
„Wir fahren ja dauernd Umwege!“ motzte derjenige, dessentwegen wir ein wenig später deutlich mehr Zeit verlieren sollten, da er plötzlich wie vom Erdboden verschluckt war, als wir aufgrund seiner Beschwerde extra einen Zahn zugelegt hatten auf dem Weg radelnd zum Schloss Ritzebüttel.

Offenbar hatte er in der Fußgängerzone von Cuxhaven, die erstaunlich weitläufig ist, interessante Wasserpistolen in einem Ein-Euro-Shop entdeckt, welche ihn so sehr in den Bann gezogen hatten, dass er einfach stehen geblieben war, ohne ein Wort zu sagen. Schlussendlich nahm die Suche nach dem verlorenen Sohn deutlich mehr Zeit in Anspruch als wie wir diese vorher, wie es der Ältere beklagt hatte, bei einem klitzekleinen Umweg verloren hatten, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass sich das Schloss direkt neben der Fußgängerzone befindet.

Meinen historischen Schlosserklärungen – ist das Schloss Ritzebüttel doch ein Profanbau des 14. Jahrhunderts und das älteste Gebäude sowie die Keimzelle der Stadt Cuxhaven – wollte leider keiner folgen. Die Jungs zogen es dagegen eher vor, ihre frisch erstandenen gelben Gummibälle mit jeweils einer Gummischnur so schwungvoll aneinander schnalzen zu lassen, dass sich sogleich der Ball des Jüngeren gelöst hatte. Danach hatten sie schon wieder einen unbändigen Mittagsessenshunger – ich bin gefühlt am ständigen Semmeln- und Maiswaffelnschmieren sowie Schneiden von Obst und Gemüse und Darreichen zahlreicher Schokoladenriegel – und fachsimpelten über irgendwelche Fußballthemen.

In dem Schlosspark stehen sogar eine ganze Reihe netter Skulpturen und Gebäude, welche die Kinder allerdings keines einzigen Blickes würdigten, zog es sie doch zu der Kegelrobbenschifffahrt, bei der wir stark hofften, trocken zu bleiben trotz des angekündigten Regens und möglichst viele Tiere auf der Sandbank aus der Nähe beobachten zu können.

Als wir das Ausflugsschiff bestiegen, waren wir umringt von mehreren Schulklassen mit Kindern im Grundschulalter, welche ja bereits im Bundesland Niedersachsen schon längst wieder in das neue Schuljahr gestartet sind. So war der Lärmpegel während der zweistündigen Rundfahrt ausgesprochen hoch. Der Ältere beschwerte sich wiederholt, dass er es so ungerecht fände, dass die Schüler aus Niedersachsen so geniale Ausflüge machen würden, während er während seiner gesamten Grundschulzeit noch nicht einmal einen Klassenausflug auf einem der bayerischen Seen unternehmen hat dürfen.

Immerhin erkundete er sofort das kleine Schiff und lief geschäftigt und begeistert auf dem Ausflugsdampfer hin und her, von dem man auch sehr gut das grüne „Sandausbuddelschiff“ beobachten konnte, das Tag und Nacht an 365 Tagen im Jahr, den Sand für eine schiffbare Fahrtrille ausbaggert, was den Steuerzahler eine schlappe Million kostet, und zwar pro Tag! Der Jüngere und ich wurden währenddessen von einem mittelalten Mann und dessen Eltern aus Gelsenkirchen dauerbeschallt und es wurden uns schon einmal alle Vor- und Nachteile der Windkrafträder von diesem ausgiebigst – und ungefragt – erklärt.

Nach der Vorbeifahrt an den Hapaghallen, die noch heute als voll funktionstüchtiges Passagierterminal für Kreuzfahrtschiffe und Fähren fungieren und welche man umgangssprachlich auch als „Kai der Tränen“ bezeichnet – brachen doch von dort einst die Auswanderer zu ihrer Reise über den Atlantik auf, die sich schmerzvoll in der Hoffnung auf ein besseres Leben von ihrer Familie und den Freunden verabschieden mussten – entdeckten wir tatsächlich nach einer relativ kurzen Fahrtzeit eine Sandbank, auf der sich etwa 40 Seehunde und Kegelrobben sonnten.

Dem Älteren konnte das Entdecken der Seehunde und Kegelrobben gar nicht schnell genug gehen, hatte er doch empört, als wir gerade an den imposanten Hafenanlagen von Cuxhaven vorbeigefahren waren, gefragt: „Mama, wo sollen denn die Seehundebänke zu sehen sein?“

Leider schien ein Großteil von ihnen gerade einen verspäteten Mittagsschlaf zu machen, aber es war auf alle Fälle sehr faszinierend, diese Tiere beobachten zu dürfen. Dabei erfuhren wir auch den Unterschied zwischen Kegelrobben und Seehunden, sind die ausgewachsenen Seehunde doch mit einer Länge von 180 cm und einem Gewicht bis zu 100 Kilo wesentlich kleiner als die Kegelrobben, die bis zu stolze 230 cm messen und bis zu 330 Kilo wiegen können.

Da wir offenbar schneller als geplant die Seehundebänke erreicht hatten, fuhren wir noch mit dem Schiff an dem Hafen „Alte Liebe“ in die andere Richtung, zu dem Cuxhavener Wahrzeichen, der Kugelbake. Diese stellt den nördlichsten Punkt Niedersachsens dar und markiert die Stelle, an der die Elbe in die Nordsee fließt. Waren wir die Tage zuvor bereits oft an dieser auf der Landseite vorbeigeradelt, wirkte diese von der Seeseite noch einmal ganz anders auf uns.

Hatten die Jungs alles, was ich ihnen nur drei Tage zuvor im Bahlsenoutletcenter aus lauter Freude, dass es auch so viele glutenfreie Sachen gibt, verputzt, wünschten sie sich, dass wir uns noch einmal mit Erdnussflips und für den Älteren auch Pickups, etc. für die sehr lange Rückfahrt mit dem Zug eindeckten. Während ich für mich während der gesamten Reise absolut gar nichts gekauft habe, wurde ich nun als ausgewiesene Kaffeeliebhaberin am letzten Tag unseres Aufenthalts in Cuxhaven doch schwach und erwarb in der gleichnamigen Kaffeerösterei köstlich duftende Kaffeebohnen.

Die Rösterei sah nicht nur ausgesprochen einladend aus, sondern warb auch damit, dass sie die Kaffeebohnen bei 190 Grad etwa 20 Minuten rösten, was den Kaffee offenbar alle seine Aromen optimal entfalten lässt und das bei einem geringen Säuregehalt. Zudem steht dieser für einen fairen Umgang mit allen Geschäftspartnern, so dass die Kaffeebauern etwa 40 % mehr bekommen im Vergleich zum Weltmarkt. Als Nervenstärkung hätte ich mir am liebsten auf der Stelle einen großen Kaffee aufgebrüht, erwiesen sich die Zwillinge doch gerade ab dem späten Nachmittag als wirklich extrem anstrengend…

Glücklicherweise sind die Jungs kulinarisch relativ bescheiden, so dass wir nie viel Zeit bei einem Abendessen in einem Restaurant verlieren mussten, sondern sie sich stets mit Maiswaffeln mit Pesto, Erdnussmus oder anderen vegetarischen Aufstrichen oder Rohkost und Schokoriegel zufriedengeben. Dank des bereits am ersten Tag per Zufall gefundenen Bahlsenoulets hatten wir ein Großeinkauf an Erdnussflips, Nugatschokolade und Pickups getätigt, der von Tag zu Tag beim abendlichen Essen deutlich weniger geworden ist.

Auf unserer Reise erlebten wir immer wieder -zumindest für mich – sehr anstrengende Stunden und zusätzlich zu meinen chronischen Fußschmerzen hatte ich immer wieder mit Ohr- und Augenentzündungen, vielleicht auch wegen des starken Nordseewindes zu kämpfen, aber wir erlebten immer wieder auch sehr schöne, völlig unvorhergesehene Momente. So hatten wir auf der Busfahrt vom Bremerhavener Hafen bis zum Hauptbahnhof den reizendsten Busfahrer, den ich bis jetzt erlebt habe. Er erklärte uns nicht nur alle interessanten Bauwerke, an denen wir in Bremerhaven bei einem enorm dichten Verkehrsaufkommen vorbeifuhren, sondern er war auch von unseren ganz vorne sitzenden Söhnen so begeistert, dass er ihnen ganz echte Polizeisticker von seiner Uniform als Erinnerung schenkte. So erzählte er uns, dass er nämlich pensionierter Polizist aus Niedersachsen sei und besonders netten Kindern diese Originalbuttons von einer seiner Uniformen schenkte.

Und auch von den Rezeptionsdamen in unserer Cuxhavener Unterkunft waren wir total begeistert, als diese auf die Frage unserer Jungs nach einer Tischtennisplatte, als wir gerade das Hotel betreten hatten, so begeistert von dem höflichen Umgangston der Jungs waren, dass sie sofort den ganzen Hotelschuppen durchsuchten und tatsächlich ein wenig später eine Tischtennisplatte, zwar ein wenig schief und ohne Netz, aber dennoch bespielbar, aufbauten. So vergnügten sich die Jungs, während ich mal wieder den Inhalt all unserer voluminösen Koffern in den Schränken verstaute und verzweifelt nach der Schere suchte, um die Sensoren und Katheter für das geplante Schwimmen ordnungsgemäß verkleben zu können.

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