
„Die Fahrräder sind ja Gold wert.“, stellte unser Jüngerer gleich nach dem Frühstück fest. „Aber mir tut jetzt schon der Po weh“, fügten Bruder und Schwester hinzu. Tatsächlich sind die Sattel der Leihfahrräder bei weitem nicht so bequem wie die heimischen und ich habe jeden Tag mehr Angst, dass die Söhne gar nicht mehr bremsen können, da immer öfters eine nicht mehr funktionierende (Hand)bremse zu beklagen ist.

Auf der anderen Seite erschließt sich einem auf dem Fahrrad jede fremde Stadt noch einmal aus ganz anderen Perspektiven. Auch wenn ich mittlerweile in Paris bereits einige Male war, war mir z.B. in keiner Weise bewusst, dass sich die so berühmte Coulée Verte nur wenige Minuten von unserem Hotel Meininger befindet. Da traf es sich hervorragend, dass die Tochter sich wünschte, zu einem offensichtlichen Instagramhotspot, der rue Crémieux, zu fahren. So war unser Weg quasi das Ziel und wir radelten einer ehemaligen Eisenbahnlinie entlang, von der einen immer wieder reizvolle Ausblicke erwarten, an der Gare de Lyon vorbei zu der besagten Straße mit den bunten Häusern.

Auch wenn mich das Radeln mit unseren Söhnen jeden Tag unendlich viele Nerven kostet, scheinen sie es sich doch fast zum Sport zu machen, bei Grün völlig unerwartet stehen zu bleiben, so dass ich bereits mehrfach beinahe Auffahrunfälle verursacht hätte, während sie das Rot trotz seiner Signalfarbe nur allzu oft ignorieren und selbstbewusst schnurstracks rasant ihren Weg fortsetzen, bietet diese Art der Fortbewegung doch eine Menge an Vorteilen.

Über die Coulée verte und einem Bummel in der rue crémieux gelangten wir schließlich zu unserem Hauptziel des Tages, dem Schokoladenmuseum im 10. Arrondissement. Selbst viele Einheimische kennen das Chocostory Museum nicht, obwohl dieses zugleich sehr lehrreich und nahrhaft ist. Und eine Stärkung konnten gerade unsere Söhne mehr als gut gebrauchen, klagte doch unser Älterer, der ein sehr zuverlässiger Uhrzeitesser ist, bereits eine halbe Stunde vor Erreichen des Zieles über einen schier unstillbaren Mittagessenshunger, während sein Bruder völlig entkräftet im Minutentakt fragte: „Wann sind wir endlich da? Mir tun die Füße so weh.“ „Wie können einem die Füße schmerzen, wenn man bis jetzt nur geradelt ist und anders als die Mutter nicht unter völlig kaputten Füßen leidet?“ schoss es mir durch den Kopf.

Ich vermied es mit den beiden zu diskutieren und gab ihnen lieber die von mir liebevoll und in beachtlicher Anzahl zubereiteten belegten Brote, bevor wir bereits beim Eingang des Schokoladenmuseums nicht nur mit Audioguides, welche es in zahlreichen verschiedenen Sprachen gibt, sondern auch mit köstlichen Pralinen sowie einem Quizheft für Kinder und einem Extraosterrätsel beglückt wurden. Für mich bedeuten die Reisen mit Kindern ja stets, dass ich so gut wie überhaupt keine Verschnaufpause habe. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie die Schokoladen bereits im Mund der Kinder gelandet waren. Zeitgleich kam glücklicherweise die positive Antwort auf meine bang gestellte Frage, ob die Schokoladen glutenfrei seien.

Zum großen Glück für unseren Zölisohn sind sowohl die Schokoplättchen in Vollmilch und Zartbitter als auch die weiße Variante glutenfrei. Auf drei Ebenen erfährt man in diesem heimeligen Museum alles rund um die Schokolade und kann dabei stets sein theoretisches Wissen durch ganz praktische Degustationen vertiefen, da nach Belieben an den Schokospendern gedreht werden und exzellent schmeckende Schokodragees entnommen werden können. Im ersten Stock wurde zudem ein Film gezeigt, in dem man allerhand Wissenswertes von der Kakaobaumplantage über die Verschiffung der Kakaobohnen von Afrika nach Europa bis zur Schokoladenherstellung sehen konnte.

Hierbei war es etwas schade, dass zwar viele aussagekräftige Filmsequenzen zu allen Schritten der Schokoladenherstellung zu sehen waren, diese jedoch nicht – in welcher Sprache auch immer – kommentiert wurden. Im Untergeschoss konnte man neben imposanten Skulpturen des Eiffelturms, von Notre Dame, dem Arc de Triomphe oder auch Napoléon, die allesamt ausschließlich aus Schokolade gefertigt sind, auch einen kleinen Film, dieses Mal vertont, sehen, in dem drei Chocolatiers in Wort und Bild ausführlich erklären, wie Schokoladenpralinen hergestellt werden.

Unser Jüngster beurteilte diesen Film sogleich fachmännisch als „sehr interessant“. Je nach Interesse, Geduld und Schokoladensucht wird man in dem Chocostorymuseum optimalerweise eine bis zwei Stunden, ober aber natürlich auch noch länger, verbringen. Nach unserer relativ anstrengenden Radtour quer durch Paris, an der Gare de Lyon, am Hôtel de Ville und Notre Dame vorbei, konnten alle Energiespeicher durch den großen Schokoladengenuss wieder mehr als aufgefüllt werden.

Stand doch, obwohl gerade die Söhne endlich mal früher schlafen hätten sollen, noch ein nächtlicher Besuch des Eiffelturms auf dem gewünschten Programm der Kinder. Für alle Schokoladenmuseumsbesucher sind die Audioguides, welche interessante Informationen zu jedem einzelnen Exponat liefern, ein empfehlenswerter Zusatz. Gerade unser Jüngster rief tatsächlich so gut wie alle auf dem Audioguide verfügbaren Nummern ab. An den Ostertagen gab es zudem zusätzlich zu dem regulären sehr abwechslungsreichen Rätseln noch ein besonders Osterrätsel, bei dessen erfolgreichem Lösen die Kinder zusätzlich mit tollen Osterhasen gefüllt mit leckerer Schokolade belohnt wurden.

Wusstet ihr übrigens, dass in Frankreich nicht der Osterhase, sondern die Glocken aus Rom die Schokoladenköstlichkeiten bringen? Von den sehr freundlichen Damen am Empfang bekamen wir zusätzlich zu den Quizbooklets jeweils zwei exzellent schmeckende Pralinen zum Probieren. Im anschließendem Schokoshop hatte man die Qual der Wahl zwischen sehr hochwertigen Trinkschokoladenwürfeln, den köstlichen Schokoladeplättchen in den drei Geschmacksrichtungen, vielen dekorativen Schokoladentafeln und saisonbedingt auch noch Osterhasen und -hennen. Hier sieht man interessanterweise auch sofort, dass sich die französischen von den deutschen Osterhasen ein wenig unterscheiden.

Mit großem Fleiß und nur durch regelmäßige, kleine Abstecher zu den Schokoladenautomaten unterbrochen, bearbeiteten die Kinder sämtliche Fragen in den Quizheftchen. So erfährt man z.B. im Schokoladenmuseum, dass die Elfenbeinküste das größte kakaoproduzierende Land ist, ordnet die die verschiedenen Schritte von der Ernte der Kakaofrüchte bis zur Röstung in der richtigen Reihenfolge an, kreuzt an, dass es bereits bei den Azteken Schokolade gab – allerdings als bitteres Getränk ohne jeglichen Zuckerzusatz -und lernt, dass die Heirat von der Prinzessin Anna aus Österreich mit Louis XIII im Jahr 1615 dafür verantwortlich war, dass die Schokolade nach Frankreich gekommen ist.

Und davon, welche der drei angebotenen Schokoladensorten die allersüßeste ist, konnten wir uns nach Herzenslust immer wieder aufs Neue überzeugen. Wenig überraschend war, dass alle drei Kinder die Vollmilchvariante der Zartbitterversion vorzogen. Dagegen hat mich der exakt selbe hohe Zuckergehalt bei der weißen wie bei der Vollmilchschokolade frappiert. Insgesamt fühlten wir uns wie im Schlaraffenland, wurden doch alle Schokoladenautomaten ständig wieder bis oben hin aufgefüllt, so dass wir uns dem süßen braunen Gold bedingungslos hingeben konnten.

Trotz der Unmengen von verzehrter Schokolade blieben übrigens die Blutzuckerverläufe beider Söhne dank einer exakten Berechnung und selbstverständlich der vielen Bewegung durch das lange Radfahren stets ausgesprochen stabil. Die langen Radfahrten scheinen auch an allen anderen Tagen für überraschend gute und stabile Blutzuckerkurven geführt zu haben.

Nur das österliche Wetter hätte es deutlich besser mit uns meinen können. Während wir bei strahlendem Sonnenschein aufpassen mussten, dass uns die Schokolade in unseren Händen durch die hereinstrahlende Sonne in den Räumen des Museums nicht zu schnell zerschmilzt, goss es wie aus Kübeln, als wir gerade unsere Fahrräder aufgesperrt hatten. Leider hatten wir noch eine beträchtliche Strecke mit dem Rad zurückzulegen und benötigten zudem erfahrungsgemäß immer doppelt so lange wie es Google Maps als benötigte Fahrtdauer angab.

Müssen wir doch nur allzu oft – oft an den allerungeeignetesten Stellen – Pausen einlegen, sei es zur Unterzuckerbehebung, sei es, um auf der Fahrradkarte den richtigen Weg zu suchen (nachdem ich mal wieder fluchend feststellen musste, dass wir uns ein weiteres Mal verfahren hatten), sei es, um den Zwillingen die Grundzüge der Straßenverkehrsordnung näherzubringen oder vieles mehr. Aufgrund der vielen Schokolade im Blut war die Energie der Söhne kaum zu bändigen, welche sie allerdings nicht auf ein zügiges Radfahren verwendeten, sondern wesentlich mehr auf unzählige „Schmarrnaktionen“ wie dem Drehen von Filmchen beim freihändigen Radfahren oder auch dem schnellen, endlosen sich um die eigene Achsedrehen, obwohl die Jungs dabei stets drohten, durch die Glasvitrine zu stürzen, verschwendeten.

Wann immer ich gerade endlich mal im Radlfluss war, wurde ich zuverlässig aus diesem wieder herausgerissen, sei es durch einen wiederholten aufdringlichen Unterzuckeralarm von einer der beiden Insulinpumpen bei den Zwillingen, sei es, dass einer der beiden Söhne unvermittelt mitten auf dem Radlweg stehen blieb. „Mama, schau mal, da gibt es mein Lieblingseis.“ schrie mir unser Älterer wild gestikulierend entgegen, als ich gerade einen der wenigen Gänge, welche bei meinem Fahrrad störungsfrei funktionieren, um bergauf zu fahren, betätigt hatte.

Auch wenn sich Paris tatsächlich in den letzten 10 Jahren zu einer ausgesprochen radfreundlichen Stadt dank der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo gewandelt hat, welche immer mehr Straßen im Zentrum von Paris autofrei hat werden lassen oder zumindest breite Radwege veranlasst hat, hat das Radfahren in Frankreichs Metropole nichts Meditatives an sich.

Desensibilisiert von dem ständigen Dauergeklingel der Jungs, reagierte ich auf das Klingeln hinter mir nicht mit einem unverzüglichen auf die Seitefahren, da ich zuerst dachte, dass dies wieder einer unserer Jungs war, bis meine kleine Unachtsamkeit mit einem so dichten Vorbeirauschen eines Parisers mit einem E-bike, der mich um ein Haar vom Rad gerissen hätte, bestraft wurde. Und auch sonst muss man auf die Verkehrsregeln in Frankreich, so wie natürlich auch in Deutschland minutiös achten. Geschafft von den ständigen Ermahnungen an die Söhne à la „Fahr ganz rechts. Pass auf, da möchte einer überholen. Auf was wartest du denn? Grüner wird’s nicht.“ oder auch: „Jetzt bist du schon wieder bei stangerlrot gefahren.“ war ich bereits am frühen Nachmittag so geschafft, dass ich kurzzeitig nicht realisierte, dass unsere Jungs auf dem Bürgersteig fuhren.

Als unsere Tochter alsbald von einem Polizisten angesprochen wurde, dachte sie erst, dass dieser sie nur freundlich grüßen würde und erwiderte höflich sein „Bonjour“, bis er fortfuhr: „Parlez-vous français?“ und uns im Anschluss geduldig erklärte -dabei kam ich mir wie ein absoluter Vollidiot vor: „C’est très simple, le trottoir est seulement pour les piétons, la rue pour les cyclistes….“. Ja, selbstverständlich weiß ich das, aber völlig chronisch übermüdet und in Daueranspannung, ob einer der eigenen Söhne mich von rechts überholt oder einer der Roller- oder E-bikefahrer mich mit enormer Geschwindigkeit verängstigt, geraten solche elementaren Unterscheidungen wie die von Bürgersteig, Radweg und Straße schon einmal in den Hintergrund…

Und auch am späten Abend ließ unser Älterer meinen Pulsschlag leider nicht sinken, als die Jungs wie so oft schon mal in freudiger Erwartung des illuminierten Eiffelturms vorradelten und ich nur noch in allerletzter Sekunde mit einem riesengroßen Schrecken sah, wie unser Älterer haarscharf vor einem um die Ecke biegenden Pärchen auf dem Moped zum Stehen kam. Er hatte eindeutig rot, während das junge Pärchen grün hatte. Dieses ließ sich jedoch gar nicht aus der Fassung bringen, lächelte nachsichtig und winkte unseren Älteren freundlich über die Straße, während ich gebetsmühlenartig und äußerst eindringlich zum x-ten Mal widerholte, dass man – selbstverständlich – bei Rot stehen bleiben muss, was unsere Tochter zu dem berechtigten Kommentar veranlasste: „Ich weiß gar nicht, wie die Jungs ihre Fahrradprüfung – ganz frisch erst vor zwei Wochen – geschafft haben.“ Malheureusement, moi non plus…

Übrigens scheinen die Sonntage der Osterferien ganz im Sinne der für mich nicht recht erfreulichen Tierbegegnungen zu stehen. Stand ich genau vor einer Woche Aug in Aug einem Fuchs gegenüber, war das nun erblickte Tier zwar wesentlich kleiner, dafür umso ekliger. Als die Jungs endlich gegen 23.00 Uhr in die Betten fielen, eilte ich noch in die Lobby des Meiningerhotels, um endlich ein wenig arbeiten zu können. Als ich gerade an einem Tisch meinen Laptop aufschlagen wollte, traute ich meinen Augen nicht, als eine Maus zu meinem großen Entsetzen munter durch die gesamte Lobby lief.

Ich war mehr als angewidert und will mir gar nicht allzu genau vorstellen, dass die Maus mit Sicherheit mit ihrer gesamten weiteren Familie auch in allen weiteren Räumen des Hotels, einschließlich der Küche, ihr Unwesen treiben wird. Aber der Mangel an Alternativen und eine große Verdrängungsfähigkeit werden uns wohl auch die nächsten Tage trotz dieser unerfreulichen tierischen Begegnung noch beherzt in zahlreiche Croissants, Pains au chocolat sowie glutenfreie Madelaines beißen lassen. Und das Allerbeste ist, dass wir noch kiloweise von der im Schokoladenmuseumsshop erworbenen Schokoplättchen haben, welche garantiert nicht von irgendwelche Mäusen befallen worden sind…
Chère Alice Sagot, je te remercie beaucoup de la collaboration et la communication si gentille!

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