
Als ich die Bedienung beim Frühstück fragte, ob sie denn an diesem Tag auch an Land ginge, erzählte sie mir, dass dies ihr letzter Arbeitstag sei, sie nun zwei Monate in ihrem Heimatland Sarajevo verbringen dürfe und dass sie sich ehrlich gesagt nicht erinnere, ob sie schon einmal in Turku war. Dies ist nur allzu verständlich, dass diese finnische Stadt, auch wenn sie bis vor über 130 Jahr noch sogar die Hauptstadt von Finnland war, nicht unbedingt als eine der beeindruckendsten im Gedächtnis bleibt, wiewohl sie doch auch einen ganz besonderen Charme versprüht.

Allein schon die Ein- und Ausfahrt in die ehemalige Hauptstadt Finnlands bietet eine herrliche Naturlandschaft mit einem faszinierendem Schärenmeer. Obwohl bei den Schären wahrscheinlich deutlich mehr sofort an Schweden denken, können die Finnen ebenfalls mit einem faszinierenden Schärengebiet auftrumpfen. Und so bezeichnet sich Turku auch als das Tor zum Schärenmeer. Reist man wie wir im Juni, erlebt man zudem auch noch um Mitternacht in diesen Gegenden eine Taghelligkeit. Diese Aufnahmen habe ich zum Beispiel während meiner Schulaufgabenkorrekturen kurz vor Mitternacht an Bord aufgenommen.

Wie so oft, wenn ich von anderen Passagieren die erlebten Landgänge höre, bereue ich es, nicht auch noch dies oder das gemacht zu haben. An diesem Tag hätte mich z.B. noch das Ausflugsprogramm der Bordmusiker interessiert, welche zu einer finnischen Sauna nur wenige Kilometer von Turku entfernt und direkt an einem See gelegen, geradelt sind. Während ich zu Fuß um jeden Schritt kämpfe und deshalb in Helsinki völlig deprimiert war, konnte ich in Turku ganz einfach jeden beliebigen Umweg nehmen, einzig begleitet von der Sorge vor einem bald einsetzenden angekündigten kräftigen Regenguss.

So entdeckten wir auch auf einem kleinen Umweg das maritime Museum, vor dem Soldaten in Tarnkleidung inklusive der passenden Gesichtsbemalung standen und für ihren Beruf warben. Städte, durch die ein Fluss fließt, wirken ja meistens sehr idyllisch und die Stadt Turku wirbt sogar damit, dass sie es entlang des Flusses Aurajoki mit dem Flair von Paris aufnehmen kann. Zwischen der Auran Silta-Brücke und dem Vähätori-Platz finden sich tatsächlich sehr malerische Restaurants und Cafés, welche in pastellfarbenen alten Steinhäusern beherbergt sind.

Und das Herz jeder Lateinlehrkraft geht auf, wenn man direkt gegenüber dem Domplatz sogar den wunderbaren lateinischen Sinnspruch „Omnia vincit amor“ auf einer Hausfassade entdeckt…Hatte ich in Turku zunächst befürchtet, dass es überhaupt keine Leihfahrräder gäbe, überzeugte diese Stadt am allermeisten durch das beste Fahrradleihsystem überhaupt. Nach einem problemlosen Herunterladen der App musste man zum ersten Mal noch nicht einmal mühsam alle Kreditkartennummern eingeben, sondern konnte auch als Zahlungsmittel die Paypaloption wählen.

Zudem hatte jedes der insgesamt an die 700 Fahrräder, verteilt auf etwa 200 Stationen, einen eigenen Namen, der mal mehr, mal weniger typisch für Finnland war. Während die Räder von mir und unserem Älteren für uns Deutsche sehr gewöhnlich klingende Namen wie Conny und Diana hatten, durfte unser Jüngerer auf einem Rad namens Tuire Platz nehmen. Die Räder sind sogar jederzeit per App absperrbar, nur die Bremsen funktionieren relativ schlecht. Aber dies trägt vielleicht auch zum entschleunigten Lebensstil der Finnen bei.

Relativ schnell gelangt man immer dem Fluss folgend inmitten von herrlichster Natur und findet sich schon bald an so abgelegenen Orten wieder, dass man jederzeit mental auf das Erscheinen eines Elches vorbereitet ist. Bei uns sollte sich diese Chance allerdings als ausgesprochen gering erweisen, klapperten doch im Sekundentakt die wie jeden Tag von mir sorgsam befüllten und von den Jungs restlos leer gefutterten Edelstahlbrotzeitboxen in meinem Fahrradkörbchen äußerst geräuschvoll aneinander.

Turku vergleicht sich nicht nur mit Paris, sondern wirbt auch für sich als die Stadt mit den sieben Hügeln, bei dem man ja normalerweise erst an eine deutlich südlich gelegenere Stadt denken würde. Übermütig durch die so entlastende stundenlange Fahrradbenutzung geworden, beschloss ich mit den Jungs noch den Samppalinna-Park aufzusuchen, ohne zu bedenken, wie viele Treppen man sich bis zum dortigen Denkmal hochquälen muss. Gerade das Heruntergehen war absolut qualvoll mit meinem linken Fuß und der angepriesene Ausblick von oben war definitiv nicht die Mühe wert, zumal es mal wieder zu geschwisterlichen Zwistigkeiten gekommen war, hatte doch der eine den anderen heftigst in den Rücken getreten, nachdem der andere die in Helsinki auf dem Boden des Marktplatzes gefundenen 20 Euro weder brüderlich noch in irgendeiner anderen Weise aufteilen wollte…

Unser Rückweg wurde dann noch durch die gewohnten Widrigkeiten wie plötzlich einsetzende starke Regengüsse sowie zeitversetzte Unterzucker bei den Söhnen wie so oft erschwert, aber wir erreichten schließlich relativ durchnässt das rettende Schiff, mit dem Gefühl, das ich bis jetzt auf dieser Schiffsreise noch nie verspürt hatte, dass wir tatsächlich alles Sehenswerte von Turku, das man an einem Montag bei einer Vielzahl von an diesem Tag geschlossenen Museen, besichtigt haben. So war uns z.B. auch nur eine Besichtigung der Burg von Turku, die im späten 13. Jahrhundert errichtet worden ist und als eine der größten erhaltenen mittelalterlichen Burganlagen Finnlands gilt, von außen möglich.

Dafür suchten wir zum ersten Mal -normalerweise finde ich daran gar keinen großen Gefallen – neben dem Dom das zweite historische Wahrzeichen von Turku in Form der Markthalle auf, welche tatsächlich die zweitälteste noch betriebene Markthalle des gesamten Landes darstellt und essenstechnisch alles Erdenkliche zu bieten hatte von Aal über Rentiersalami bis hin zu dem allseits bekannten und beliebten Zimtschnecken.

Und bei der abendlichen Ausfahrt von Turku schmälerte der nicht nachlassende Regen in keiner Weise unsere Freude über die zahlreichen eintreffenden Fähren von Tallinn, Helsinki und Stockholm sowie über die unglaubliche Natur mit ihren zahlreichen Schären und dank des Mittsommers einer faszinierenden Taghelligkeit auch noch um Mitternacht.

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