Stress, Schnappatmung, Sichtweisenverzerrung. Schokoladentrost

Ich bin mir nicht sicher, ob ich ich lerntechnisch die Vergangenheit verkläre oder ob ich mich tatsächlich als Kind/Jugendliche wesentlich selbständiger und disziplinierter um meine täglichen Hausaufgaben und das Vokabellernen gekümmert habe. Jedenfalls graute es mir bereits in der Nacht vor dem nächsten Hausaufgabenmachen und Vokabellernen mit dem Jüngeren, welcher auch nicht im Entferntesten die Notwendigkeit eines regelmäßigen Lernens und Übens nachvollziehen kann. Wohl als Freudsche Fehlleistung hat er mir nicht nur den Termin eines angekündigten Englischtests unterschlagen – von diesem erfuhr ich dann rein zufällig in einem der unsäglichen Klassenchats per WhatsApp – sondern der ihm vom Englischlehrer anvertraute Lernplan war auch unwiderruflich unauffindbar, was für unseren Sohn überhaupt kein Problem darstellte, benötigte er ja diesen seiner Ansicht nach sowieso überhaupt nicht. Da ich ja leider nicht aus meiner Haut kann, zwang ich mich, mit ihm zum x-ten Mal die bereits gelernte Grammatik und die Vokabeln mühevoll zu wiederholen.

Der Satz: „Die Mäuse sind in dem Garten.“ erntete erstauntes Schweigen. „Was heißt denn sind?“, entgegnete unser Sohn. Entnervt erinnerte ich diesen an unser ständig wiederholtes „to be“, bis er den Satz mit „The mice be in the garden.“ übersetzte. „Nein, du musst doch „be“ in den Plural setzen.“ antwortete ich, bis er den Satz „The mice bes in the garden.“ bildete. Puh, da hilft auch die beste Atementspannungstechnik nicht mehr. War die fälschliche Pluralbildung in Form des Plural-s an den Infinitiv ja in gewisser Weise noch kreativ und witzig, wurde ich von Übungssatz zu Übungssatz verzweifelter, da ich keine der bereits so oft diktierten englischen Vokabeln auch nur im Ansatz in richtiger Schreibweise auf das Papier gebracht gesehen habe. Und eine Anstrengungsbereitschaft erschloss sich mir leider auch in keiner Weise, erklärte mir der Sohn doch nur: „Also, unser Lehrer hat gesagt, dass es reicht, zehn Minuten am Tag zu lernen.“

Zur leichten Schnappatmung kam es auch am Tag zuvor, als ich die erste Physiotherapiestunde nach meinem Krankenhausaufenthalt hatte und wir bereits im Vorfeld abgeklärt hatten, dass die Physiotherapeutin aufgrund meiner höchst eingeschränkten Bewegungsfähigkeit die ersten Male zu uns nach Hause kommt. Ich hoffte sehr, dass es für sie nicht der letzte Besuch bei uns daheim war, war das Wohnzimmer nicht nur dermaßen chaotisch mit dem Fußballkicker der Jungs, einem großen Haufen an Kaplasteinen eines kurz zuvor zusammengefallenen Turms, der E-Gitarre, dem Hundekörbchen, einem Wäscheständer sowie den Schulränzen der Zwillinge so vollgestellt, dass kaum mehr die mitgebrachte Therapeutenliege inmitten unseres kleinen Wohnzimmers einen Platz fand, sondern gab es just während der Lymphdrainagenbehandlung auch massive Diabetesprobleme bei unserem Älteren. War unglücklicherweise bereits in der Nacht nach nur wenigen Tagen Laufzeit der Blutzuckersensor ausgefallen und erwies sich der am frühen Morgen gestochene Sensor bereits in der ersten Schulstunde als defekt, hatte sich im Laufe des Tages auch noch die Katheterstelle des Infusionssets seiner Insulinpumpe dermaßen entzündet, dass über einige Stunden kein Insulin mehr durchgeflossen war, so dass er alptraumhafte Werte über 400 hatte. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich nach der Vergewisserung der richtigen Werte durch ein blutiges Messen einem Behandeln der völlig entzündeten Stelle sowie einem relativ aufwändigen Stechen eines neuen Infusionssets zu widmen, um möglichst schnell wieder die Blutzuckerwerte auf ein halbwegs passables Niveau zu bringen. Und das alles wohlgemerkt auf der Liege liegend, während die liebe Physiotherapeutin die Behandlung immer wieder unterbrechen musste, wenn ich bei unserem Sohn etwas nur im Sitzen, nicht im Liegen machen konnte. Es tut mir wirklich leid, liebe Andrea, dass ich dich so noch wesentlich länger beansprucht habe, da du so rührend warst und mir nach Beheben des ganzen Tohowabohos auch noch einige Übungen gezeigt hast, die ich sowohl zur Beinkräftigung als auch zur Lockerung der aufgrund des Krückengehens gesamten verkrampften Muskulatur ausüben kann.

Und auch stressbedingt verkrampft sich doch von Tag zu Tag immer noch mehr. Nimmt alles einbeinig ungeheuer mehr Zeit in Anspruch, bedeutet auch ein ständiges Telefonklingeln zur Unzeit erhöhtes Herzrasen. So hatte ich mich gerade mühsam mit dem mit viel Verbandsmaterial beladenen Rucksack auf dem Rücken, den Krücken am Orthoscoot fertiggemacht und die Fußschiene aufgrund des zu erwartenden Regens noch mit Plastikfolie großflächig umspannt, als mich das Telefon dreimal hintereinander zum rechtzeitigen Ankommen beim Arzt für den Verbandswechsel hinderte. Nach der Entgegennahme des mütterlichen Anrufs sowie einer Dame, der ich wegen eines beantragten Nachteilsausgleichs unseres Sohnes bereits zum dritten Mal immer wieder die selben umfangreichen Unterlagen als wäre es der Erstantrag zukommen lassen muss, überbrachte mir noch die arme, schmerzgeplagte Schwiegermutter die Hiobsbotschaft, dass ihre für den Freitag geplante OP nun doch auf den Mittwoch in der folgenden Woche verschoben werden musste.

Empfand ich nicht nur großes Mitleid, dass sie sich nun noch fünf Tage länger mit den Schmerzen quälen muss, war es auch schade, dass ganz umsonst das väterliche geplante Wochenende in Stuttgart mit den Kindern abgesagt werden musste. Bei der Planung im Vorfeld musste ich schon etwas schmunzeln, als ich vollen Ernstes gefragt wurde, ob es mir recht sei, wenn sie für ein Wochenende unterwegs seien und ob ich allein zurecht käme, was sehr bizarr anmutet, wenn man bedenkt, dass ich nicht nur alles für mich komplett allein mache, sondern auch einen Großteil der Haushaltsverpflichtungen wie Kochen, Waschen, etc. für alle trotz großer Eingeschränktheit übernehme, was ja ohne deren Anwesenheit alles weggefallen wäre… Bieten die Ferien den Kindern die Hausaufgabenfreiheit, hatten wir stattdessen einen kleinen Ärztemarathon von Kopf bis Fuß in den Allerheiligenferien zu durchlaufen. Am Montag begannen wir nach dem obligatorischen Besuch beim Arzt für den regelmäßigen Verbandwechsel an meinem Fuß ganz oben mit einem Zahnarztbesuch für die drei Kindern und mich, wobei glücklicherweise bei keinem Karies zu beanstanden war, dafür bei mir Rezessionen – diese gibt es nicht nur in der Wirtschaft, sondern offenbar auch in der Dentalmedizin – sowie ein Riss in einem der Backenzähne festgestellt worden waren, deren Auslöser beides Mal ein großes allnächtliches stressbedingtes Knirschen und eine Überbelastung zu sein scheinen.

Am Dienstag folgte eine teitaufwändige Fahrt quer durch die Münchner Innenstadt bis zur Biedersteiner Hautklinik, kämpfen wir doch seit Wochen mit extrem entzündeten Hautstellen bei jeder der einzelnen Kathetereinstichsstellen für das Infusionsset der Insulinpumpe. Bei der langen Autofahrt schmerzte der operierte Fuß, den ich sowieso brav auf dem Orthosccoot gelagert hatte, beträchtlich und leider konnte auch nach mehrmaligen Besuchen in dieser Universitätsklinik mit ständig wechselnden Ärzten nicht so wirklich die Ursache für diese so starken Hautentzündungen gefunden werden.

Dem Mittwoch folgte schließlich ein Besuch zur Besprechung und Untersuchung der Zwillinge in der Kinderdiabetologie. Nachdem wir uns in der letzten Zeit immer schlechter von der Kinderdiabetologie, bei der wir seit zehn Jahren treue Patienten sind, aufgehoben gefühlt haben, wendete ich viel Energie auf das Wechseln in eine wesentlich bemühtere Arztpraxis auf. Und so hatte ich mit relativ großem Organisationsaufwand Termine für die Söhne organsiert und auch alles andere gemanagt, nur nicht damit gerechnet, dass die Praxis im ersten Stock ohne funktionnierenden Aufzug liegt, so dass unsere staubedingte Verspätung noch einmal durch die mühselige Treppenbewältigung meinerseits auf den Krücken hüpfend vergrößert wurde. Der Rest der Woche war nicht weniger turbulent, allerdings verschoben sich die Stressoren.

Als Einzelaktion eine völlige Lappalie, welche sich aber vielleicht ganz gut als Illustration für die alltägliche Gedanken- und Empathielosigkeit, gerade der lieben Teenagertochter, eignet: Nach einer Backaktion von ihr und deren Freund in der letzten Woche – die Schokoladenbrownies waren selbstverständlich nicht für mich, sondern für Klassenkameraden bestimmt gewesen, während sie mir das Kücheaufräumen danach großzügig überlassen haben-, musste ich unsere Tochter über eine geschlagene Woche daran erinnern, mir endlich die glutenfreie Dose, welche ich den beiden zum Transport überreicht hatte, wieder zurückzugeben. Unzählige Erinnerungen und viele Tage später, fand ich diese nun tatsächlich feinsäuberlich in der Küche stehend, allerdings in keiner Weise gespült, sondern noch mit allen Schokokuchenresten der vergangenen Woche versehen. Als ich neues Spülmittel für die Reinigung holen wollte, baute ich mit meinem tollen Orthoscooter beinahe einen Unfall und wäre gestürzt, da die Schuhe der beiden mal wieder nicht den Platz in das Schuhregal gefunden hatten, sondern zusammen mit dem Rucksack hübsch verstreut in unserem viel zu kleinen Flur lagen, der für die Breite des Orthoscooters und dem Sammelsurium der Kinder leider nicht groß genug ist…

Allen meinen lieben Freundinnen und Freunden sei auch an dieser Stelle noch einmal mein allerherzlichster Dank ausgesprochen. Die Gespräche mit euch sind wirklich immer besser als jede Medizin und schokoladentechnisch bin ich dank euch für die nächsten Monate bestens versorgt…

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