Wehmütig verließen wir das Schiff in Steinwerder und schleppten all unser Gepäck in Richtung Hauptbahnhof. Hatte ich doch den Jungs versprochen, noch zwei Nächte in Hamburg zu bleiben, auch wenn dies ein abermaliges, etwas umständliches Ein- und Auspacken erforderte. Als wir alles Notwendige im winzig kleinen Hotelzimmer verstaut hatten, zogen wir gleich zu den Landungsbrücken weiter.
In gleißendem Sonnenschein der Mittagshitze wartend mussten wir die erste Fähre, welche die Hamburger aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds liebevoll als „Bügeleisen“ bezeichnen, vorbeiziehen lassen, da aufgrund der sich dicht an dicht drängenden Touristenmassen keiner mehr mitgenommen werden konnte.
Nach einer guten weiteren Viertelstunde des Wartens in der prallen Sonne gelangten wir schließlich in das Innere der Fähre der Linie 62. Das Schifffahrtsvergnügen ist in Hamburg ausgesprochen kostengünstig, sind doch alle Fähren im ganz normalem Hamburger Verkehrsverbund (HVV) integriert, so dass wir mit einem Tagesticket für einen Erwachsenen und bis zu drei Kindern den ganzen Tag für unschlagbare 7,50 Euro kreuz und quer mit der U-, S-bahn und dem Bus, aber ebenso gut mit dem Schiff durch Hamburg fahren konnten.
Hatte ich in der Nacht noch bis kurz vor 2.00 Uhr den letzten Koffer mit dem Insulinpumpenladekabel und diversen weiteren Sachen bestückt, galt es nur wenige Stunden später wieder das Nötigste in Windeseile auszupacken, wollten wir doch sofort nach Blankenese.
In Blankenese schlenderten (und bisweilen schnauften wir auch) durch das Treppenviertel mit seinen insgesamt bis zu 5000 Stufen und gingen dabei auch auf eine von Hamburgs höchsten Erhebungen, dem Süllberg, von wo man eine fantastische Sicht auf das Elbufer und zahlreiche Schiffe hat.
Verschwitzt und müde traten wir abends den Heimweg an. Nach einigen Stationen in der S-bahn fummelte unser Älterer plötzlich nervös an dem Bauchgurt seiner Insulinpumpe herum. Ich war gerade sowieso schon angespannt und musste darauf achten, dass die Jungs sich ganz gerecht die Chipstüte teilen, da ansonsten die dafür berechnete Insulinmenge nicht korrekt gewesen wäre.
So fürchtete ich schon, dass der Katheter der Insulinpumpe aus Versehen herausgerissen worden sei, als ich unser Vergissmeinnicht folgende Worte stammeln hörte: „Mein Bauchgurt … er ist weg.“ „ Wo hattest du ihn denn zuletzt?“ Ich versuchte, so ruhig es ging ein- und aus zu atmen. Nach längerem Überlegen verortete er den Verbleib des von ihm selbst mit seinem Taschengeld erstandenen Bauchgurtes von Engelbert & Strauß inklusive des kaum angetasteten Urlaubsgelds auf dem Oberdeck der zweiten Fähre, welche wir nach Blankenese genommen hatten.
Ich hatte mir nach einem sehr langen Tag und einer extrem schlafarmen Nacht so sehr gewünscht, endlich ins Hotel zurückzukehren. Nun mussten wir quer durch Hamburg fahren auf der Suche nach dem verlorenen Bauchgurt.
Während unserer Reisen ist unter anderem die Tatsche, dass ich permanent ganz allein die Verantwortung trage und möglichst auf alles schauen muss, sehr stressig. Ich selbst war selbstverständlich auch an diesem Tag mit einem schweren Rucksack, Leinensackerl und meiner Jacke beladen.
Bei den Söhnen achtete ich bei jedem Um- und Aussteigen sowie bei jeder Pause penibelst darauf, dass sie den Rucksack und ihre Jacken wieder zu sich nehmen. Dass einer von ihnen den Bauchgurt ablegt, hatte ich dabei nicht berücksichtigt.
Nachdem wir am Hauptbahnhof sowie am Bahnhof Altona erfolglos drei Servicecenter des HVV aufgesucht hatten, fuhren wir wieder zu den Landungsbrücken zurück und suchten die dortige HVV-stelle auf. Dort riet uns ein sehr lieber Mitarbeiter trotz der späten Uhrzeit noch am selben Abend persönlich bei der betreffenden Fähre vorstellig zu werden, da am Folgetag alle Fundbüros geschlossen hätten.
Da diese Fähre wegen des niedrigen Elbstandes ab dem späten Nachmittag nicht mehr von Finkenwerder bis Blankenese verkehrte, mussten wir völlig übermüde, fluchend und im Zeitstress, da nur noch eine einzige Fähre an diesem Abend abfuhr, abermals die halbstündige Fahrt mit der S-bahn von den Landungsbrücken bis nach Blankenese zurücklegen. Anschließend warteten wir noch sehr lange auf den Minibus, welche bei den Hamburgern offenbar „Bergziege“ genannt wird, bis wir auf den allerletzten Drücker den Fähranlegerhafen von Blankenese erreichten.
Ich raste zu dem Kapitän, während die Zwillinge auf dem oberen Deck erfolglos alles abgesucht hatten, bis ich schließlich das ersehnte Objekt in der Kapitänskajüte an einem Bügel baumeln sah. „Gehört das Ihnen? Dann können Sie es gleich mitnehmen.“ Erleichtert dankte ich dem Kapitän von ganzem Herzen und überreichte unserem Sohn den Bauchgurt, in dem er nicht nur all die leeren Kaugummidosen (warum nur hebt man die überhaupt auf?), sondern auch das gesamte Urlaubsgeld unangetastet wiederfand.
Das Résumé des Tages: Aufgrund der zeitintensiven Suche hatten wir weder entspannt am Elbstrand schlendern noch wie anvisiert durch den alten Elbtunnel flanieren können, sondern einzig stundenlang übermüdet, gereizt und genervt den Bauchgurt gesucht. Dafür freuten wir uns umso mehr über die Ehrlichkeit der Hamburger und über den so hilfreichen Ratschlag trotz der späten Uhrzeit noch am selben Tag die Fähre aufzusuchen.
Und heute holten wir dann mit wieder zurückerobertem Bauchgurt bei allerdings – wie es die Hamburger nennen – Schietwetter unsere für den Vortag geplanten Unternehmungen nach. So liefen wir durch den Elbtunnel, der über 400 Meter lang ist und überbrückten die stundenlangen Regengüsse mit ausführlichen Fährfahrten.
Dabei gefiel uns besonders gut die Fahrt mit der Linie 61, welche eine knappe Stunde dauerte und bei der wir an vielen Containerschiffen und einem Expeditionsschiff vorbeischipperten.
Den ganzen Tag hatten die Zwillinge sehnlichst auf eine Tretbootfahrt gehofft. So gingen wir – wenig hoffnungsvoll – in strömendem Regen in Richtung der Außenalster. Nach einem Zwischenstopp bei einer Gelateria hatte es tatsächlich aufgehört zu regnen und wir fuhren zur großen Freude der Jungs eine Stunde mit dem Tretboot auf der Außenalster und durch die Brücke zur Binnenalster.
Dort ist ein prächtiger Bau neben dem anderen zu bewundern, wie das Hotel Vier Jahreszeiten, das berühmte Atlantik an der Außenalster und viele weitere Gebäude. Die Jungs ließen mich dabei nicht nur nicht eine einzige Minute selbst an die Tretpedale, sondern untersagten mir auch jede Einmischung in ihre Fahrtkünste.
Deshalb stieg meine Anspannung zu Beginn der Tretbootfahrt deutlich und ich musste mich sehr zusammennehmen nicht immer Ermahnungen unterschiedlichster Art auszustoßen: „Fahr nicht so nah am Ufer. Fahr weiter rechts. Oh, das schaukelt aber ganz schön, nicht, dass wir gleich rausfallen.“ und vieles mehr.
Die Jungs bewiesen jedoch wirklich ihre Bootsqualitäten und hätte das Schietwetter nach einer Stunde nicht wieder Oberhand gewonnen, hätte ich mich ihren Fahrtkünsten auch gerne noch für eine weitere Stunde anvertraut.
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