„Mama, ein Seetag ist so toll! Da kann man so viel machen. Ich kann es kaum abwarten, bis es morgen wird.“ Das mussten unsere lieben Zwillinge auch nicht sehr lange, hat sich doch jeden Tag eine noch spätere Ins-Bettgehzeit etabliert, welche seit der Umstellung von der mitteleuropäischen zur osteuropäischen Zeit in Griechenland komplett aus den Fugen geraten ist. Und teilweise hatte ich zudem das Pech, wenn ich die Jungs endlich weit nach 23.00 Uhr bettfertig gemacht hatte, dass dann noch ein Unterzucker eine Traubenzuckergabe und erneutes Zähneputzen erforderte, während beim anderen plötzlich die Katheterstelle kein Insulin mehr durchfließen ließ, so dass ich das vor wenigen Stunden frisch gestochene Infusionsset abermals komplett neu stechen musste.
So schlugen die Jungs wenig später bereits die Augen wieder auf und der Jüngere konstatierte sofort, als ich die Vorhänge zur Seit schob: „Endlich nur Wellen, und keine Stadt…“ Während für mich das Schiff das Transportmittel zu möglichst vielen Orten, Ausgrabungsstätten und Landschaften darstellt, wo ich mit dem Auto oder dem Zug nicht so leicht hinkomme, ist für unsere Söhne oft das Schiff an sich das größte Highlight.
Dabei geht es allerdings bei weitem nicht immer harmonisch ab. So hatte ich mich nach einem (viel zu) üppigen Frühstück und einem Lektorenvortrag über die kommenden Destinationen auf die Lektüre der ersten Buchseiten in diesem Urlaub gefreut, als mir bereits der Ältere tränenüberströmt entgegenkam, seinen Tischtennisschläger in die Ecke pfefferte und schluchzend hervorstieß: „Mama, der ältere Junge hat mich beim Tischtennisspielen als Vollarschloch und Hurensohn beschimpft. Ich hab gar nichts gemacht, ich hab nur den Ball so geschmettert, dass er ihn nicht mehr beim Rundlauf bekommen hat. Und dann hat er noch gesagt: Zum Glück hast du Diabetes.“ Als ich diese Worte vernommen habe, zerriss es mir natürlich das Herz. Ich schlug die erste noch völlig ungelesene Seite meines Buches wieder zu (die ich auch bis zum späten Abend nicht mehr öffnen sollte) und eilte mit dem höchst betrübten Sohn wieder fünf Decks weiter nach oben zur Tischtennisplatte.
Ich versuchte so neutral wie nur möglich, eher in der Rolle einer Lehrerin als einer Mutter auf den etwa 13-jäghrigen Jungen zuzugehen und ließ ihn nach dem guten alten römischem Prinzip „Audiatur et altera pars.“ seine Sicht der Dinge erzählen, welche jedoch wenig schlüssig klang. So konnte ich ihn nur inständig bitten, solche Äußerungen zu unterlassen. Unser Ältere hatte erst einmal die Lust am Tischtennisspielen verloren und dass jedes Schlechte auch etwas Gutes hat, führten wir sogleich aus, indem wir ein Buch gemeinsam lasen, mal las er ein Stück, mal ich etwas vor. So erfüllten wir gleichzeitig den Auftrag der Drittklasslehrerin, in regelmäßigen Abständen auch in den Ferien zu lesen und zu rechnen.
Bereits am Vorabend war ich sehr genervt, als wir gegen 23.00 Uhr durch Klopf- und Telefonstreiche ständig in unserer Kabine gestört wurden. Wir hatten bereits diese eine unsympathische Teenagerjungsgang im Verdacht, aber sahen keinen. Als wir diese am nächsten Nachmittag auf frischer Tat ertappten, war ich wegen der vorherigen Situation mit unsrem Älteren und einigen anderen unschönen Aktionen immer noch so wütend, dass ich es nicht schaffte, die Contenance zu bewahren und zum Schrecken zweier sehr distinguierter asiatischer Reinigungskräfte, welche gerade auf unserem Gang beschäftigt waren und sofort in den nahegelegenen Mitarbeiterraum flohen (was mir ziemlich peinlich war), in beängstigender Lautstärke eine Schimpftirade den drei wegrennenden Jungs, welche gerade wieder an unsere Kabine mehrmals geklopft hatten, begonnen hatte, welche nicht so schnell enden sollte.
Wutschnaubend ging ich danach wieder zu unserem Sohn in die Kabine. Wir trösteten uns erst einmal mit zahlreichen Tortenstücken – hierbei ist höchst lobenswert hervorzuheben, dass unser Zöli auf Wunsch auch jeden Tag einen glutenfreien Kuchen bekommt -, als es plötzlich wieder klopfte. Ich riss wutentbrannt die Tür auf, als ich die drei Übeltäter erblickte, die zu meinem großen Erstaunen die Größe hatten, sich zu entschuldigen.
Ich bedankte mich herzlich und sprach ihnen meine Hochachtung diesem Schritt gegenüber aus, vertraute dem Frieden allerdings noch nicht so recht. Nachdem ich mich an diesem Tag auch noch wegen anderer Vorfälle beängstigend oft echauffiert hatte und sich unser Sohn sowieso einen Poolgang wünschte, verschob ich abermals das anvisierte Lesen und die geplante Rückengymnastik – auch dieses Mal habe ich es leider kein einziges Mal geschafft, an dem Sportprogramm teilzunehmen – und suchte mit ihm das Pooldeck auf, während sein Bruder sich beim Tischtennis verausgabte.
So viele Kinder auf dem Schiff sind Fluch und Segen zugleich. Für unsere Söhne, bei denen ich zu Hause wie auch unterwegs – genauso wie vor einigen Jahren bei den älteren Töchtern – ausgesprochen bedacht bin, dass sie möglichst viel Zeit mit Spielen, Lesen, Sport, Musikinstrumentespielen, Freundetreffen, etc. und nicht etwa beim Daddeln verbringen, ist es immer ein großes Vergnügen, Sportpartner auch auf dem Schiff zu finden, so dass nicht immer die unsportliche (beim Tischtennis) oder die unwillige und unfähige (beim Fußball) Mutter herhalten muss. Jedoch kann je nach Zusammensetzung der Jungsgang die Freude immer wieder rasch in Ärger, Verletzungen, Wut und Enttäuschung umschlagen, was mich jedes Mal sehr traurig stimmt.
Da geht es tendenziell unter den Mädchen wesentlich ruhiger zu, welche sich bei verschiedenen Mal- und Bastelangeboten während eines Seetags auf dem Schiff vergnügen können, ohne ständig Konkurrenzkämpfe austragen zu müssen. An dem ersten Seetag nahm sogar unser Älterer am Armbänderflechten teil und war so rührend, dass er für seinen Bruder gleich zwei weitere Bänder anfertigte.
Wie gerne würde ich bereits tagsüber zur Abkühlung in den Pool gehen. Dieser ist jedoch bis mindestens 18.00 Uhr dermaßen überfüllt, dass wir, wenn überhaupt, immer erst ab 18.00 Uhr das kühle Nass aufsuchen, wohl aber auch nicht mehr an einem Seetag. Die Aida blu hat nur drei sehr kleine Pools. In dem größten könnte man theoretisch einige Schwimmzüge machen. Praktisch riskiert man bei diesem Unterfangen jedoch Leib und Leben, springen doch von wirklich jeder der Poolseiten ununterbrochen kleiner und größere Kinder in das Becken, ohne auch nur irgendwie Rücksicht auf die anderen Personen im Pool zu nehmen. Dabei wundere ich mich immer wieder, dass von den dazugehörigen Eltern meistens weit und breit so gar niemand zu sehen ist. Wahrscheinlich sind diese in den langen Schlangen vor der jeweiligen Bar zu finden..
Besonders negativ fiel mir bei dem größten der drei Pools ein braungebrannter Vater mit Bauchansatz in neongrüner Badehose auf, der seinen in etwa vierjährigen Sohn wie einen Wasserball ohne Rücksicht auf Verluste immer wieder mit voller Wucht in das Wasser warf, so dass es keine Stelle gab, an der man vor dem heftig in alle Richtungen spritzendem Wasserschwall sicher gewesen wäre.
Nach dem Jungen folgte eine blondierte Enddreißigerin in einem weißen Bikini, der ihr mindestens drei Nummern zu klein war und ihre Pobacken aus den wenig verbliebenen Zentimetern Stoff extrem unvorteilhaft hervorquellen ließ. Diese sprang abwechselnd mit einem etwa Zweijährigen ins Wasser, mal auch allein. Als der Vierjährige im Wasser rumpaddelte, nahm er plötzlich einen großen Schluck der gechlorten, trüben Brühe und spuckte mir diese mit einem breiten, fiesen Grinsen mitten in mein Gesicht.
Ich war sprachlos. Das Gesamtbild komplettierte sich einige Minuten später, als unser Älterer mir erklärte, dass dies die beiden jüngeren Brüder mitsamt den Proloeltern des Jungen seien, von dem er beim Tischtennisspielen so beleidigt worden war. Nachdem die Pooldrinks der besagten Familie ausgenuckelt und die Kinder durch das ständige Hineingeworfenwerden bzw. Selbstspringen beträchtlich viel Poolwasser verdrängt hatten, atmete ich kurz auf und freute mich, dass wohl nun doch die meisten schon beim Abendessen sitzen würden und wir nun endlich noch einige Minibahnen ziehen könnten.
Die Vorfreude konnte sich allerdings nicht auch nur in den kleinsten Schwimmgenuss verwandeln, als neben mir plötzlich ein lautes Platschen ertönte und mir so viel von dem stark gechlorten Wasser in die Augen spritzte, dass ich erst ein wenig später den Umriss eines etwa 25- 30-jährigen Mannes ausmachen konnte, der offenbar direkt neben mir nach seinem Sprung ins Wasser gelandet war. Und seine drei Saufkumpanen taten es ihm unverzüglich nach.
„Ich hab so Kopfweh. Ich weiß nicht, liegt das am Springen oder am Alkohol?“ grinste er zu seinen Freunden hinüber. Nachdem diese Männerclique einige Male „arschbombenmäßg“ mich jedes Mal auf’s Neue erschreckt hatten, tranken sie sich mit großen, frischbestellten bunten Cocktails neuen Mut zu und sprangen ohne die geringste Rücksichtnahme nun auch, indem sie sich mit dem Rücken zum Beckenrand stellten und dann mehr oder weniger sportlich kopfüber ins Wasser stießen.
Und hatte ich unseren Kindern noch kurz vorher verboten, dass sie ja nicht aufgrund der geringen Wassertiefe von 1,25 Meter in das mittlere Becken springen dürfen (was auch in zwei Sprachen gut sichtbar auf dem Beckenrand stand), hatten die vier jungen, muskelgestählten Männer, welche wahrscheinlich nun am Abend dank eines Comfortgetränkepakets mittlerweile kurz vor dem Sonnenuntergang mehr Liter an alkoholhaltigen Getränken als Blut im Körper hatten, diese Schild bewusst ignoriert und grölten noch in Richtung der anderen Kinder: „Nicht nachmachen.“ Selbstverständlich sprangen danach auch die anderen Kinder hinterher, exempla trahunt…
Bezüglich der Rücksichtnahme müssen wir auch in der eigenen Familie immer wieder auf’s Neue üben. Nach dem Abendessen gab es die Möglichkeit, nachdem der Kapitän im Theatrium eine halbe Stunde Geschichten aus seinem (Berufs)alltag zum Besten gegeben hat, sich mit dem ersten Mann an Bord auch noch fotografieren zu lassen. Ein Vorteil der Aida blu, welche deutlich weniger Kabinen als die vier neuesten Schiffe der AIDA-flotte bietet, war, dass man kaum für dieses Foto anstehen musste.
Als wir nun den Kapitän begrüßten, stellte sich unser Älterer links vom Kapitän hin. Der Jüngere hätte sich nun einfach neben ihn stellen sollen. So schnell konnte ich gar nicht schauen, da hatte ihn der Jüngere mit nur einer einzigen energischen Handbewegung der Kapitänsseite verwiesen und sich selbst neben den Kapitän positioniert.
Glücklicherweise gab es ja auch noch die rechte Seite des Kapitäns, an welche sich dann unser armer Weggeschobener stellen und ablichten lassen durfte…
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