Stavanger, Street-art, Sprühregen, Stadtsee, Suchaktion, Süßigkeiten

„Mama, auf den ersten Blick schaut es hier aus wie in Freiham (ein Neubaugebiet im Westen von München), überall Industrie und es wird gebaut.“ Der Bruder stimmte unserem Älteren sofort eifrig zu: „Ja, genau, so viele Kräne stehen auch in München. Und überall Baulärm.“ Dies waren die ersten morgendlichen Kommentare vonseiten der Kinder zu dem Hafen in Stavanger.

Und ja, es stimmte, hinten konnte man viele Kräne und Baustellen erkennen, aber direkt gegenüber unseres Schiffes erstreckte sich erst einmal Norwegens schönste und besterhaltene noch bewohnte Holzhaussiedlung: Gamle Stavanger. Dabei ist es interessant zu wissen, dass mit dem Adjektiv „gamle“ keinesfalls „gammelig“ gemeint ist, sondern dieses Wort ganz wertneutral „alt“ bezeichnet.

Innerhalb sieben Tagen haben wir sieben norwegische Häfen in West-, Mittel- und Südnorwegen angelaufen und uns immerhin stets einen kleineren oder größeren Eindruck von jeder einzelnen Stadt verschaffen können. Da Stavanger, die viertgrößte Stadt des Landes, leider bereits unseren letzten Hafen bedeutete, setzte ich mich schon am frühen Morgen unter Stress, dass wir möglichst viel Verschiedenes in dieser Stadt erkunden können.

Aufgrund einer blutzuckertechnisch sehr kurzen Nacht sorgten meine Kopfschmerzen für ein noch schlechteres Orientierungsvermögen als wie es mir sowieso schon zu eigen ist und wir vergeudeten die ersten 90 Minuten damit, uns auf der (erfolglosen) Suche nach einer Skulptur mit Wikingerschwertern völlig zu verfransen – und dabei noch extrem viel Autoabgase einatmen zu müssen, liefen wir doch sehr lange an einer stark befahren Straße entlang.

Die Irrwege erfreuten einzig unseren Älteren, da wir dabei an einem etwas abgelegenen Yachthafen vorbeikamen, den wir unserem Schiffevernarrten zuliebe sogar am Nachmittag trotz leichterem und teils auch stärkerem Regen noch ein zweites Mal aufsuchten. Ein Blick in einen für alle skandinavischen Länder typischen Süßigkeitenladen durfte natürlich auch nicht fehlen.

Wie passend, dass beide Jungs wahrscheinlich auch aufgrund unserer viel zu langen Fußmärsche an diesem Tag dauerhaft niedrige Werte aufwiesen…

Bis zum Mittagessen, welches ich den Jungs versprochen hatte, auf dem Schiff einzunehmen, wohl wissend, dass uns dieses Schlemmen zwei Stunden weniger die Stadt erleben ließen, verliefen wir uns ständig und ich war ausgesprochen erleichtert, als wir nach einigen Spielplatzpausen in völlig abgelegenen Vierteln, endlich zum Bahnhof und zum dahinter liegenden Stadtsee fanden.

Stavanger hatte bereits vor über 100 Jahre eine Blütezeit erlebt, da es weltweit eine der größten Fischkonservenfabriken besaß, von denen ein Betrieb mittlerweile zum Museum umgebaut worden ist.

Nachdem seit etwa 60 Jahren erfolgreich Erdöl- und Erdgasbohrungen stattfinden, boomt die Stadt. Neben dem Ölmuseum, das von außen einer Bohrinsel nachempfunden ist, schlenderten wir durch „Gamle Stavanger“, einem Ensemble von knapp 200 liebevoll restaurierten Holzhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Nicht immer ist es einfach, meine Minireisegruppe im Zaum zu halten. Als wir gerade wieder auf dem Weg zurück zum Schiff waren und ich fieberhaft in meinem Rucksack nach weiteren Gummibärchen zur Unterzuckerbehebung suchte, da unser Älterer partout keinen Traubenzucker mehr zu sich nehmen wollte, waren auf einen Schlag beide Söhne verschwunden.

Ich lief zuerst zu der Stelle zurück, an der ich die beiden das letzte Mal gesehen hatte – nichts. Ich rief sehr laut nach ihnen – nichts. Mein Herz raste von Minute zu Minute mehr, zumal wir sowieso schon sehr knapp unsere Ankunftszeit vor der geplanten Schiffsabfahrt einkalkuliert hatten. Außerdem wurde der Regen immer noch stärker.

Bei der nächsten Abzweigung ging ich dieses Mal direkt am ausladendem Hafenkai entlang eines großen amerikanischen Kreuzfahrtschiffs vorbei und ließ meinen Blick verzweifelt in alle Richtungen schweifen – nichts.

Als ich gerade den Plan gefasst hatte, bei dem Schiffssecuritypersonal zu fragen, ob die Zwillinge dort vor kurzem vorbeigekommen wären, erspähte ich in der Ferne zwei blau-graue Softshelljacken, welche ich trotz fehlender Brille – seit zwei Jahren bekomme ich von unserem Augenarzt immer wieder ein neues Rezept für eine Brille ausgestellt, das ich aber bis jetzt nicht nie geschafft habe einzulösen – , welche sich beim Heranpirschen tatsächlich als die Zwillinge in ihren Jacken entpuppten.

Erleichtert rief ich ihre Namen und lief ihnen nach. Auf mein Schimpfen hin erklärten sie mir, dass die Pumpe des Älteren abermals einen  Unterzuckeralarm vermeldet hatte und sie deshalb schleunigst zum Schiff zurück wollten. Hatten sie doch ein paar Tage zuvor von einer sehr netten Frau von der Security Karamellbonbons (immerhin glutenfrei) geschenkt bekommen, die offenbar wesentlich besser als die „medizinischen“ Taubenzucker mundeten…

Direkt am Hafen angelangt konnten wir aus Zeitmangel nur noch einen flüchtigen Blick auf die dortige Street-Art werfen, nachdem sich die Jungs davor noch auf einem ganz besonderen Spielplatz austoben hatten durften. Liebe Tine, dabei haben wir natürlich ganz stark an euch und eure Söhne gedacht, welche ja auch noch deutlich älter an diesem Spielplatz ihre Freude hatten. Interessanterweise ist Stavanger das Zentrum für Street Art in ganz Norwegen und man findet an vielen Städten in dieser faszinierenden Stadt Street-Art Wandmalereien.

Und dann hieß es leider auch schon wieder Abschied nehmen zu müssen, von diesem ganz besonderen Land, das flächenmäßig sogar etwas größer als Deutschland ist, aber gerade Mal 5,3 Millionen Einwohner zählt. Wie viel dicke Kleidung hatte ich aufgrund des gewählten Reiseziels eingepackt, welche ich am letzten Schiffsabend allesamt ungetragen wieder in den Koffern verstaute. Abgesehen vom Ablegetag in Hamburg und dem letzten Hafentag in Stavanger, verwöhnte uns Norwegen stets mit Temperaturen bis zu 24 ° Grad.

Einzig der letzte Seetag zurück nach Hamburg sorgte teils für etwas höhere Wellen und brachte Wind und Regengüsse mit. Da wir jedoch eh keine Besichtigungstouren unternehmen konnten, tangierte uns das Wetter nur peripher.

Dafür sorgte das ausufernde Schlemmen von allen salzigen und süßen Köstlichkeiten von morgens bis abends, dass sich die Sentenz, welche unser Lektor bei einem seiner Vorträge zu den angelaufenen norwegischen Städten zum Besten gegeben hatte, bei uns leider auch absolut mehr als bewahrheitet: „Zu Beginn der Kreuzfahrt war vieles leichter, ich zum Beispiel.“

Und ein anderer Mitreisender hatte mir mit einem Augenzwinkern – und ebenfalls mit einem dritten Dessertteller bewaffnet – bereits an einem der ersten Abende, an denen ich eigentlich überhaupt keinen Hunger mehr hatte, aber unser Älterer noch plötzlich ein phänomenal leckeres Törtchen entdeckt, um das ich dann auch nicht umhin kam, die wahre Bedeutung des Akronyms von AIDA aufgedeckt, was da lautet: Abnehmen ist danach angesagt.“

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