Paris, Porte de Vincennes, Powertreppensteigen

Ich habe den Stress des Umsteigens bei Zügen vollkommen unterschätzt, als ich bei der Zugbuchung nach Paris in Stuttgart eine Umstiegszeit von 9 Minuten als mehr als ausreichend empfand. Mein Herz begann allerdings dafür umso mehr eine Viertelstunde vor dem geplanten Umstieg zu rasen, als wir schon eine geraume Zeit benötigten, um überhaupt all unser Gepäck in Richtung Ausgang zu bewegen.

Gerade der große schwarze Koffer ist dermaßen schwer, dass selbst starke Männer beim Hochheben desselbigen gestöhnt haben. Unglücklicherweise befanden wir uns nicht nur im hintersten Wagen, sondern mussten zudem noch von Gleis 10 auf Gleis 7 wechseln. Zwischendurch gelangte ich schon zur Überzeugung, dass wir unseren Anschlusszug von Stuttgart nach Paris sicher nicht mehr erreichen werden, besonders in dem Augenblick, als ich mit meinem schweren Rucksack beladen nicht nur die beiden riesigen Koffer hinter mir herziehen bzw. vor mir rollen musste, – tatsächlich habe ich auf unserer Reise noch keine voluminöseren Gepäckstücke als die unsrigen entdeckt – sondern auch noch unsere sehr große Provianttüte irgendwie mitschleppen musste, die mir so zentnerschwer erschien, als wären Wackersteine geladen.

Diese hätten allerdings den Vorteil der Unzerbrechlichkeit gehabt, was bei unseren zahlreichen Glasbehältern leider nicht der Fall ist. Für die Umwelt sind all diese Boxen ideal, beim zügigen Umsteigen sind sie dagegen ausgesprochen hinderlich.

So verlor plötzlich meine ausgeklügelte Balancierkunst aller Gepäckstücke ihr Gleichgewicht und die runde Glasschale fiel auf den Boden. Ich stieß einen spitzen Schrei aus – in Erinnerung an die zerbrochene Glasschale in Budapest, in der ich extra mein als Mittagessen gedachtes frisch gekochtes Ratatouille transportiert hatte – aber wundersamerweise war sie trotz des Falls heil geblieben.

Wir mobilisierten all unsere Kräfte und rasten zu dem Anschluss-ICE, den wir schließlich eine Minute vor der anvisierten Abfahrt erreichten. Wir hatten gerade unser gesamtes Gepäck reingewuchtet, als sich der Zug bereits in Bewegung setzte. Ich war völlig außer Atem, aber selbstverständlich sehr erleichtert, dass wir im Zug waren. Um allerdings unsere reservierten Plätze in dem sehr ausgelasteten Zug zu erreichen, mussten wir uns von dem vordersten Wagen 29 zum vorletzten Wagen 22 durch den vollbesetzten Zug quälen, wobei mein schwarzer Koffer fast breiter als der Mittelgang des jeweiligen Zugwaggons war und ich bei jedem zweiten Sitz mit dem Koffer oder auch mit meinem Kleid hängen blieb.

Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als den rosafarbenen Koffer und die schwere Provianttüte zunächst im vorderen Wagen zu lassen, um den gesamten Weg im engen Zug doppelt zurückzulegen, bis wir alle Gepäckstücke wieder vereint hatten. Auf der anschließenden Fahrt galt es die Jungs, die sich ohne ständiges Beschäftigungsprogramm meinerseits ständig kappelten oder viel zu laut waren, zu bespaßen und bei unserem Jüngeren die exorbitant steigenden Blutzuckerwerte irgendwie in den Griff zu bekommen.

Benebelt durch meine üblichen sehr starken Kopfschmerzen stellte ich plötzlich 10 Minuten vor unserer Ankunft in Paris voller Schrecken fest, dass unser zweitgrößter, der rosafarbene Koffer, den ich platztechnisch beim besten Willen an keiner einzigen Stelle unseres Wagens 22 unterbringen konnte, so dass ich ihn -bereits mit einem etwas mulmigen Gefühl – im Nachbarwaggon 23 bei der Kofferablage verstaut habe, gestohlen worden sein musste.

Klaffte doch genau an dieser Stelle, an der ich den Koffer 3 Stunden zuvor hingeschoben hatte, ein gähnendes Loch. Völlig aufgelöst lief ich zum nächsten Schaffner und erklärte ihm mit tränenerstickter Stimme, dass unser Koffer aus dem Wagen 23 gestohlen worden sein muss. Dieser teilte uns -wenig empathisch mit -, dass dies leider häufig vorkommt, versprach aber, wenn alle Passagiere ausgestiegen sind, beim hintersten Wagen beginnend alles nach unserem Koffer abzusuchen, während wir selbiges vom vordersten Wagen an machen sollten. Die Zwillinge standen ganz bedröppelt neben mir, als unser Älterer vorsichtig einwarf: „Mama, ich glaube, ich habe auch noch so einen rosafarbenen Koffer im Nachbarwagen gesehen.“ Nervös herrschte ich ihn zunächst an, dass es sicher viele rosafarbenen Koffer gibt (allerdings wahrscheinlich keinen einzigen, der so gigantisch schwer ist), folgte ihm aber dann in den Nachbarwagen in entgegengesetzter Richtung mit der Nummer 21.

Wie beschämt, aber auch wie unendlich erleichtert war ich, als ich plötzlich in diesem Wagen unseren Koffer wiederentdeckte…Dem riesengroßen Schrecken – nicht nur aufgrund der großen Hitze war ich am ganzen Körper schweißüberströmt – folgte ein kaum zu stemmender Kraftakt, als wir uns mit der métro von der gare de l’est zur porte de Vincennes aufmachten.

Dabei war ich immer wieder kurz vor dem Zusammenbrechen und hatte offensichtlich erfolgreich verdrängt, was mich bereits bei unserem letzten Parisaufenthalt im Februar vor drei Jahren vor ungeahnte Schwierigkeiten gestellt hatte und sich nun noch einmal extrem potenzierte: das extrem weitläufige Pariser U-bahnsystem verfügt an den meisten Stationen über keine Rolltreppen, geschweige denn Aufzüge. So standen wir vor der Herkulesaufgabe, insgesamt mindestens 300 Treppenstufen, wahrscheinlich sogar noch deutlich mehr, all unser Gepäck die Treppen runter und anschließend wieder hochzuwuchten.

Dabei ist es am demotivierendsten, dass bei jedem métroumstieg erst alle Koffer hochgeschleppt werden mussten, um sie gleich anschließend wieder zu einem anderen Gleis runterzutragen. Da wir so unvorstellbar viel Gepäck bei uns haben -an dieser Stelle sei gesagt, dass ich davon wirklich den allerwenigsten Platz beanspruche -, aber das Diabetesequipment, alle glutenfreien Lebensmittel, die Waage, aber auch eine Unmenge an Büchern und Spielen für die Jungs, fordern ihren Tribut.

Ich habe noch nie in meinem Leben von so vielen mitleidig blickenden Leuten in so kurzer Zeit die aufbauenden Worte „Bon courage!“ zugerufen bekommen wie bei unserer métro-Odyssee.  Die Jungs halfen wirklich tatkräftig bei jeder Treppe mit, aber die ständige Hoch-und Runterschlepperei blieb eine einzige Tortur. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie zentnerschwer allein der große, schwarze Koffer ist, muss man an die Aussage des Papas denken, der, als er nur den Koffer vom Keller bis zum Auto wuchtete, bereits feststellte: „Den kann man ja kaum auch einfach nur so heben.“

Neben unendlich vielen „Bon courage“-zurufen hatten wir an manchen métro-Treppen auch das unfassbare Glück, dass junge Männer -interessanterweise alle aus afrikanischen Ländern stammend – uns mit der schweren Last halfen. Benötigten wir für die Zugfahrt von München nach Paris unschlagbare 5,5 Stunden, kostete uns der Weg von der gare de l’est zum Hotel Meininger an der porte de Vincennes über ein Drittel der im Zug verbrachten Reisezeit.

Und für die 700 Meter Fußweg von der métrostation bis zu unserem Hotel im 12.arrondissement benötigten wir eine Dreiviertelstunde, da ich vor lauter Erschöpfung dauernd stehen bleiben musste. Das Meininger ist ja eine Hotelkette, die in ganz Europa vertreten ist und die ich immer gerne für Städtetrips für mich und die Kinder buche.

Luxuriös ist so ein Meiningerhotelaufenthalt allerdings in keiner Weise. Die Zimmer verfügen über keinen einzigen Schrank und unser Älterer meinte gleich beim Betreten des Zimmers: „Unser Hotelzimmer ist ja kleiner als das Zimmer unserer Schwester.“ Und auch in Paris herrschen zur Zeit hochsommerliche Temperaturen. Hier ist es ein großes Manko, dass die Fenster nicht geöffnet werden können und es keine Klimaanlage gibt. So schwitzen wir bei mindestens 25 Grad Raumtemperatur, was keinen erholsamen Schlaf verheißt, zumal ich tatsächlich zermürbenderweise wegen zahlreicher Insulinpumpenalarme eine extrem kurze Nacht hatte.

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Kommentare

2 Antworten zu „Paris, Porte de Vincennes, Powertreppensteigen“

  1. Avatar von Berchtold
    Berchtold

    Guten Morgen liebe Dorothea, Christine hat mich wieder auf Ihren Reisebericht aufmerksam gemacht und ich habe gerade den ersten Tag gelesen. Ich habe richtig mitgelitten, das viele und schwere Gepäck, treppauf, treppab.
    Ich hoffe und wünsche Ihnen/ Euch, dass es jetzt, wo Ihr Euer Domizil bezogen habt, schön, interessant und vor allem entspannter wird.
    Liebe Grüße und alles Gute wünscht Gertraud Berchtold 🙋🏼

    1. Avatar von diazlireisen

      Ganz herzlichen Dank für die lieben Wünsche.Tatsächlich sind wir heute zwar sehr früh,aber wesentlich besser in denen Tag gestartet.Mal sehen,was dieser alles heute so für uns bereit hält ..Ich werde berichten…Ganz liebe Grüße und natürlich einen schönen Tag,alles Liebe!

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