt können wir diese ganz besondere Kanalfahrt allen Parisbesuchern voll und ganz empfehlen. Und diese Bootstour kann man zudem immer wieder machen und dabei stets Neues entdecken. Je vous remercie beaucoup de la collaboration et la communication si gentille, chère Marilyne, on va reviendra bientôt!

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