Bergen, Bryggen, Bahnfahrt (auf den Fløyen), Bingo, Blǻmann, Brauhaus, Brand(gefahr)

„Das muss doch furchtbar langweilig sein, so ein reiner Seetag“, war eine meiner Befürchtungen vor unserer ersten Kreuzfahrt im vergangenen Jahr. Das Gegenteil ist der Fall, gerade für die Kinder wäre sogar die Idealvorstellung einer solchen Reise, dass sie doppelt so viele See- wie Landtage enthalten würde, was mir jetzt definitiv zu viel Schiff wäre.

Der erste Seetag von Hamburg nach Norwegen, während dessen wir immerhin knappe 1000 km innerhalb 38 Stunden zurücklegten, verging wie im Fluge oder – um im nautischen Bild zu bleiben – wie in einem RIB (das scheint ein neuester Trend zu sein, mit dem man in Norwegen z.B. mit über 50 km/h in einem Rumpfschlauchboot über die Fjorde brausen kann.)

Dabei kam ich noch nicht einmal so wirklich zum Entspannen oder zu einer genussvollen Lektüre, dafür verleibten wir uns bereits den Kalorienbedarf der gesamten Reise in Form von A wie Unmengen Ananas oder viel weiteres Obst über Unmengen von Kuchen, Schokolade und Eis bis hin zu Z wie Zanderfilets an einem einzigen Tag ein.

Zudem spielten wir auf Wunsch des Jüngeren abermals beim Bingo mit und waren so gut wie noch nie, es fehlte uns am Schluss in einem Kästchen nur noch eine einzige Zahl. Aber da hatte bereits jemand anderer laut „Bingo“ gerufen…

Dank der gewissenhaften Teilnahme am Allergikertreff konnte ich nun bei unserem „Privatkoch“ für unseren Zöli nach Herzenslust bestellen. So eine Erleichterung, dass ich mir einfach für ihn glutenfreie Pizza, Pasta oder auch Chicken Nuggets wünsche konnte, welche ich anschließend nur noch korrekt abwiegen und die richtige Insulinmenge berechnen musste.

Apropos Abwiegen: ich hoffe gerade bei jeder Mahlzeit auf ruhigen Wellengang, bin ich doch höchst unbegabt im Mengenschätzen und zeigt die Waage bei größeren Schiffsbewegungen oder auch während aller Zugfahrten nichts mehr an. Bis jetzt war das Glück diesbezüglich jedoch immer auf unserer Seite. Die gefühlte tägliche Einkilozunahme allerdings leider auch..

Und auch diese Nacht brachte leider kaum erholsamen Schlaf für mich. Als ich in den frühen Morgenstunden endlich in den Schlaf gefunden hatte (die Sonne geht zur Zeit in Norwegen bereits wieder gegen 4.15 Uhr auf), tönte plötzlich eine besorgniserregende Durchsage in Kombination mit schrillen Alarmtönen durch die Kabine. Kurze Zeit später berichtete der Kapitän von dem Grund dieser frühmorgendlichen Störung. Es hatte eine sehr starke Rauchentwicklung in der schiffseigenen Bäckerei gegeben, so dass man einen Brand befürchtet hatte. Die Brötchen seien jedoch schon in der Nacht gebacken worden und es wäre „alles unter Kontrolle“.

In der Nacht hatte ich ein minutiös ausgearbeitetes Besichtigungsprogramm für Bergen zusammengestellt, von dem sich allerdings herausstellen sollte, dass ich dieses krankheitsbedingt mehr für andere als für unsere kleine Reisetruppe ausgearbeitet hatte.

So war ich den ganzen Tag über absolut dauerangespannt, unserem Jüngsten ja nicht zu viel zuzumuten und kürzte das Programm drastisch ab. Statt der Wanderung auf den Fløyen (mit meinen dauerschmerzenden Füßen wäre dies wahrscheinlich sowieso keine gute Idee gewesen) nahmen wir die Standseilbahn, deren blaue und rote Wagen traditionellerweise die Namen „Blǻmann“ – Blauer Mann – und „Rødhett“ – Rotkäppchen tragen.

Und statt der geplanten großen Runde im Trollpark und auf dem Fløyenplateau begnügten wir uns mit einem Spaziergang zum -allen norwegischen Klischees entsprechend – idyllischem See, bevor wir uns auf die Suche nach den für Norwegen so typischen Ziegen machten.

Wir erfuhren, dass die Ziegen von Streicheleinheiten gar nicht genug bekommen können, dass sie es lieben, im Rampenlicht zu stehen und dass die Ziegenrasse vom Berg Fløyen zu den Tieren gehört, welche sogar als Unterwolle die exquisite Kaschmirwolle liefert.

Krankheitsbedingt machten wir immer ausgiebige Pausen und mein anschließendes Stadtbesichtigungsprogramm von Bergen dampfte ich auf ein Zehntel ein. So liefen wir leider weder zur Festung Bergenhus oder zum Rosenkrantzturm noch zur Marienkirche, sondern begnügten uns, Bryggen, das immerhin von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde, einen kurzen Besuch abzustatten ebenso wie dem berühmten Fischmarkt sowie der Domkirche Bergens, einer der ältesten Steinkirchen Norwegens aus dem Jahr 1150.

Bereits am frühen Morgen unseres ersten Tages auf norwegischem Boden vollbrachten wir die erste gute der täglichen Taten mit dem Abgeben unserer Sonnencrème an eine Familie. Dafür stellte ich fest, dass ich leider kein Ibuprofen mit nach Bergen genommen hatte, da der Jüngere auf meine besorgten Fragen nach seinem Wohlbefinden stets mit „relativ gut“ geantwortet hatte, um dann, nachdem wir das Schiff gerade fünf Minuten zuvor verlassen hatten, zu klagen: „Mein Kopf schmerzt immer so sehr. Und beim Bücken und Lossprinten ganz besonders.“

Meine Sorgen um ihn vergrößerten sich immer mehr, möchte ich doch auf gar keinen Fall irgendetwas der Gesundheit der Jungs Abträgliches machen. Andererseits bin auch ich zum allerersten Mal im Leben in Norwegen und uns blieben gerade Mal knappe sieben Stunden Zeit, um die zweitgrößte Stadt Norwegens, übrigens die Partnerstadt von Rostock, mit seinen knapp 300000 Einwohnern zu erkunden, so dass ein krankheitsbedingtes Verbleiben auf der Kabine gerade auch für den gesunden Bruder wirklich jammerschade gewesen wäre.

Witzigerweise war ich nicht die einzige Frau mit (fuß)kranken Männern im Schlepptau. So sprach mich plötzlich in einem Souvenirshop eine Frau an, welche verzweifelt eine bestimmte Einhornskulptur in Bergen suchte, deren kleiner und großer Mann sich jedoch partout keinen Schritt mehr weiter bewegen wollten. Auch wenn ich ihr den Weg zum Einhornhaus exakt beschrieb, seufzte sie und meinte, dass selbst die wenigen Hundertmeter ihren Männern zu weit seien.

Um so mehr war sie zu meiern Überraschung erfreut, als ich ihr meine wenige Minuten zuvor geschossenen Fotos in Bryggen zeigte, welche sie dann mit ihrem Handy begeistert abfotografiert hatte. Kaum hatten wir das Geschäft verlassen, wurden wir von einem älteren französischen Paar nach dem Weg zu der Fløyenbahn gefragt, den wir diesen detailliert beschreiben konnten.

Ich hätte sehr gerne meine Reiseleitungsqualitäten deutlich intensiviert, aber auch wenn wir noch zwei Stunden Besichtigungszeit gehabt hätten, bevor es wieder hieß „alle Mann an Bord“, ging es unserem Jüngsten immer schlechter. Zudem klagte er auch noch über tränende, schmerzende Augen.

Tatsächlich sind mir die Bilder von dem diesjährigen Epiphanietag in so lebhafter und furchterregender Intensität vor meinem geistigen Auge, als er aus bis jetzt nicht ganz geklärten Umständen dermaßen lang bewusstlos war, dass mich eine immer größere Angst, ja Panik überfiel. Was mache ich so ganz allein, mit dem Zwillingsbruder im Schlepptau, wenn es ihm in den nächsten Stunden immer noch schlechter gehen sollte?

So machten wir uns, auch wenn ich recht traurig war, nun relativ wenig gesehen zu haben, auf dem direkten Weg zum Schiff zurück. Nach der Gabe eines Fieber- und Schmerzsaftes, erzwungener kurzer Ruhe und gutem Zureden, fühlte er sich immerhin wieder hungrig.

Der kulinarische Kulturschock hätte allerdings kaum größer sein können. Gerade hatten wir noch auf dem weltweit berühmtem Fischmarkt Stockfisch, Lachs, Austern und viel anderes Meeresgetier bewundert, nun saßen wir in dem einzigen zur Nachmittagszeit geöffnetem Restaurant auf dem Schiff, das auch ein glutenfreies Gericht anbot und verzehrten im Brauhaus zur bayerischen Volksmusik Thüringer Rostbratwürste mit Kartoffelbrei und Sauerkraut…

Der Tag endete für mich genauso wie er begonnen hatte – mit einem Brand. Dieses Mal nicht in der Bäckerei. Mir ist das Kunststück gelungen, was wohl wenige Norwegenbesucher von sich behaupten können, in Europas regenreichster Stadt mit 250 Regentagen. Vor lauter Dauersorgen und Anspannung wegen unsers Jüngsten hatte ich das Eincremen meiner Haut komplett vergessen und auf diese Weise eine imposante Rötung am Dekolletee und den Armen  sowie im Gesicht davongetragen.

Als ich den Jungs endlich, endlich und wie immer viel später als vorhergesehen und trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit von 22.30 Uhr dank des Phänomens der sogenannten weißen Nächte bei Tageshelligkeit nach dem Katheterstechen für die Insulinpumpen, der notdürftigen Reparatur des zu meinem Schrecken plötzlich abgebrochenen Klappenverschlusses der Pumpe des Älteren und einer intensiven Körperreinigung, welche nach dem Ganzkörpereinsatz der Zwillinge beim Fußballspielen an Bord mehr als nötig geworden war, ein Gute-Nacht-Lied sang, ließ sich unser Älterer erschöpft in die Kissen sinken und seufzte. „ Ich bekomm gar nicht mehr die Augen auf, die fallen von ganz allein zu.“

Ja, mein lieber Sohn, wie kann ich dir dieses Gefühl nur all zu gut nachvollziehen. Ich bin auch völlig am Ende, nur leider hatte der sogenannte Muskelauffülleffekt, welcher viele Stunden nach größerer Bewegung einsetzen kann, auch in dieser Nacht kein Erbarmen und sorgte für viele Unterzuckeralarme ´, welche mich kontinuierlich aus dem Schlaf rissen. Aber das immerhin auf norwegischem Boden bzw. See…

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