Einer der magischsten Momente des gesamten Tages ist für mich stets – auch wenn ich leider wegen diabetesbedingt sowie aufgrund anderer unvorhergesehener Ereignissen extrem kurzen Nächten am Morgen kaum die Augen öffnen kann – , den Vorhang zurückzuziehen (ohne diesen wäre es übrigens aufgrund des Phänomens der weißen Nächte die gesamte Nacht taghell), unseren Älteren neben mir stehen zu haben und gemeinsam fasziniert die neue Anlegestelle zu bewundern.
Am Nachmittag oder Abend von einem Hafen abzufahren, spätnachts, sobald die Blutzuckerwerte im grünen Bereich sind und ich noch einige der mitgenommenen Stegreifaufgaben korrigiert habe, auf offener See bzw. entlang der Fjorde zu fahren, seine Augen zu schließen und am nächsten Morgen ganz wo anders aufzuwachen mit der Sicht -zumindest hier in Norwegen – auf viele Wälder, dünn besiedelte Landstriche und natürlich dem jeweiligem Hafenleben wird für uns wahrscheinlich nie etwas von seinem Reiz einbüßen.
Das von mir mühsam zusammengestellte Besichtigungsprogramm wirkte dafür offenbar bereits am vierten Tag nicht sonderlich attraktiv, zumindest für unseren Jüngsten. Ich trieb diesen an dem Tag permanent an. Bereits beim Frühstück, als viele andere Passagiere eilig von Bord stürmten, um genügend Zeit zu haben, den Hausberg von Ǻndalsnes, den Nesaksla, zu besteigen, schien unser Zöli eine stundenlange Kaumeditation bei jedem einzelnen Bissen durchzuführen.
Während sein Bruder und ich uns in dieser Zeit durch die ganze Frühstückskarte mit Omelette, Lachs, Bratwürstchen, verschiedenen auf dem Schiff gebackenen Broten, diversen Aufstrichen, Kuchen und vielem mehr rauf und runter gegessen hatten, kaute unser Jüngster andächtig an einem winzigen Stück Wassermelone.
Genauso dröge verhielt er sich auf dem anschließenden Erkundungsgang durch das kleine Ǻndalsnes. Durch die kurze Liegezeit von vier Stunden war ich sowieso latent gestresst. Die Anspannung verstärkte sich noch, als es mir mal wieder nicht gelang, trotz Karte zu der ausgesuchten Kirche zu gelangen. Und als dann noch unser lieber Sohn stets kilometerweit hinter uns zurückblieb, war ich alles andere als entspannt.
Schließlich glückte es uns doch noch, allerdings nicht auf wunderschönen Naturwegen, sondern ausschließlich entlang der Hauptverkehrsstraße, welche an einem Industriezentrum und Tankstellen vorbeiführte, zu der anvisierten Grytten-Kirche zu gelangen.
Leider blieb uns die Besichtigung des Holzkruzifixs, das aus der Zeit der Stabkirchenepoche um 1200 stammte, verwehrt, war die Kirche doch zu meiner großen Enttäuschung geschlossen. Die Jungs vertrieben sich die Wartezeit mit dem intensiven Betrachten der umliegenden Gräber und stellten fest, dass auch das Durchschnittsalter der dort begrabenen Norweger der Statistik entspricht, welche angibt, dass unglaublicher Weise jeder Fünfte über 100 Jahre alt wird.
Mit schmerzenden Füßen meinerseits und vollkommen fehlender Motivation auf Seiten unseres Jüngsten, traten wir wieder den Rückweg. Immerhin gelang es mir, die Kindern noch zu einem hundert Meter höher gelegenen Aussichtspunkt, Nebba, zu schleppen und ihnen anschließend die wohl ungewöhnlichste Kirche des Landes, eine Eisenbahnkapelle in einem ausrangierten Waggon zu zeigen.
Hier war auch der Altar ein Highlight, welcher aus Eisenbahnschwellen gefertigt worden war. Auf diesem war ein Kreuz aus Eisenbahnschienen zu bewundern. So singulär dieser Ort war, so sehr überkam mich dabei auch die Trauer und der tiefe Schmerz, musste ich doch permanent an meinen verstorbenen Vater denken, welcher ein passionierter Eisenbahnfan war und den diese Kirche (auch wenn es eine landestypisch evangelische) war, mit Sicherheit auch begeistert hätte.
Während wir uns bereits mittags im „Weite Welt-Restaurant“ quer durch das Büffet futterten – unser Zöli liebt glücklicherweise Kartoffeln und Reis, welche es an Bord in vielen verschiedenen Formen und immer bestens als glutenfrei auch mit verschiedenen Soßen deklariert gibt -, vermeldete der Kapitän, dass sich das Ablegen um einige Minuten verzögern wird, da noch drei Passagiere von ihrem Ausflug zurückerwartet werden. Die hatten wohl keine solche Antreiberin wie ich eine sein musste, dabei…
Unglaublicherweise nutzten wir fast die gesamte Zeit, welche wir benötigten, um von Ǻndalsnes nach Molde zu gelangen, zum ausgiebigen Verzehr von salzigen und süßen Speisen. Die Disziplinlosigkeit gewann von Tag zu Tag mehr die Oberhand und immer wieder neuen Dessert- und Kuchenkreationen kann einfach nicht widerstanden werden. Dabei genossen wir so leckere Köstlichkeiten wie von „A“ mit Apfelkuchen über einen New York Cheesecake bis zu „Z“ mit Zimtschnecken.
Gegen 16.00 Uhr legten wir am zweiten Hafen des Tages, in Molde, an. Dieses Städtchen bietet einige interessante Gebäude und Sehenswürdigkeiten, wie z.B. in Hafennähe das Rica Seilet-Hotel, das an ein Segelboot erinnern soll, oder auch den Rathausplatz mit seiner berühmten Bronzeskulptur „Rosepiken“. Molde wird auch als Stadt der Blumen bezeichnet. Dank des milden Klimas gedeihen die Pflanzen dort offenbar wunderbar.
Auch zwei Kirchen haben wir besichtigt, deren signifikant unterschiedliche Größen sehr gut die Verteilung in der norwegischen Bevölkerung an katholischen und evangelischen widerspiegeln. Imposant wirkt die Domkirche mit ihrem 50 Meter hohen freistehendem Glockenturm.
Die Jungs schienen jedoch von all dem nicht sonderlich beeindruckt und drängten schon sehr bald zurück auf das Schiff. Ein ausgiebiger Spielplatzbesuch am Hafen war für alle ein annehmbarer Kompromiss. Ein großer Vorteil der Norwegenkreuzfahrten ist übrigens die Tatsache, dass sich anderes als bei der Mittelmeervariante aufgrund der doch recht kühlen abendlichen Temperaturen in Kombination mit einem leichteren oder auch stärkerem Wind, keine grölenden Passagiere am späten Abend/in der Nacht aufhalten.
So ist es zwar auch um Mitternacht nach Sonnenuntergang taghell, aber anderes als zu Tageszeiten angenehm ruhig auf allen Außenbereichen des Schiffs. Oder ein Großteil der Passagiere ist einfach nur genauso dröge wie es unser Jüngster an diesem Doppelhäfentag war…
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