Athen, Bari, Corfu, Chania, Dubrovnik und Ephesus – das A,B, C, D und E der Levanteländer (Teil 4): Chania

„Mama, das ist ja wie im Urlaub!“ riefen am Stadtstrand von Chania die Jungs aus, als wir im Schweiße unseres Angesichts an der schattenlosen Uferpromenade endlich den ersten Strandabschnitt erreicht hatten. „Das ist herrlich! Können wir da länger bleiben?“

Länger als 90 -120 Minuten sollten die Zwillinge nie von der Insulinpumpe getrennt sein und wir mussten danach sowieso wieder den Weg zurück antreten, waren wir doch nicht so bequem wie ein anderes Ehepaar, dem wir an dem Strand begegneten und die uns geklagt hatten, wie lange sie schon in der Altstadt und bis zum Strand gelaufen wären, so dass sie sich jetzt vom Taxi zum Schiff chauffieren lassen würden.

Da konnte ich nur müde lächeln, sind wir um ein Vielfaches mehr in der Stadt herumgelaufen und selbstverständlich haben wir auch für den Rückweg ausschließlich unsere Füße benutzt.

Und die armen Jungs mussten an diesem Tag auf Kreta  – immerhin hin schmerzen ihnen, anders als mir, die Füße nicht so extrem – lange Wegstrecken zurücklegen und teilweise denselben Weg sogar öfters gehen, da ich auf der Suche mehrerer lateinischer Inschriften war, welche ich nicht auf so großer Höhe bei einem Gebäude erwartet hätte und daher erst einmal einige Male immer ungeduldiger und leicht fluchend vorbeigelaufen bin.

So liefen wir vom venezianischen Hafen in der größten Mittagshitze schweißüberströmt dreimal die Zabelioustraße rauf und runter, bis wir endlich bei der Hausnummer 41 die gesuchte lateinische Aufschrift fanden, die auf einem ehemals herrschaftlichem Haus angebracht war: „Keiner wird gering geschätzt, der einen großen Geist besitzt.“

Und nicht nur das, sondern die Zwillinge bewiesen hier auch eine große Geduld, welche von mir in derselben Straße anschließend durch den Kauf von Pokemonkarten belohnt wurde. Anders als offenbar über die Hälfte aller Passagiere auf unserem Schiff buchen wir nie einen Ausflug von Aida, sondern machen stets individuelle Ausflüge. Dies bedeutet für mich allerdings einen enormen täglichen Vorbereitungsaufwand, so dass ich jede Nacht noch in dem engen Badezimmer (da wir außer dem Zimmer, in dem die drei Betten stehen und dann ja die Zwillinge schlafen, keinen weiteren Raum mehr haben), die Reiseführer wälze und mir alle Besichtigungsvorhaben gegen Mitternacht auf Blätter schreibe.

An dem Tag in der Soudabucht in Kreta hätte ich mich manchmal doch sehr gerne einfach einer Reisegruppe angeschlossen, um nicht ständig in der Gluthitze den besten oder überhaupt erst einmal den richtigen Weg zum nächsten Besichtigungsort ganz alleine finden zu müssen. Aber auch so haben wir die beiden malerischten Viertel von Chania, Evraíki und Topanas gefunden. Im Topanasviertel gelangten wir schließlich auch zur zweiten von mir intensiv gesuchten lateinischen Inschrift, welche zwei traumhafte Hexameter beinhaltet und mit dem ersten Vers einen Horazhexameter aufgreift, bei dem nur aus dem „puer“ bei Horaz ein „pater“ bei der Inschrift über dem Portal des Palazzo Renier geworden ist.

Amüsant fand ich die Tatsche, dass sich der Steinmetz offenbar bei der Länge der Wörter genauso verschätzt hat, wie mir dies regelmäßig beim Schreiben im Klassenzimmer an dem Whiteboard in der Schule passiert, so dass er die letzten beiden Buchstaben in der zweiten Verszeile „os“ in einen Buchstaben platzsparend miteinander verschlungen hat.

Der venezianische Hafen mit seiner Moschee Giali Tsamisi (die älteste auf Kreta) und dem Leuchtturm bietet aus wirklich jeder Perspektive reizvolle Fotomotive. Die Venezianer bauten insgesamt mehr als 300 Jahre an ihrem Hafen. Leid und Freud liegen wie so oft dicht nebeneinander. So pittoresk Chania an vielen verschiedenen Stellen heutzutage erscheint und so traumhaft schön es ist, so viel Tränen und Tod gab es hier. Und das nicht nur im Dezember 1966, als bei einer Fährüberfahrt von Piräus nach Kreta Hunderte von Passagieren in den Tod gerissen wurden, woran dieses Handdenkmal erinnern soll, sondern Chania, eine der beiden schönsten Städte Kretas, war im zweiten Weltkrieg eine der am häufigsten bombardierten Gegenden.

Und noch heute sieht man viele Ruinen aus dieser Zeit, welche bis heute nicht aufgebaut worden sind, scheint es auch keine staatlichen Aufbauhilfen gegeben zu haben. Die Soudabucht ist nach Heraklion der größte Hafen auf Kreta und beim Auslaufen waren einige NATO-schiffe zu sehen, was nicht verwunderlich ist, da diese doch auch einen NATO-stützpunkt darstellt.

Auch wenn ich sehr gerne die Kathedrale Trimartyri ausgiebig von innen besichtigt hätte, zeigt sie doch eindrucksvoll eine Koexistenz der Religionen, fügte ich mich den „Urlaubswünschen“ der Zwillinge, so dass wir an diesem Kretatag keine einzige Kirche von innen, dafür jedoch das kristallklare, bläulich schimmernde Wasser von unten beim Schnorcheln/Tauchen und Schwimmen sahen.

Wir lieben alle das Wasser, aber in der größten Mittagshitze stellte es für mich nicht nur eine Herausforderung da, keine einzige Hautstelle der Jungs beim ständigen Sonnencrèmenachschmieren zu vergessen (leider nicht so hundertprozentig gelungen) und die Blutzuckerwerte trotzt abgestöpselter Insulinpumpe in einem stabilen Bereich zu halten (hervorragend gelungen), sondern auch stets unsere Sachen im Blick zu haben, da diese weder in die Sonne kommen dürfen (ansonsten würde das Insulin ausflocken) noch gestohlen werden sollten.

Dabei denke ich immer wieder an meinen lieben Vater zurück, welcher wirklich nie auch nur eine Minute unbeaufsichtigt irgendwelche Wertsachen am See oder Strand zurückgelassen hätte, aber ich habe allein mit den Jungs ja keine andere Wahl. So hat er als Schutzengel und wahrscheinlich mit einem großen Kopfschütteln über den wiederholten Leichtsinn seiner Tochter über uns und die beiden Rucksäcke gewacht. Anders als andere Leute fürchte ich immer am allermeisten einen Diebstahl der Insulinpumpen, aber natürlich wäre auch das Entwenden des Portemonnaies sehr ärgerlich gewesen.

Einzig beim Sandburgenbauen kippte die Stimmung am Stadtstrand von Chania, nahm der Ältere diese Aufgabe doch ausgesprochen ernst und baute höchstkonzentriert mit bloßen Händen eine stabile Burg, sogar geschmückt mit einem im Meer gefundenen Marmorstein, während der Jüngere ausschließlich darauf bedacht war, dass seine Namensinitialen bei der Burg gut sichtbar an vorderster Front angebracht sind und sich quasi so zum großen Ärger des älteren Bruders, des ausdauernden Baumeisters, mit fremden Federn schmücken wollte, was erneut zu Zwistigkeiten geführt hatte…

Glücklicherweise konnten wir den Rückweg im Besitz all unserer Wertsachen und etwas mehr geröteter Hautstellen als gewünscht wieder antreten. Wie ich den Jungs bereits am Vormittag versprochen hatte (dort fragte der Jüngere wiederholt, wann er denn nun endlich wieder Tischtennis spielen dürften), erreichten wir das Schiff bereits über zwei Stunden vor dem Auslaufen, so dass wir noch im Marktrestaurant beim Themenabend „Griechenland“ in Moussaka, Tsatsiki, mediterranen Kartoffeln, Bergen von Baklava, Kuchen und Eis mit allerlei Toppings schwelgen konnten, bevor wir pünktlich zum Auslaufen einen faszinierenden Sonnenuntergang bewundern durften.

Der Sonnenuntergang läutete leider noch in keiner Weise ein Zubettgehen ein. Während sich der Ältere mit mir im Theatrium und in der Kabine vergnügte, hatte der Jüngere herausgefunden, wie man auch von dem Sportdeck aus in die jeweilige Kabine per Telefon herunterrufen kann und machte von dieser Möglichkeit regen Gebrauch, bis mir gegen 23.00 Uhr der Geduldsfaden riss und ich schon wieder große Sorge hatte, dass die Jungs vor lauter Übermüdung noch besichtigungsunwilliger in Santorin als an unserem Kretatag wären.

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