Durch familiären großen Ärger bedingt trat ich die Anreise bereits mit heftigen Kopfschmerzen bei strömendem Regen an. Glücklicherweise bewahrheitete sich auf der Fahrt meine Sorge, dass sich die Kopfschmerzen zu so einer schlimmen Übelkeit steigern würden, wie dies einige Tage zuvor der Fall gewesen war, wo ich ab mittags mehr Zeit auf der Toilette als im Klassenzimmer verbracht hatte, nicht.
Dagegen pendelten sich die Schmerzen auf ein erträgliches Maß ein und auch der Regen pausierte immer wieder, so dass wir die beeindruckende Ravennaschlucht mit dem imposanten Ravenna-Viadukt genießen konnten. Wir gingen zum touristischen Hotspot Hofgut Sternen und bestaunten neben einer großen Kuckucksuhr auch das Haus, in dem Goethe bereits eine Nacht verbracht hatte.
Da ich seit der geplatzten Übernachtung im Wellnesshotel mit dir, lieber Ulla, als ich Depp den letzten Buchungsschritt nicht vollzogen hatte, stets fürchte, dass auf unseren Namen kein Hotelzimmer reserviert ist, schrieb ich extra noch am Vorabend das Hotel an und verband die Erinnerung an unsere Reservierung mit der Anfrage, wo wir bei unserer relativ späten Anreise den Schlüssel erhielten.
Als ich umgehend darauf eine Antwort erhalten hatte, stutzte ich kurz, als die Mail an mich mit meinem Mädchennamen adressiert war, die Verwunderung darüber hielt jedoch nicht lange an, bin ich doch diesem wunderschönen Namen auch nach meiner Heirat vor 20 Jahren immerhin noch in meiner E-mailadresse treu geblieben.
Als wir am Abend ankamen – unser Älterer hatte die ganze Zeit perfekte Blutzuckerwerte, während beim Jüngeren plötzlich kein Insulin mehr durch das Infusionsset gelangt war und er astronomisch hohe Blutzuckerwerte aufwies – erhielt meine Mutter sofort ihre Zimmerkarte, während die Rezeptionistin sowohl unter meinem Mädchen- als auch unter meinem jetzigen Familiennamen nicht fündig wurde.
Die Nervosität stieg, zumal ich dringend unserem Jüngeren ein neues Infusionsset für die Insulinpumpe stechen musste. Glücklicherweise hatte sich die Rezeptionistin bereits auf unsere Ankunft gefreut und tat alles Menschenmögliche, um uns auf die Schnelle noch ein Familienzimmer zu organisieren. Dass in diesem Zimmer ein extrem grauenhafter Deogeruch festhing, nahmen wir in unserer Erleichterung, überhaupt noch ein Zimmer ergattert zu haben, billigend hin.
„Wie ich es genieße, entspannt anzukommen“. seufzte unser Jüngerer einige Zeit später und ließ sich mit einer Tasse Roibuschtee in den Stuhl sinken. Immerhin, die Jungs waren relaxed, ich hatte – nachdem ich extra noch in der Nacht glutenfrei allerhand vorgekocht hatte – auch im Urlaub noch einiges an Abwasch zu erledigen, bevor ich mich an die Reiseplanungen des nächsten Tages machen konnte.
Sind wir nur eine halbe Stunde von Freiburg entfernt, wollten wir meiner Mutter gleich am nächsten Tag diese ausgesprochen reizvolle Stadt zeigen und zogen mit dem neu erschienenen Freiburgführer aus dem DuMont Direkt-verlag los.
Trotz immer wieder einsetzenden Regens absolvierten wir tatsächlich im Laufe des Tages sieben der in diesem Führer vorgeschlagenen Touren quer durch Freiburg. Dabei erkundeten wir die Gegend um den Rathausplatz genauso gründlich
wie den Campusplatz und lasen über die Universitätsbibliothek auf der Seite 37 folgendes: „Die futuristische Universitätsbibliothek inspirierte die Macher der Netflix-Serie Biohackers, in Freiburg zu drehen.“
Nach einer ausführlichen Besichtigung des Münsters mit seiner beeindruckenden Vorhalle und den Glasfenstern, welche einen wahren Bilderreigen abbilden und unter anderem die verschiedenen Handwerkszünfte als Stifter zeigen,
kamen die Zwillinge trotz eindringlicher Ermahnungen meinerseits an den berühmten Freiburger Bächle nicht trockenen Fußes vorbei, so dass sie unter meinem Gezeter einen kleinen „Reinfall“ erlebten und ihre Schuhe nicht nur vom Regenguss von oben nass geworden waren…
Dank der hervorragend pünktlich und im regelmäßigen Takt fahrenden Trambahnen gelangten wir zum sogenannten „Hohlbeinpferdle“, das die Freiburger je nach tagespolitischen Ereignisse oft des Nachts umdekorieren.
Als kleiner Reinfall entpuppte sich dagegen der als Modellstadt angepriesene Stadtteil Vauban, wo die Jungs – vollkommen zu Recht – den dortigen Spielplatz der Suche nach dem ersten Plusenergiehaus der Welt, dem sogenannten Heliotrop, das der Architekt Rolf Disch im Jahre 1994 realisiert hatte, vorzogen.
Als wir danach noch lasen, dass das dortige Café, das auch glutenfreie Kuchen anbietet, just am Sonntag geschlossen hat, konnte uns das „Sonnenschiff“, das erste Plusenergiegebäude für Büros und Praxen von ganz Europa auch nicht so recht begeistern und wir motivierten die Jungs zu weiteren Stadtbesichtigungstouren, indem wir ihnen ein Eis versprachen.
Die Temperaturen waren alles andere als einem Eishunger förderlich – meine arme Mutter hatte sich dagegen schon sehr auf einen Glühwein gefreut, der gestern weder in unserem Hotel angeboten wurde noch ihr in der heutigen Gelateria kredenzt werden konnte – aber die Zwillinge erfreuten sich umso mehr an einer großen Portion Eis.
Und so begaben wir uns tatsächlich noch zur fortgeschrittenen Stunde zur Schlossbergbahn, von deren Endpunkt aus die Jungs eine große Freude am Rumkraxeln hatten und in einem atemberaubenden Tempo – berggämsenschnell – zum Schlossbergturm hochkletterten, während es in meinem Kreuzbandrissknie ordentlich schmerzhafte Stiche gab.
Trotz vorhandener Höhenangst ließ es sich keine/r nehmen und wir bestiegen den Aussichtsturm, von dem man einen atemberaubenden 360 ° Grad Rundumblick hat und hinter dem Münster gleich den Kaiserstuhl sowie die Vogesen bestaunen kann.
Die Kombination von Platzregen und nicht mehr funktionierender Google Maps-Orientierung erschwerte uns die Heimfahrt. Schließlich erreichten wir zu später Stunde das Hotel und schöpften – in einer für mich wegen dauernder Insulinpumpenalarmen spät beginnenden Nacht – wieder neue Kraft für den kommenden Tag…
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