
Am vorletzten Seetag trat genau das ein, was ich bei der Durchfahrt von der Biskaya schon monatelang vorher am meisten gefürchtet hatte – bereits nach dem abendlichen Auslaufen in Bilbao vermeldete der Kapitän, dass er eine gute und eine schlechte Nachricht zu verkünden hätte. Da ahnte ich bereits, dass es zumindest für unseren Jüngsten und mich einzig eine schlechte Nachricht war. Und so berichtete der Kapitän, dass alle, die sich während der letzten Tage so eine richtig stürmische See gewünscht hätten, nun voll auf ihre Kosten kämen, bekämen wir doch jetzt etwa 5-Meter hohe Wellen.

Sogleich malte ich mir die schlimmsten Szenerien aus und erkundigte mich prophylaktisch beim Bordhospital, ob sie auch im Fall der Fälle eine Glukoselösung infundieren könnten, erinnere ich mich doch noch mit Schrecken an einen heftigen Magen-Darm-Infekt im Kleinkindalter bei unserem Älteren, bei dem er sich so oft übergeben musste, dass er auch keinen Traubenzucker mehr bei sich behielt, dennoch etwas Mahlzeiten- und Basalinsulin wirkte, so dass er stets riskierte, in einem dauerhaften Unterzucker zu bleiben, so dass wir uns schlussendlich zu einer Fahrt in das Krankenhaus entschieden, wo er dann auch just an den Tropf gehängt wurde.

Als mir die Infusionsfrage positiv beantwortet wurde, war ich schon etwas beruhigter, schaffte es aber dennoch während der gesamten Nacht nicht länger am Stück tief zu schlafen, da ich immer besorgt auf unseren Jüngsten schielte und bei allen Schiffsbewegungen stets fürchtete, dass es sich gleich noch verschlimmern würde. An der Rezeption hatte ich bereits im Vorfeld Tabletten gegen die Seekrankheit besorgt und hatte jedoch unterschätzt, dass es einem im Liegen während des Wellengangs tatsächlich noch deutlich besser als nach dem Aufstehen gehen kann.

Und so hatte ich gerade den Jungs die gesamte frische Kleidung für den bevorstehenden Tag bereitgelegt, als die Gesichtsfarbe unseres Jüngsten immer weißer wurde und er gerade noch den Gang zur Toilette schaffte. Auch mir war bereits sehr übel. Die Position unserer Kabine, ganz vorne steuerbord, verbesserte die gesundheitliche Situation in keiner Weise. Da man sich bei hohem Wellengang und einer deutlichen Empfindlichkeit am besten an der frischen Luft in der Mitte des Schiffes aufhalten sollte und es einem noch einmal deutlich schlechter mit einem leeren Magen geht, suchten wir trotz allem das Ankelmanns-Büffetrestaurant auf, wo ich für unseren Jüngsten eine glutenfreie Laugensemmel bestellte.

Dem älteren Bruder ging es glücklicherweise bestens. Er ließ sich seine Pancakes, eine Waffel und Naturjoghurt mit Obst wie jeden Morgen schmecken. Den Jüngeren überredete ich wenigstens zu einigen Bissen der glutenfreien Laugensemmel und ich trank, ganz entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten, und leider, liebe Franzi, ohne deine Anwesenheit, einen AperolSprizz, nachdem der Alkohol den Gleichgewichtssinn etwas desensibilisiert und einem auf diese Weise weniger übel ist. Ich war dem Kapitän äußerst dankbar, dass sie aufgrund des Sturms in der Biskaya – der neuralgische Punkt ist wohl immer, wenn man ganz oben vor der französischen Küste eintrifft – in der Nacht deutlich schneller als geplant gefahren sind, um quasi den allerhöchsten Wellen zu entkommen, was immerhin im Laufe des Nachmittags unseres Seetages auch zum gewünschten Erfolg geführt hatte.

So konnte ich alles, was ich brav auf das Geheiß der Besatzung in unserer Kabine gesichert hatte, wieder entzurren und ließ gemeinsam mit den Jungs noch einmal den Inhalt der erlebten nautisch-technischen Sprechstunde am Abend zuvor mit dem Kapitän sowie dem Kreuzfahrtdirektor Revue passieren. Dort wurde nicht nur sehr eindrucksvoll die Schiffslänge mit 315 Metern sowie die Breite mit um die 35 Meter bei der breitesten Stelle, nämlich dem Deck, wo sich die Brücke befindet, erläutert, sondern es wurde auch erklärt, dass das Schiff an sich durch Wind und Welle nicht untergehen kann, zum Vergleich für dieses Faktum wurde eine sogenanntes Stehaufmännchen herangezogen.

Allerdings hätten dann die über 3000 anwesenden Passagiere sowie die Crew von etwa 1200 Leuten ganz andere Probleme, bis das Schiff wieder eine senkrechte Lage erreicht hätte…Grundsätzlich ist auf alle Fälle für jede Schiffsfahrt die Windstärke am entscheidendsten, da gerade beim Anlegen ein so starker Wind das Schiff so sehr an die Pier hindrücken könnte oder aber auch gar nicht ansteuern lassen kann, dass es immer wieder Tage gibt, an denen man aufgrund des zum starken Windes nicht an den vorgesehenen Häfen anlegen kann.

Während man mit einem Kreuzfahrtschiff stets versucht, das schlechte Wetter zu umfahren, muss ein Tanker natürlich komplett für all seine Lieferungen seine Route beibehalten, auch bei allerschlechtestem Wetter. Zudem erfuhren wir, dass es keinen Wellenmesser als technisches Gerät gibt, sondern ein erfahrener Seemann die jeweilige Wellenhöhe sowie die Windstärke mit dem bloßen Auge erkennt. Im Gegensatz zu anderen Reedereien verfügt die Flotte der TUI-Schiffe über sogenannte „Safe Return to Port-Ships“, was bedeutet, dass, wenn der Hauptmaschinenraum aus welchen Gründen auch immer ausfallen sollte, es dennoch einen zweiten Maschinenraum gibt. Dies ist fast ein Alleinstellungsmerkmal und zudem gibt es auch noch eine zweite Notkommandobrücke.

Auch wenn das Schiff als Höchstgeschwindigkeit 21 Knoten fahren kann, fährt es üblicherweise nur mit 13 – 14 Knoten. Und ich lernte auch endlich, dass man von sogenannten Rollbewegungen spricht, wenn sich das Schiff nach Steuer- und dann wieder nach Backbord neigt, was Stabilisatoren zumindest etwas abdämpfen können. Nach wie vor bleibt jedoch die allergrößte Gefahr auf solch einem Schiff stets das Feuer, weswegen es äußerst rigide Brandschutzverordnungen gibt.

Bezüglich der Servicekräfte habe ich das Gefühl, dass es diesen auf den „Mein Schiff“-Booten deutlich besser als z.B. auf denjenigen der AIDA-Flotte geht. Sie haben wesentlich mehr Freizeit, können an jedem der angebotenen Ausflüge, wenn sie einige Stunden frei haben, teilnehmen und es sind wesentlich mehr Mitarbeiter auch aus deutschsprachigen oder grundsätzlich europäischen Ländern an Bord. So kamen wir mit einem relativ jungen Liechtensteiner ins Gespräch, der erst einige Jahre als Koch und Lebensmitteltechniker in Liechtenstein gearbeitet und dort etwa dreimal so viel wie auf dem Schiff verdient hat. Allerdings gefiel ihm die Mentalität nach einem immer größeren materiellen Streben, welche in seinem Liechtensteiner Umfeld extrem verbreitet war, so überhaupt nicht, dass er mit großer Freude nun auf dem Schiff arbeitet.

Während die ersten Tage an Bord für ihn natürlich immer eine große Umstellung bedeuten, genießt er nun ausgesprochen sowohl die ganz feste Struktur als auch sich nicht noch zusätzlich zu der Arbeit um viele alltägliche Kleinigkeiten wie das Briefkastenentleeren, den Haushalt oder einiges anderes kümmern zu müssen. Und er profitiert jeden Tag von dem großen Zusammenhalt unter all der Kellnercrew und sieht, dass sich z.B. die Asiaten zu fünft ein Bier teilen, aber deutlich glücklicher als zahlreiche Europäer sind.

Ein Kellner aus der Türkei, welcher der Oberkellner in dem von mir sehr geschätzten – von den Jungs eher weniger – „Ganz schön gesund“-Bistro ist (in dem es übrigens eine traumhaft leckere glutenfreie Schokoladentarte gibt) berichtete zudem, dass er vor einigen Jahren seine jetzige Frau auf einem der TUI-Schiffsflotte kennenlernt, nun seinen Wohnsitz in dem Land seiner Frau in Indonesien hat, seine Frau aber auch während der Arbeit jeden Tag sieht, da es TUI ermöglicht, dass auch Ehepaare zusammen auf dem selben Schiff arbeiten und selbstverständlich auch in einer Kabine leben dürfen.

Just dieser Kellner war von dem ersten Tag sehr von unseren beiden Söhnen begeistert und erlaubte ihnen sogar -was bei anderen Schiffsflotten überhaupt nicht gestattet ist – sich aus dem benachbarten Tag & Nacht- Bistro bei (glutenfreien) Pommes, Currywurst, etc. zu bedienen und dies dann in meiner Gesellschaft im „Ganz schön gesund“-Restaurant zu verzehren. Apropos Gesellschaft: nachdem es dem Jüngeren im Laufe des Tages dank der Reisetabletten, des Essens im Bauch, der frischen Luft und des deutlich geringeren Wellengangs – die fünf Meter lang gezogenen Wellen hatten tatsächlich sowohl bei ihm als auch bei mir für große Übelkeit und Schweißausbrüche gesorgt – wieder besser ging, hatten wir uns zum Essen in dem „Ganz schön gesund“ verabredet. Zu meiner großen Verwunderung stellte er fest, dass er nun eigentlich gar keinen Hunger hätte, da er kurz davor schon einen Döner (selbstverständlich ohne ein glutenhaltiges Fladenbrot) verdrückt hätte.

Ich musste schon etwas schlucken, als sich der Kellner bei unserer Diskussion, dass die Jungs nun dennoch an meinem Tisch sitzen bleiben sollten, den Vorschlag machte, dass die beiden „Schere, Stein, Papier“ spielen und der Verlierer (!) mir danach beim Essen Gesellschaft leisten sollte. Glücklicherweise sehen das meine Freundinnen oder auch Freunde hoffentlich anders und haben bestenfalls eher das Gefühl, ein Sieger- denn ein Verliererlos gezogen zu haben, wenn sie in meiner Gesellschaft speisen…

Schlussendlich sorgte der besagte Kellner dann für eine längere Beschäftigung für mich auch ganz ohne familiäre Anwesenheit. Hatte er mich doch die Tage davor auch immer schon mit Papier und Stift – nicht nur für die ständigen Insulinberechnungen der Zwillinge- bewaffnet gesehen, so dass er mich nun bat, diverse Bewertungsbögen und „Mein Urlaubsheld“-Karten zu beschreiben, auf denen man seine persönlichen Highlights mit dem jeweiligen Servicehelden anekdotenhaft zum Besten geben sollte. Einem Wunsch, dem ich selbstverständlich bereitwillig nachkam.

Und nicht zuletzt erlebten wir die Barkeeper und auch das Reinigungspersonal als nicht nur ausgesprochen höflich, sondern auch nicht gekünstelt höflich, sondern wirklich ganz authentisch fast immer bestens gelaunt und zuvorkommend. Ich habe zudem noch nie eine Crew erlebt, welche sich so sehr über die jeweiligen Trinkgelder gefreut hat und wirklich grundsätzlich offenbar sehr zufrieden mit dem Arbeitsumfeld ist, was die Zwillinge hinsichtlich des Urlaubsumfeldes nur bestätigen können…

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